München
13.10.2020 - 18:05 Uhr

Coronavirus: Comeback des Krisen-Söder

Angesichts wieder deutlich steigender Corona-Fallzahlen warnt Markus Söder vor einem neuen Lockdown. Um den zu verhindern, setzt er auf bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen und die Mithilfe der Bürger.

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt mit seinem blau-weißen Mund-Nasen-Schutz zur Kabinettssitzung in die Bayerische Staatskanzlei. Im Fokus stehen Reaktionen auf die steigenden Corona-Zahlen in vielen bayerischen Kommunen, unter anderem auch in der Landeshauptstadt München. Bild: Peter Kneffel/dpa
Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, kommt mit seinem blau-weißen Mund-Nasen-Schutz zur Kabinettssitzung in die Bayerische Staatskanzlei. Im Fokus stehen Reaktionen auf die steigenden Corona-Zahlen in vielen bayerischen Kommunen, unter anderem auch in der Landeshauptstadt München.

Der Krisen-Söder ist wieder da. Gerade einmal drei Monate ist es her, als Markus Söder locker, entspannt und bester Stimmung die Bundeskanzlerin auf Schloss Herrenchiemsee empfing und auch sonst gut drauf war. Seit diesem Dienstag ist klar, dass dies nur eine kurze Episode war.

"Zweiter Lockdown rückt näher"

Die Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung bestreitet wieder der ernste Söder, zu dem er im März angesichts explodierender Corona-Infektionszahlen wurde. "Ich habe kein gutes Gefühl im Moment, wir haben eine ähnliche Situation wie im März", sagt Söder also. Und mit Blick auf den bevorstehenden Winter fügt er an: "Ich bin besorgt, denn die Zahlen sind viel zu früh viel zu hoch."

Damals im Juli beim Tête-à-tête mit Angela Merkel gab es bayernweit deutlich unter 100 Neuinfektionen am Tag, am Dienstag nun meldet das Landesamt für Gesundheit 755 neue Fälle, den höchsten Tageszuwachs seit Mitte April. Neun Städte oder Landkreise haben den Warnwert von 50 Infizierten je 100.000 Einwohner und Woche überschritten, weitere 15 den Signalwert von 35.

Kurz davor, die Kontrolle zu verlieren

Die Tendenz zeigt seit Tagen steil nach oben, nicht nur in Bayern. "Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen. Wir haben eine sehr ernste Lage und sind kurz davor, die Kontrolle zu verlieren." Es gebe nichts mehr schön zu reden, betont Söder und hält sich auch selbst daran. "Ein zweiter Lockdown rückt näher, wenn es keinen Ruck gibt", appelliert er an Bürger wie Politik.

Für wie ernst Söder die Lage hält, erkennt man daran, dass er als bekennender Föderalist auf klare, in ganz Deutschland einheitliche Regeln drängt. Er folgt dabei einem Expertenrat. In der Kabinettssitzung hatte sich der Präsident der Wissenschaftsakademie "Leopoldina", Professor Gerald Haug, für bundesweit verbindliche Schutzmaßnahmen stark gemacht. Nur wenn die "föderale Vielstimmigkeit", die "Kakophonie" unter den Ministerpräsidenten beendet werde, ließen sich die Bürger zu Disziplin und Solidarität motivieren, erklärt er. So sieht das auch die frühere Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler als Mitglied des bayerischen "Dreierrats Grundrechtsschutz": "Die Konfusion muss weg, dann machen die Leute auch mit."

Konferenz am Mittwoch entscheidend

In diesem Sinne erhöht Söder den Druck auf die an diesem Mittwoch tagende Konferenz der Ministerpräsidenten. "Es wäre eine verpasste Chance, wenn wir morgen nicht zu Entscheidungen kämen", erklärt er. Die Dimension macht Haug klar: "Morgen werden die Weichen gestellt, ob wir in Deutschland unter 20.000 Neuinfektionen am Tag bleiben. Die Chance unter 10.000 zu bleiben, haben wir schon Ende September verpasst." Für Breit-Keßler ist entschlossenes Handeln auch eine ethische Frage. "Jedes menschliche Leben zählt", betont sie und ergänzt mit Blick auf die wieder zugespitzte Lage auf den Intensivstationen in Madrid oder Paris, dass man nicht in die Lage kommen dürfe, über Leben und Tod entscheiden zu müssen.

