Von Marielouise Scharf
Amberg. Die Stimmung ist einfach unschlagbar, wenn die Dämmerung sich über den Turm der Martinskirche wickelt, ein letztes Zwitschern der Vögel zu hören ist, die Glocken der Amberger Gotteshäuser zum Gebetläuten anstimmen und Scheinwerfer die Bühne im vollbesetzten Bibliothekshof dezent illuminieren. Am Lesetisch sitzt der Charakterschauspieler. Neben ihm die beiden barfüßigen Musiker der Münchner Philharmoniker, Matthias Ambrosius (Komposition und Klarinette) und Quirin Willert (Akkordeon, Posaune). Der eine in kurzen Hosen, der andere mit aufgekrempelten Hosenbeinen, was bei den hochsommerlichen Temperaturen durchaus nachvollziehbar ist. Mit leisen Klängen unterstreichen sie die deftiglauten Geschichten, die Anthoff unnachahmlich intensiv erzählt. Er liest nicht, er berichtet ganz lebendig und authentisch von damals. Mit passender Handbewegung unterstreicht er das Gesagte und wendet sich dem gespannt lauschenden Publikum zu. Die Musik wurde von Matthias Ambrosius eigens für die Lesung komponiert und mit Elementen aus Kirchenlied, Opernarie, Jazz- und Volksmusik verwoben.
Mit dunkelweicher Stimme schlüpft Anthoff in unterschiedliche Charakterrollen, stellt Dickschädel und Protzkerle vor, berichtet von grausigen Morden und gruseligen Leichenfunden. Aus den Graf-Geschichten geht ganz klar hervor, dass das ein hartes Leben war damals am Starnberger See zwischen Aufkirchen und Berg. In seinen Briefen und Geschichten schildert Oskar Maria Graf unverblümt und ehrlich seine Familie, die Einheimischen und das bayerische Brauchtum. Wie es zuging im Veteranenverein beschreibt er genauso wie seinen seligen Vater Max, den Bäcker, der „bekannt war, als ein unbändiger Flucher“. Graf konnte auch herrlich selbstironisch sein, was in der Szene „beim Verserlaufsagen im Sonntagsgewand“ lebendig wird. Weil er da so „kläglich versagte“ nannten ihn die Schulkinder „Knirps“, was ihn lange Zeit wurmte. Die mißlungene Fahrt nach Rom im Studebaker von Bruder Eugen, der in Amerika sein Glück gemacht hatte, und nun in der alten Heimat herumprotzte, griff er in einer anderen Geschichte auf. Die alte Mutter war bei der anstrengenden Reise von allem und besonders vom Auftreten des Papstes enttäuscht. Sie meinte lakonisch: „Der Heilige Vater ist nix gegen den König Ludwig."
Übrigens „Den Namen Maria zwischen Oskar und Graf habe ich mir zugelegt, weil‘s interessanter klingt“, schrieb Graf einmal im Brief an einen Verlag. Und weiter: „Mit meinen Bauerngeschichten habe ich nicht schlecht abgeschnitten“, „Die Leute haben das Zeugs schon gefressen“. Den Ambergern schmeckt dieser Abend ebenfalls, auch wenn es wegen Regen und Glockengeläut zu ein paar kurzen Unterbrechungen kommt.
Zur Person
Gerd Anthoff wurde einem breiten Publikum vor allem durch seine Rolle als der zwielichtige Bauunternehmer Toni Rambold in der Sat1-Serie „Der Bulle von Tölz“ bekannt. In der ZDF-Reihe „Unter Verdacht“ spielte er an der Seite von Senta Berger den charmant durchtriebenen Kommissariatsleiter Dr. Claus Reiter. Für diese Rolle erhielt er 2003 den Adolf-Grimme-Preis. Darüber hinaus wirkte er in erfolgreichen BR-Fernsehserien wie „Löwengrube“, „Hausmeister“, „Cafe Meineid“ oder „Kaiser von Schexing“. Theaterstationen waren die Münchner Kammerspiele, das Volks- und das Gärtnerplatztheater in München, sowie die Salzburger Festspiele.
Oskar Maria Graf
Oskar Maria Graf wurde 1894 als siebtes von acht Kindern einer Bauerntochter und eines Bäckers in Berg am Starnberger See geboren. Mit siebzehn lief er von zuhause fort, schlug sich in München als Gelegenheitsarbeiter durch und fand Anschluss an die Schwabinger Bohèmekreise. 1918/19 erlebte er die Münchner Revolution und Räterepublik. In den Zwanziger Jahren gelang ihm mit seinem Bekenntnisbuch »Wir sind Gefangene« der literarische Durchbruch. 1933 emigrierte er nach Wien, wo er seinen berühmten Protest »Verbrennt mich! Gegen Nazi-Deutschland veröffentlichte. Ab 1934 lebte Graf im tschechischen Brünn und ab 1938 in New York, wo er 1967 starb. Zu seinen berühmtesten Werken gehört der im Exil entstandene Romane »Das Leben meiner Mutter«, //
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