Wenn Nachricht und Meinung sich in einem Text begegnen

Bayern
26.05.2023 - 08:51 Uhr

Der Bericht über den CSU-Parteitag in Nürnberg hat einigen Lesern so gar nicht gefallen. Einer der Kritikpunkte: Der Autor habe in den Artikel zu sehr seine eigene Meinung hineingepackt.

Der Weg zum CSU-Parteitag führte den Rolltreppe fahrenden Markus Söder an diesem Plakat vorbei.

Der Aufreger fand sich auf Seite 4 der Ausgabe vom 8. Mai wieder. Unter der Überschrift „Söder auf dem CSU-Parteitag: Am interessantesten ist, was fehlt“ schrieb unser Korrespondent Jürgen Umlauft über die Nominierung des amtierenden Ministerpräsidenten als Spitzenkandidat für die Landtagswahl. Ein einordnendes Feature und in der Tat ein Inhalt mit viel Meinung. Auch die Süddeutsche Zeitung wählte diese Stilform.

Der Umlauft-Artikel rief Kritik hervor. Einer der Leser, die sich telefonisch zu Wort meldeten, nannte diese Art der Berichterstattung „ungeheuerlich“. Ausführlich mit dem Text auseinandergesetzt hat sich dann in einer Mail an die Redaktion unser ehemaliger freier Mitarbeiter Martin Müller („Ich war selber 15 Jahre örtlicher Berichterstatter und hätte mir niemals erlaubt, eine Veranstaltung so ins Lächerliche zu ziehen“). Aus seiner Sicht ist der Bericht über den Nürnberger CSU-Parteitag „geprägt von Spitzfindigkeiten, Unterstellungen und dem Hass auf ein erfolgreiches Bayern und eine erfolgreiche CSU“.

Schon die „negative Überschrift“ („Am interessantesten ist, was fehlt“) sage alles. Sie scheint den 70-Jährigen aus Luhe ziemlich erzürnt zu haben: „Wenn dieser Berichterstatter schon Oppositionsarbeit betreiben will, dann schickt ihn doch zu den Parteitagen der links-grünen Parteien, dann kann er über das berichten, was er persönlich an Söder vermisst.“ Müllers Ratschlag: „Seine Fantasie ausleben kann er in einem persönlichen Kommentar und nicht in einem Bericht über eine Veranstaltung.“

Als "respektlos" empfunden

Unpassend empfand Müller den "ironischen Vergleich" mit der fast zeitgleich stattfindenden Krönung von Charles III. in England. Fehl am Platze seien Aussagen wie "Die Frankenhalle ist nicht Westminster Abbey" oder ein "Dienst-BMW keine güldene Kutsche", die CSU "übertrifft sich in Sachen Understatement selbst", "lieber keine Einzugsmusik spielen, bevor es wieder die falsche ist wie zuletzt am Aschermittwoch in Passau", statt royaler Erbfolge müsse Söder gewählt werden oder die Bezeichnung des Parteitags als "Krönungsmesse". "Wenigstens hat der Berichterstatter richtig recherchiert, woher der Begriff ,gebärende Person' für ,Mutter' kommt, damit die Grünen nicht im schlechten Licht erscheinen", merkte Müller dazu ergänzend an.

Der Tadel für die Grünen und die Graichen-Affäre werde mit Söders allgemeiner "Wokeness-Kritik" abgetan, und auch die Bezeichnung "Bäume-Umarmer a. D." zeige für ihn "die Zielrichtung einer negativen Berichterstattung", so Müller, der am Ende seiner Mail schreibt: "Das ist respektlos und ziemlich schlechtes Niveau. Die persönliche Einstellung wird hier extrem wiedergegeben. Ich bitte um eine faire und neutrale Berichterstattung. Auf diesen Artikel trifft es jedenfalls nicht zu."

Das ist so zulässig

Ja, für manchen Leser mag die Art und Weise, wie Jürgen Umlauft seinen Beitrag über den CSU-Parteitag verfasst hat, tendenziös wirken. Korrespondentenberichte sind oft Analysen, hier treffen sich, wie zum Beispiel auch bei Kultur-Rezensionen oder Sportberichten, im Text Fakten und Wertungen. Im Journalismus gibt es diese Mischformen, in denen ganz bewusst objektive Informationen und persönliche Betrachtungsweisen nebeneinander stehen, sie sind zulässig.

Ich vertrete aber die Auffassung: Dies sollte für den Leser deutlich sein und am besten erkennbar gemacht werden. So würde es vielen Lesern weiterhelfen, wenn sie bei dem Umlauft-Artikel beispielsweise im Teaser, also dem Anreißer für den Text, bereits erfahren hätten, mit welcher Art von Berichterstattung sie es zu tun bekommen. So hätte man etwa "Beobachtungen auf dem Parteitag" oder "eine Analyse von ..." schreiben können. Dies deshalb, weil die Textgattung "einordnendes Feature" nicht immer als solche verstanden wird.

Für den Leser kenntlich machen

Das empfiehlt übrigens auch mein Leseranwalts-Kollege Anton Sahlender von der in Würzburg erscheinenden Main-Post, der Vorsitzender der bundesweiten Vereinigung der Medien-Ombudsleute (VDMO) ist. Stilformen wie Analysen, Stimmungsberichte oder Reportagen könnten vielleicht sogar schon in Überschriften als solche kenntlich gemacht werden, schlägt er vor. So ließen sich in vielen Fällen Missverständnisse vermeiden. Und damit, das hat Sahlender in einem entsprechenden Beitrag mit dem Titel "Analysen sind Meinung" festgehalten, "wäre der häufig gemachte Vorwurf entkräftet, der da lautet, Nachricht und Meinung seien nicht getrennt oder Lesern solle Meinung als Nachricht untergejubelt werden". Transparenz, sagt Sahlender, "kann, da es den Medien um Glaubwürdigkeit geht, derzeit nicht groß genug geschrieben werden".

In meinem Leseranwalts-Alltag mache ich übrigens immer wieder die Erfahrung, dass sich viele Leser eine konsequente Trennung zwischen Nachricht und Meinung wünschen.

Nürnberg07.05.2023
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