Söder also plädiert für eine "klares Regelwerk für alle in Deutschland". Man brauche einen einheitlichen Regelungskanon und keinen regionalen Flickenteppich. "Wir müssen Corona jetzt ausbremsen, bevor wir Notbremsen ziehen müssen." Die kommenden vier Wochen seien entscheidend dafür, ob man in zwei Monaten ein entspanntes Weihnachtsfest feiern könne. Einzelheiten lässt Söder offen, um das Gespräch mit den anderen Regierungschefs nicht zu belasten, aber drei Eckpunkte nennt er doch: "Mehr Maske, weniger Alkohol, weniger Feiern." Dies seien akzeptable und angemessene Maßnahmen, um drastischere Einschränkungen zu verhindern.

Krisenbewusstsein schaffen

"Das Virus ist beherrschbar, aber nur wenn wir etwas tun", sagt Söder. Er appelliere an alle, dabei mitzumachen. Es gehe um "Leib und Leben", um Solidarität und Loyalität untereinander. "Die Frage ist, reizen wir das aus bis ultimo, oder agieren wir vorausschauend und lassen es nicht so weit kommen." Man dürfe sich nichts vormachen. Mit steigenden Infektionszahlen nähere man sich wieder allgemein verbindlichen Maßnahmen für alle, auch regionalspezifische Ausnahmen wären dann womöglich vom Tisch. Er wolle mit solchen Mahnungen "keine Endzeitstimmung propagieren, aber ein Krisenbewusstsein schaffen".

Gemeinsame Lösung in Sicht?

Für die Ministerpräsidentenkonferenz hofft Söder auf den "großen Wurf". Für eine gemeinsame Lösung wäre er sogar bereit, auf das Beherbergungsverbot für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten zu verzichten, das nicht nur politisch, sondern auch fachlich umstritten ist. Das sei nur ein "Nebenthema", sagt Söder, wichtiger sei ein einheitliches Regelwerk. Dieses dürfe aber nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein, sondern die "sicherste Lösung". Zudem müsse rasch entschieden werden. Denn momentan verbreite sich das Virus schneller als die Politik zu Ergebnissen komme. "Wir müssen wie im April wieder vor die Entwicklung kommen", drängt Söder.

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Amberg12.10.2020
Oberpfalz25.05.2022
Info:

Mehr Mitarbeiter in Gesundheitsämtern

  • In Bayern nähert sich die Sieben-Tages-Inzidenz je 100.000 Einwohner dem Signalwert von 35. Am Dienstag meldete das Landesamt für Gesundheit im landesweiten Durchschnitt 29,45 Corona-Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner.
  • Von Montag auf Dienstag stieg die Zahl der neu Infizierten um 755 an. In der Oberpfalz waren es 32 Neuansteckungen, die Sieben-Tages-Inzidenz liegt im Bezirk aktuell bei 26,53.
  • Spitzenreiter ist gegenwärtig wieder der Landkreis Tirschenreuth mit einer Inzidenz von 44,42. Über dem Signalwert von 35 liegen zudem die Landkreise Neustadt/WN (37,06) und Cham (37,5) sowie die Stadt Amberg (35,54). Die Zahl der Corona-Todesfälle in der Oberpfalz stieg um einen auf 375.
  • Um die Nachverfolgung von Infektionsketten trotz steigender Fallzahlen weiter zu ermöglichen, beschloss die Staatsregierung, die Zahl der Mitarbeiter in den Contact-Tracing-Team der Gesundheitsämter um weitere 500 Mitarbeiter aufzustocken. Zur Unterstützung der Teams werden bis zu 2000 Mitarbeiter aus anderen Behörden sowie aus dem Bereich der Bereitschaftspolizei abgestellt. Weitere 2250 Mitarbeiter sollen im Bedarfsfall als Reserve zur Verfügung stehen.
 
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