05.05.2022 - 09:08 Uhr

Die Alten, das sind jetzt wir

Wann beschäftigt man sich mit dem Altern? Unser Redakteur Julian Seiferth sah sich nach dem OTon aus der vergangenen Woche völlig unvermittelt dieser Frage gegenüber. Seine Antwort: am besten jetzt. Und ohne moralischen Zeigefinger.

Der Rapper Capital Bra – ein Symbol der Sprachbarriere zwischen jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen? Bild: Uli Deck
Der Rapper Capital Bra – ein Symbol der Sprachbarriere zwischen jungen und nicht mehr ganz so jungen Menschen?

Habt ihr euch mal mit 16 gesehen? Verdammt, habt ihr mich mit 16 gesehen? Es gibt ein Bild von mir, auf dem ich einen dunkelblauen Hut, ein bis knapp unter die Brust offenes Hemd und die lila Röhrenjeans meiner damaligen Freundin trage – auf einer Schulveranstaltung. Im Ernst. Unter dem Hut schaut eine gefühlt acht Meter breite, völlig ungezähmte Lockenfrisur heraus, im nicht ganz adoleszenten Grinsen hängt die obligatorische Zahnspange.

Dieses Bild war der erste von vielen Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, als ich Vanessas Oton aus der vergangenen Woche gelesen habe. Ihre These: Zu ihrer Zeit – und damit auch meiner, denn Vanessa und ich sind beide über die 25 hinaus – waren die Dinge nicht anders, sie waren besser. Wir waren noch individuell, wir hatten unsere komisch-charmanten musik-kulturellen Nischen. Und heute? Die jungen Leute tragen alle dasselbe, sie sprechen in der identischen unverständlichen Sprache miteinander und es gibt unter ihnen keine Playlist, auf die sich das musikalische Virus mit Namen Capital Bra noch nicht irgendwie gezwängt hätte. Und dann kam der nächste Gedanke: Sind wir jetzt die Alten?

Das Ding ist: Ich finde nicht mal, dass Vanessa völlig falsch liegt. Auch mir fällt es oft schwer, Menschen zu verstehen, die zehn Jahre jünger sind als ich. Alle älteren Generationen finden die jüngere ab einem bestimmten Punkt ein bisschen scheiße – wenn ich mir mein altes Bild ansehe, nicht ganz ohne Berechtigung. Am Ende werden auch diese jungen Leute in ein paar Jahren das tun, was Menschen schon immer miteinander gemacht haben – nämlich den Nachfolgenden zu sagen, dass sie es falsch machen, dass es vor 10 oder 20 oder 30 Jahren eben irgendwie besser war.

Ist das eine gute Sache? Eher nicht, finde ich. Es ist vor allem der nächste Teil eines Kreislaufs, den es wohl schon vor dem antiken Griechenland gab und der sich eigentlich schon längst totgelaufen haben sollte. Jede Generation hat es bisher geschafft, die Herausforderungen ihrer Zeit mehr oder weniger gut zu bewältigen. Auf ihre Art. Das heißt nicht, dass guter Rat nicht willkommen wäre – aber er sollte eben genau das sein, keine Belehrung. Was auch wir 27-Jährigen langsam lernen sollten, ist, in Würde zu altern. Denn, so nah die 20 gefühlt noch ist – bald steht bei uns die 30 vor der Tür.

OTon28.04.2022
HINTERGRUND:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
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