10.06.2018 - 18:46 Uhr

Das digitale Chamäleon

Von "Mach mal Pause" kann keine Rede sein. Die Digitalisierung, deren Vorboten viele seit Jahren in der Hosentasche tragen, erreicht Kernbereiche der Gesellschaft. Dabei wollen Politiker von Disruption nichts mehr hören.

"digital manufacturing" steht auf beleuchteten Säulen auf der letzuten Hannover Messe. Industrie 4.0 ist nur ein Aspekt der Digitalisierung.  Kay Nietfeld/dpa
"digital manufacturing" steht auf beleuchteten Säulen auf der letzuten Hannover Messe. Industrie 4.0 ist nur ein Aspekt der Digitalisierung.

Der Befund von Ansgar Brauns, dass Marketingleute der IT-Industrie und Politiker aneinander vorbeireden, hat es in sich. Während Erstere noch immer von der Disruption, der schöpferischen Kraft, die neue Weg eröffnet, schwärmen, wollen die Anderen davon nichts mehr hören. NSA-Skandal, Snowden-Enthüllungen, Fake News und die jüngsten Facebook-Skandale sind nur einige Stichworte, an denen sich Überdruss festmachen lässt.

Aber der Überdruss kommt zum falschen Zeitpunkt. Brauns, "Head Global Strategy Programm Government Relations" bei HP, warnt davor, Plattformen totzuregulieren, nur weil die Politik in Berlin GAFA - Google, Apple, Facebook, and Amazon - treffen will. Das träfe nicht nur die großen vier amerikanischen Digitalunternehmen, sondern auch europäische. Womöglich darunter das Start-up, dass sich zum europäischen Google entwickeln könnte. Ein Traum, der einige auf dem alten Kontinent bewegt. Zudem beginnt die deutsche Industrie sich als Plattform aufzustellen, um in der digitalen Weltwirtschaft mithalten zu können.

Künstliche Intelligenz, neuronale Netze und Blockchain

Jenseits des industrie- und wirtschaftspolitischen Arguments gegen den Überdruss, gibt es ein gesellschaftspolitisches. Die Digitalisierung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Smart Home, autonomes Fahren und Industrie 4.0 sind nur einige Stichworte für die Anwendung der neuen digitalen Technologie wie Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz, neuronale Netze und Blockchain, mit denen jeder, privat oder beruflich, konfrontiert ist.

Digitalisierung führt zum Druck, sich ständig neu anpassen zu müssen. Doch lebenslanges Lernen, immer wieder etwas neues machen zu müssen, wird nicht von jedem als Chance gesehen, sondern als Bedrohung empfunden. Als Gesellschaft im "Update-Modus" charakterisiert die Soziologin Sabine Maasen die Auswirkungen der Digitalisierung. Die Direktorin des "Munich Center for Technology in Society" der Technische Universität München analysierte bei der Tagung "Das digitale Chamäleon - Gesellschaft und Technologie im Wandel" die gesellschaftlichen und politischen Folgen der Digitalisierung. Zusammen mit der Gesellschaft für Informatik und der Initiative D21 hatte die Akademie für politische Bildung Tutzing Informatiker, Mathematiker, Juristen, Politikwissenschaftler und Soziologen an den Starnberger See geholt, um Möglichkeiten der Steuerung der Digitalisierung auszuloten.

Möglichkeiten wären da. Aber keiner weiß wohin die Reise geht. Das gilt für die Wirtschaft und für die Politik. Beide fahren auf Sicht. Am Freitag und am Samstag wurden in der altehrwürdigen Akademie schon einmal die richtigen Fragen gestellt und so erste Lösungswege skizziert. Etwa: Wenn sich im Zuge der Digitalwirtschaft in Unternehmen die Machtfrage neu stellt, gelte es die Mitbestimmung zu schützen, damit nicht alle zu rechtlosen Click-Arbeitern verkommen. Oder: Lassen sich künftig Staatsausgaben noch über die Besteuerung der Arbeit finanzieren?

Bislang schwacher Staat

Bislang hat sich die Politik für den "schwachen Staat" im Bereich Digitalisierung entschieden, sagt Zeit-Journalist Götz Hamann. Das könnte sich ändern, nun, da Kernbereiche der Industrie betroffen sind. "Schaden verhindern ist das eine, zum Guten steuern ist was anderes", fordert Lisa Herzog. Dazu gehöre Individuen abzusichern, nicht Firmen. Die Professorin an der Hochschule für Politik München wirbt dafür, dass IT-Experten ihrer Rolle in der Gesellschaft der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden. Damit die Politik nicht Lobbyisten ausgeliefert ist.

Eine Rolle welche die Gesellschaft für Informatik annimmt, machte deren Vizepräsident Alexander von Gemler eingangs der Tagung deutlich. Schließlich wolle keiner eines Tages hören: "Springt ihr A..." Das schleuderten Demonstranten den Bankern an der Wall Street während der Finanzkrise entgegen.

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.