Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht im Internet einen Brandbeschleuniger für extremistische Bestrebungen. "Die sozialen Netzwerke und ihre Wirkungsweisen befördern die Verbreitung von Extremismus und Hetze in bislang nie gekannter Reichweite und Geschwindigkeit", erklärt Herrmann bei der Vorstellung der Halbjahresbilanz des bayerischen Verfassungsschutzes.
Der Weg vom "bösen Gedanken" über das enthemmte Wort hin zur brutalen Tat sei schnell zurückgelegt. Dazu komme, dass sich Extremisten verschiedener Richtungen durch das direkte konfrontative Aufeinandertreffen im Internet gegenseitig hoch schaukelten. Diesen Gewalt- und Eskalationstendenzen müsse der Verfassungsschutz entschieden entgegentreten, betonte Herrmann.
Desinformationskampagne aus Russland
Als besondere Herausforderungen nannte Herrmann die einfachere Rekrutierung von Anhängern über das Internet, die Möglichkeit für Extremisten, anonym ihre Parolen und Ideologien zu verbreiten, sowie den "Echokammereffekt". Dieser führe dazu, dass Nutzer nur noch ihre Meinung und ihr Weltbild verstärkende Informationen ohne Rückkoppelung mit der realen Welt erhielten. Dies fördere Verschwörungstheorien und die Wirkung von Fake-News.
Als Beispiel führte Herrmann eine offenbar aus Russland gesteuerte Desinformationskampagne zur angeblichen Unwirksamkeit von in Westeuropa entwickelten Impfstoffen, die in vor allem von Russland-Deutschen genutzten Internet-Foren Verbreitung finde. Diese könnte für die unterdurchschnittliche Impfbereitschaft in dieser Personengruppe mitverantwortlich sein.
Antisemitische Verschwörungstheorien
Herrmann verwies zudem auf ein inzwischen vorhandenes "Überangebot" an radikalen und extremistischen Botschaften im Internet. Dies könne Personen dazu verleiten, "sich aus einzelnen Ideologie-Bruchstücken eine Art Do-It-Yourself-Extremismus zusammenzubasteln". Die Folge sei eine Mixtur aus unproblematischen und extremistischen Inhalten, die es den Sicherheitsbehörden, aber auch der Gesellschaft erschwere, zwischen zulässiger Meinungsäußerung und Extremismus eine Grenze zu ziehen. So bestehe die Gefahr, dass extremistische Inhalte unter dem Deckmantel des rechtlich Sagbaren als "gesellschaftlich akzeptiert und salonfähig fehinterpretiert" würden, erläuterte Herrmann.
Aktuell versuchen laut Herrmann vor allem die Rechtsextremisten über antisemitische und obrigkeitsstaatliche Verschwörungstheorien neue Anhänger zu gewinnen. Anknüpfungspunkt sei die Szene der Corona-Leugner und "Querdenker", die an sich keiner einheitlichen Ideologie folge. Dieser Szene gehörten Esoteriker und Impfgegner genauso an wie Rechtsextremisten und Reichsbürger, berichtete Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner. "Nicht alle Querdenker und Corona-Leugner sind Extremisten", betonte er. Seine Behörde beobachte die Szene deshalb nicht als Ganzes, sondern nur einzelne Gruppen und Personen mit "sicherheitsgefährdenden demokratiefeindlichen Bestrebungen".
Gefahr bei islamistischem Terrorismus nicht gebannt
Im Bereich Linksextremismus berichtete Herrmann von einem "stetig steigenden Radikalisierungspotenzial", das sich in Anschlägen auf Infrastruktureinrichtungen sowie einer sinkenden Hemmschwelle gegenüber schweren Personenschäden äußere. Beim islamistischen Terrorismus sei die Gefahr durch radikalisierte Einzeltäter weiterhin nicht gebannt. Nach der noch nicht gänzlich aufgeklärten Messerattacke von Würzburg legten die Sicherheitsbehörden ein besonderes Augenmerk auf Personen mit psychischen Auffälligkeiten. Geprüft werde derzeit, inwieweit Berufsgeheimnisträger wie Ärzte bei sicherheitsrelevanten Erkenntnissen die Behörden informieren müssten.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.