Eigentlich müsste es Hubert Aiwanger gerade total schwindelig sein. So eine Kehrtwende binnen 24 Stunden hat ja nicht einmal Horst Seehofer zu seinen besten Zeiten hingekriegt. "Rettet die Bienen" sei ein "Volksbegehren der Stadt gegen die ländliche Bevölkerung", die Grünen betrieben damit "Kolonialismus einer städtischen Elite gegen die ländlichen Räume", ereiferte sich der Wirtschaftsminister der Freien Wähler noch am Dienstag im Landtag. Nun steht er nur eine Glastür weiter neben Ministerpräsident Markus Söder (CSU), um feierlich zu verkünden, dass man das von 1,75 Millionen Bürgern unterstützte Begehren per Landtagsbeschluss zum Gesetz erheben wird. Der Volksentscheid im Herbst fällt damit aus.
Söder spricht von einem "historischen Tag". Ein neues Kapitel für mehr Ökologie und Artenschutz werde aufgeschlagen - und das im Einvernehmen mit der Landwirtschaft. Er wolle dem Landtag ein "großes Versöhnungswerk" zur Entscheidung vorlegen, bestehend aus der unveränderten Annahme des Volksbegehrens, mehreren Verbesserungen und Optimierungen an den Stellen, die sich als nicht praxisgerecht erwiesen hätten, und einem großen Paket für ergänzende Maßnahmen im Artenschutz und in der Landwirtschaft. Bis zu 75 Millionen Euro im Jahr sollen dafür lockergemacht werden. Alles zusammen werde es der "größte finanzielle, strukturelle und personelle Entwurf für den Artenschutz in Deutschland" sein, verspricht Söder.
Noch sind seine Pläne eine lose Ideensammlung, die von Vorschlägen vom Runden Tisch zum Artenschutz ergänzt werden soll. Aber nach Söders Vorstellungen sollen sich "grüne Oasen und Bänder" durch Bayern ziehen, neue Blühstreifen entstehen, der Ökolandbau stärker gefördert werden und die Bauern mehr Geld für den Vertragsnaturschutz und den Ausgleich für eine umweltverträglichere Bewirtschaftung bekommen. Man wolle die Landwirte "finanziell motivieren", den Weg mitzugehen, sagt Söder. Daneben soll es Richtlinien für Gartenbesitzer und Kommunen geben und "Lebenskompetenz" als Schulfach eingeführt werden, um das Wissen über die Zusammenhänge in der Natur an die nächsten Generationen weitergeben zu können.
Bei den Unterstützern des Volksbegehrens ist die Freude groß, Jauchzer hallen durch den Landtag. Initiatorin Agnes Becker (ÖDP) ist froh über einen "Sieg der Vernunft". Etwas "witzig" findet sie nur, dass Söder so tue, als sei er schon immer für mehr Artenschutz gewesen. "Die Wahrheit ist: Ohne das Volksbegehren gäbe es das jetzt alles nicht", stellt Becker klar. Der Chef des Landesbunds für Vogelschutz, Norbert Schäffer, sieht endlich die Chance, den seit Jahrzehnten negativen Trend bei der Artenvielfalt umzukehren. Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann hat Lob für den Bauernverband parat. Der sei "deutlich über den eigenen Schatten gesprungen". In zwei Positionspapieren ist der Verband weit auf die Artenschützer zugegangen.
Hubert Aiwanger kann die allgemeine Euphorie nicht ganz teilen. Bei seinen Freien Wählern sind Söders Pläne nur mit fünf Gegenstimmen angenommen worden, nicht einstimmig wie bei der CSU. Er spricht von einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, bei der die Landwirte nicht die finanziellen Verlierer sein dürften. Folglich müsse nun ein "Gesamtpaket geschnürt werden, das sich gewaschen hat".
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