München
23.10.2022 - 10:28 Uhr

Bayerische SPD kürt Florian von Brunn als Spitzenkandidaten

Eine jubelbereite Bayern-SPD wählt Florian von Brunn mit 93 Prozent zu ihrem Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Man begeistert sich an sich selbst und am leibhaftigen Erscheinen von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Um die Euphorie zu verstehen, die an diesem grauen Herbsttag auf dem Parteitag der bayerischen SPD herrscht, muss man vielleicht in den Spätwinter 2021 zurückblenden. Es ist Corona-Lockdown, und auf dem virtuellen Politischen Aschermittwoch steht Olaf Scholz einsam vor einer Kamera in den Kulissen und erklärt allen Ernstes, er wolle der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Es klingt wie ein verspäteter Faschingskalauer, denn die SPD liegt da in Umfragen bei gerade mal 17 Prozent. Aber kein Tusch, nicht mal Gelächter vom Band. Nur Scholz und sein Glaube ans Unmögliche.

Am Samstag steht der leibhaftige Bundeskanzler Olaf Scholz vor 300 jubelbereiten Delegierten und noch einmal so vielen vorwiegend sehr SPD-nahen Gästen und wohnt der Ausrufung von Florian von Brunn zum Spitzenkandidaten der Bayern-SPD für die Landtagswahl 2023 bei. Man spürt im Saal die Hoffnung auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte. Gut, soweit wie Scholz geht von Brunn nicht, den Satz "Ich will Ministerpräsident von Bayern werden" lässt der SPD-Landeschef stecken. So bleibt es beim von tosendem Beifall begleiteten Ausruf der Ko-Vorsitzenden Ronja Endres: "Wir wollen Verantwortung in Bayern übernehmen – und jetzt passt mal auf: Wir wollen regieren!"

In Umfragen unter zehn Prozent

Nun ist es so, dass die bayerische SPD in Umfragen inzwischen wieder ziemlich konstant einstellig ist. Und "Wir wollen regieren" kann ja auch Mitregieren heißen. In Sachsen war die SPD mal mit acht Prozent Regierungspartei, als Juniorpartner der CDU. Auch die Parallelen zur Scholz-Reise ins Kanzleramt sind eher dünn. Da sind nicht nur die noch schlechteren Umfragewerte, Scholz war seinerzeit als Bundesfinanzminister und Vize-Kanzler auch weithin bekannt. Dass von Brunn bayerischer SPD-Landes- und Fraktionschef ist, wissen hierzulande laut BR-"Bayern-Trend" gerade mal zwölf Prozent. Und dann wird die CSU der SPD bestimmt nicht den Gefallen tun und mit einem Armin Laschet als Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehen.

In so einer Situation ist es zumindest wie ein Fünfer im Lotto, wenn man zum Start in den Wahlkampf den amtierenden Bundeskanzler auf seinem Parteitag präsentieren kann. Scholz nimmt sich fast drei Stunden Zeit für die bayerischen Genossen. Seine Rede geht allerdings nicht als Aufrüttler durch. Es ist eher ein Erklärstück, dass die Bundesregierung unter seiner Führung mit vollen Gasspeichern für Energiesicherheit im Winter und mit dem "Doppelwumms" für Entlastung von den hohen Energiepreisen gesorgt hat. Ein bisschen Attacke erlaubt er sich auch, als er der CSU-geführten Staatsregierung jahrelange Versäumnisse bei der Energiewende vorwirft.

Als dann jeder mit einem Werbeblock für Florian von Brunn rechnet, sagt Scholz genau nichts. Er winkt ihn nur auf die Bühne, damit er sein Programm vorstellen kann. Auch später wirft sich der Kanzler nicht unbedingt ins Zeug für den Spitzenkandidaten. Bei einem kurzen Statement für die Medien formuliert er ungelenk, er sei "sehr zuversichtlich, dass hier es erreicht werden kann, dass die bayerische SPD regiert". Auf die Nachfrage, warum er das von Brunn zutraue, meint er nur, dass dieser das "richtige Konzept für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Bayern" habe. Immerhin sagt Scholz noch: "Alles Gute und viel Erfolg!"

Ermunterung von Renate Schmidt

Von Brunn selbst hält eine Rede, die nur bedingt das Prädikat "mitreißend" verdient. Er zählt die vielen Initiativen der SPD im Landtag auf allen möglichen Politikfeldern auf, berichtet von den Sorgen und Nöten der Menschen, die er in vielen Gesprächen erfahren hat. Er spricht von Fehlern und Versäumnissen der Staatsregierung und meldet seinen Gestaltungsanspruch an. "Ich will das ändern", sagt er an einigen Stellen, "ich will eine menschliche und soziale Politik für Bayern". "Zukunft und Zusammenhalt sind mein Versprechen für Bayern – und wir Sozis halten uns an Versprechen", endet von Brunn. Und weil die Delegierten zum Feiern nach München gekommen sind, reicht das für stehende Ovationen und für SPD-Verhältnisse bemerkenswert gute 93 Prozent bei der Wahl zum Spitzenkandidaten.

Als Reminiszenz an bessere Zeiten der Bayern-SPD hat die Regie die inzwischen 78-jährige und lebensweise Renate Schmidt für ein paar Worte eingeladen. Mit ihr an der Spitze holte die SPD anno 1994 genau 30 Prozent in Bayern. Ihren Optimismus hat Schmidt seither nicht verloren. Sie glaubt an von Brunns Chance. "Mag sein, dass uns die Leute für deppert halten, aber schaut euch unsere Umfragewerte im Oktober 2020 an – und da hockt er jetzt, der Bundeskanzler Olaf Scholz", zeigt Schmidt herunter in die erste Reihe. Und in leichter Abwandlung eines Schlagers von Udo Jürgens betont sie, dass im Jahr 2023 nach 66 Jahren doch mal Schluss sei müsse mit der CSU-Herrschaft. Seit dem Jahr 1957 regiert die CSU in Bayern, Renate Schmidt war damals 13 Jahre alt.

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München23.10.2022
 
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