Ein Fehler mit fatalen Folgen: Notarzt wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Cham in der Oberpfalz
03.08.2022 - 10:51 Uhr
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Im Mai 2020 verunglückt bei Cham ein 35-jähriger Familienvater mit einem Quad tödlich. Weil er in dieser Situation einen Fehler machte, stand ein Notarzt nun vor Gericht – und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nach einem Unfall mit fatalen Folgen gibt es jetzt ein Urteil gegen den Notarzt.

Von Wolfgang Fischer

Ein Notarzt hat in einer Extremsituation einen Fehler gemacht und damit fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Kann es in einem solchen Fall überhaupt ein gerechtes Urteil geben? Nein, sagte der Chamer Amtsrichter Dr. Thomas Strauß am Donnerstagabend, als er gegen einen 43-jährigen Notfallmediziner wegen fahrlässiger Tötung eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt hatte. Die Entscheidung könne höchstens angemessen sein. Denn keine Strafe würde ein Menschenleben aufwiegen.

Strauß hatte sich den Richterspruch alles andere als leicht gemacht. Zwei ganze Tage lang ist verhandelt worden, sind Zeugen und Sachverständige bis ins kleinste Detail befragt worden. Dann hatte sich der Richter Zeit erbeten, um alles genau zu überdenken und abzuwägen. Überraschenderweise trat er aber dann erneut in die Beweisaufnahme ein, hatte deshalb nochmals zwei Rettungssanitäter und die beiden Sachverständigen geladen. Es war zu erahnen, wie knapp die Entscheidung ausfallen würde.

Minuziös rekonstruiert

Mehrere Stunden lang versuchten die Prozessbeteiligten, den Ablauf im Rettungswagen am Vatertag im Mai 2020, als der 35-jähriger Familienvater mit dem Quad schwer verunglückt war, minuziös nachzuvollziehen. Da war schon klar, dass nicht mehr die Frage, ob der Patient falsch intubiert worden war – in die Speise- anstatt in die Luftröhre – strafrechtlich den Ausschlag geben würde. Denn eine Fehlintubation stellt zwar nach gängiger Rechtsprechung einen Fehler, aber keine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht dar. Eine solche muss aber vorliegen, wenn es zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommen soll.

Nun kann eine fahrlässige Tötung aber auch durch Unterlassen begangen werden. Genau darauf zielte der Staatsanwalt ab. Seiner Ansicht nach hatte es der Angeklagte unterlassen, die richtige Platzierung des Tubus zu überprüfen, obwohl dazu Zeit gewesen wäre. Das sah der von der Verteidigung bestellte Gutachter Prof. Dr. Peter Kranke, selbst Hubschrauber-Notarzt, anders.

Konträre Gutachten

Der Angeklagte hatte seiner Meinung nach völlig zu Recht, nach der aus seiner Sicht richtigen Intubation, durch Punktion eine Entlastung des Spannungspneumothorax durchgeführt und sich dann zusammen mit den Sanitätern um eine mögliche Beckenfraktur gekümmert. Von einer Fehlintubation habe er nicht ausgehen müssen, auch wenn ihm aufgrund des defekten Kapnometriegeräts diese Kontrolle nicht zur Verfügung stand. Auch die von der später eintreffenden Hubschraubernotärztin festgestellte Zyanose (Blaufärbung der Haut) sei kein sicherer Hinweis auf eine Fehltubierung. Im Kern stellte Kranke fest, der Notarzt habe die richtigen Prioritäten gesetzt.

Zudem wiederholte der Experte seine Aussage, der Angeklagte habe den Tod des Patienten nicht verschuldet, dafür sei das Schädelhirntrauma, das er sich bei dem Unfall zugezogen hatte, ursächlich gewesen. Dagegen ging der Rechtsmediziner Prof. Dr. Peter Betz davon aus, nicht das Schädelhirntrauma, sondern eine kontinuierliche, mindestens drei Minuten andauernde Unterversorgung des Patienten mit Sauerstoff sei die Todesursache gewesen. Dazu führte er als Beleg unter anderem den Arztbrief der Klinik an. Doch selbst den interpretierten die beiden Gutachter anders.

Frage der Prioritäten

Betz stellte fest, der Notarzt hätte den Patienten, nachdem er ihn relaxiert, also mit Medikamenten in einen Zustand versetzt hatte, in dem er nicht mehr selbst atmen konnte, keine Sekunde aus den Augen lassen dürfen. Dabei wäre durchaus die Zeit gewesen, einen möglichen Spannungspneumothorax zu behandeln. Denn erst, wenn die Sauerstoffversorgung mindestens drei Minuten kontinuierlich unterbrochen ist, komme es zu irreversiblen Gehirnschäden. Bevor er sich aber um eine mögliche Beckenfraktur kümmerte, hätte der Notarzt auf jeden Fall den richtigen Sitz des Tubus überprüfen müssen, sagte Betz.

Kranke hatte dagegen erklärt, ein Beckenbruch könne zu inneren Blutungen führen und damit lebensbedrohlich sein. Für Betz erklärt sich "alles, wenn der Tubus nicht in der Luft-, sondern in der Speiseröhre war". Das passiere zwar öfters, doch der Notarzt hätte spätestens dann die Tubuslage kontrollieren müssen, als sich die Sauerstoffsättigung nach der Punktion des Spannungspneumothorax nicht rapide besserte. "Wenn Sie eine solche Tätigkeit machen, dann müssen Sie das erkennen", stand für Betz fest: "Wer das unter Stress nicht schafft, der darf keine Blaulichteinsätze fahren!"

Anträge wiederholt

In den Plädoyers wiederholten Staatsanwalt, Nebenklagevertreterin und Verteidiger ihre Anträge der vergangenen Woche. Dabei beriefen sich der Ankläger und die Anwältin der Angehörigen weitgehend auf das Gutachten von Prof. Betz, für den Verteidiger dagegen war die Expertise von Prof. Kranke maßgeblich. Der sei selbst als Notarzt tätig, Betz dagegen zuletzt vor 30 Jahren als Student im Rettungswagen mitgefahren und habe beispielsweise, wie er zugegeben hatte, noch nie einen Spannungspneumothorax behandelt. Die Anträge reichten von 120 Tagessätzen Geldstrafe (Staatsanwalt) über Freiheitsstrafe mit Bewährung (Nebenklage) bis zu Freispruch (Verteidigung).

 
 

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