Warum mich der Lindemann-Skandal und die Reaktionen so wütend machen

Deutschland und die Welt
15.06.2023 - 09:45 Uhr

Redakteurin Kathrin Moch will entspannen. Doch das ist schwierig. Vor allem, wenn sie in den sozialen Medien unterwegs ist – und Reaktionen auf die Vorwürfe gegen den Frontmann der Band Rammstein, Till Lindemann, liest.

Die Vorwürfe gegen den Frontmann der Band Rammstein, Till Lindemann, wiegen schwer. Die Reaktionen darauf ebenfalls, findet Redakteurin Kathrin Moch.

Sieben Sekunden einatmen. Luft anhalten. Bis sieben zählen. Ausatmen. Diese Technik soll angeblich helfen, den Herzschlag zu verlangsamen. Und sich zu beruhigen. Stand so in einem Artikel, den ich in einer Frauenzeitschrift im Wartezimmer gelesen habe. Was soll ich sagen: Die Technik funktioniert wohl so gut wie die Kohlsuppen-Diät zwei Seiten weiter. Also gar nicht. Denn trotz wirklich angestrengter Atemübungen bin ich ziemlich wütend. So wütend, dass ich eigentlich gar nicht weiß, wie ich diesen Text anfangen soll. Der Grund für meinen Zorn: Till Lindemann. Und seine mutmaßliche Groupie-Fabrik.

Junge Frauen sollen auf den Konzerten der Band Rammstein gezielt rekrutiert worden sein, für Sex. Nicht immer bei vollem Bewusstsein, oft berauscht durch Drogen und Alkohol. Mindestens genauso erschütternd: die Reaktionen vieler Menschen darauf. Und die Gräben zwischen den Geschlechtern, die dadurch mal wieder sichtbar werden. Denn wenn junge Mädchen von sexuellen Übergriffen berichten, was liegt einem gleichaltrigen Mann näher als ihre Version anzuzweifeln? Permanent die Unschuldsvermutung zu betonen? Oder noch schlimmer: Die Verantwortung für ihre Sicherheit den Frauen selbst zu zuschieben. Man(n) kann sich ja schließlich nicht um alles kümmern. Spaß beiseite: Manche Kommentare in den sozialen Medien haben mich wirklich erschreckt. „Die Mädchen hätten nicht mitgehen müssen. Sie wussten, was passieren kann.“

Für alle, die es nicht mitbekommen haben: Das Problem sind nicht Frauen, die kurze Röcke tragen, die sich betrinken oder alleine unterwegs sind. Das Problem sind Männer, die Situationen ausnutzen, in denen sie sich einer Frau überlegen fühlen. Oder schlimmer: Diese Situationen ohne Einverständnis gezielt herbeiführen. Es darf nicht darum gehen, Mädchen beizubringen, „sie müssen vorsichtig sein“, sondern darum Jungs (und Männern) bewusst zu machen, dass gefühlte Überlegenheit sie niemals dazu berechtigt, einer Frau ohne ihr Einverständnis näher zu kommen. 81 Prozent aller Menschen, die einen sexuellen Übergriff in Deutschland erleben, sind weiblich, sagt das Bundeskriminalamt. Warum können Debatten wie die Causa Lindemann nicht einfach als Chance gesehen werden? Warum den Frauen nicht einfach zuhören, sie ernst nehmen und über Lösungen diskutieren? Und damit dem Thema die Aufmerksamkeit schenken, die es offenbar bitter nötig hat. Bis sich irgendwann tatsächlich etwas in der Gesellschaft ändert, versuch ich es weiter mit: Einatmen. Ausrasten. Oder so ähnlich.

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OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen.

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