München
28.01.2022 - 16:50 Uhr

Heftige Debatte um neue Quarantäne-Regeln an Bayerns Schulen

Wegen überlasteter Gesundheitsämter werden womöglich corona-positive Schüler nicht rechtzeitig in Quarantäne geschickt. Lehrerverbände und Opposition schlagen Alarm. Das Kultusministerium hält die Schulen für sicher.

Um die neuen Quarantäne-Regeln für Bayerns Schülerinnen und Schüler sind Diskussionen entbrannt. Bild: Nicolas Armer/dpa
Um die neuen Quarantäne-Regeln für Bayerns Schülerinnen und Schüler sind Diskussionen entbrannt.

Die seit dieser Woche geltenden neuen Quarantäne-Regeln an bayerischen Schulen sorgen für massiven Ärger. Lehrer- und Elternverbände sowie die Landtagsopposition haben mit Unverständnis auf die Vorgabe des Kultusministeriums reagiert, dass nur noch das örtliche Gesundheitsamt darüber entscheiden darf, ob und welche Mitschüler bei einem positiven Corona-Fall in der Klasse in Quarantäne müssen. Bislang war den Schulleitern einen Ermessensspielraum eingeräumt worden. Problem der Neuregelung ist, dass die ohnehin schon stark belasteten Gesundheitsämter bei der Bewertung der Positivfälle an den Schulen oft nicht mehr nachkommen.

In einem kultusministeriellen Schreiben aus der vergangenen Woche heißt es, dass "bis zu einer möglichen Quarantäneanordnung durch das Gesundheitsamt die übrigen Schülerinnen und Schüler der Klasse weiter den Unterricht besuchen". Diese Vorgabe laufe "an der Realität vorbei", urteilte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann. Wegen der Überlastung der Gesundheitsämter bedeute dies, dass möglicherweise infizierte Banknachbarn eines Positivfalles einen oder mehrere Tage weiter in den Unterricht gingen. Erschwerend komme hinzu, dass die Ergebnisse der Testlabors wegen der stark gestiegenen Zahl an PCR-Tests auch immer später an die Schulen gemeldet würden.

Schwere Vorwürfe gegen Regierung

Fleischmann mutmaßt, dass die Staatsregierung eine "Durchseuchung" der Schulen billigend in Kauf nehme. Ähnlich sieht man das beim bayerischen Philologenverband. Offenbar wolle die Staatsregierung die Omikron-Welle "laufen lassen", um schneller in den endemischen Zustand zu kommen, erklärte Verbandschef Michael Schwägerl in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Landeselternvereinigung für die Gymnasien. Angesichts der starken Überlastung der Gesundheitsämter könnten schnelle und vor allem rechtzeitige Quarantäne-Entscheidungen nicht mehr garantiert werden.

Mit den neuen Quarantäneregeln sieht Fleischmann auch den Gesundheitsschutz für Lehrkräfte in Gefahr. Wenn vermehrte Corona-Infektionen bei Kindern in Kauf genommen würden, weil die Krankheitsverläufe bei diesen zumeist ohne Symptome verliefen, sei das bei den Lehrkräften anders, wenn diese einer potenziell infizierten Schülerschaft gegenüberstünden. Um die Lage in den Griff zu bekommen, müsse entweder den Schulleitungen eine Entscheidungskompetenz über eine vorsorgliche Quarantäne gegeben werden oder es brauche klare Zusagen der Politik bezüglich rechtzeitig eintreffender Testergebnisse und schneller Anweisungen durch die Gesundheitsämter.

Die Grünen-Bildungspolitikerin Anna Schwamberger nannte die neuen Regeln "irrsinnig". "Das hat mit sicherem Schulbetrieb nichts mehr zu tun", sagte sie. An den Schulen müsse schnell auf Positivfälle reagiert werden, nicht erst mit tagelanger Verzögerung. Auch Schwamberger forderte, den Schulleitungen vor Ort das "Handwerkszeug für rasche Quarantäneentscheidungen" zu geben. Matthias Fischbach (FDP) ergänzte, die jetzige Regelung erhöhe die Unsicherheit und führe zu keiner Entlastung der Schulen. Wenn Quarantänen erst mit tagelanger Verzögerung angeordnet würden, könne man sich das Testen gleich sparen. Auch Fischbach plädierte für pragmatische Lösungen an den Schulen.

"Chaos und Verunsicherung"

Ungeachtet der Kritik weitet die Staatsregierung ab Anfang März die PCR-Pooltests auf die 5. und 6. Klassen der weiterführenden Schulen aus. Dazu sei die bayernweite Testkapazität noch einmal auf nun rund 486 000 pro Woche erhöht worden, berichtete Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Der Vorsitzende des Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, erklärte, die Ausweitung im März komme zu spät, weil dann die Omikron-Welle vermutlich schon im Abklingen sei. Die zusätzlichen Tests und die Quarantäne-Regeln würden "nur zu Chaos und Verunsicherung an den Schulen führen".

Laut Kultusministerium liegt die Anordnung von Quarantäne rechtlich ausschließlich bei den Gesundheitsämtern. Zur Frage der rechtzeitigen Anordnung von Quarantänen verweist es auf das zuständige Gesundheitsressort. Den Vorwurf, dass der Gesundheitsschutz bei Lehrkräften gefährdet sei, weist das Ministerium zurück. Aufgrund des umfangreichen Sicherheitsnetzes mit regelmäßigen Tests, der Maskenpflicht und strengen Hygieneregeln gehörten Schulen zu den "am besten geschützten Orten". Die konkrete Frage, ob es Strategie sei, die Omikron-Welle an den Schulen "laufen zu lassen", ließ das Kultusministerium unbeantwortet.

Amberg25.01.2022
 
Kommentare

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Martin Pfeifer

Es wird immer deutlicher, das die bayrische Staatsregierung und vermutlich auch die Bundesregierung die Omikron-Welle nutzt, um den "ungeimpften Rest" der Bevölkerung zu durchseuchen. Das hatte der damals noch amtierende Bundes-Gesundheitsminister Sphan ja auf einer seiner Pressekonferenzen im Oktober schon angesagt, freilich ohne das Wissen um die genauen Umstände der Omikron-Variante.

Da kann sich das Kultusministerium als absoluter Verfechter des Präsenz-Unterricht ja freuen, das seine Unfähigkeit, einen sinnvollen digitalen Distanz-Unterricht zu realisieren, jetzt wohl keinen weiteren Kollateralschaden anrichtet. Zumindest im nächsten Sommer. Der Fortschritt in der Digitalisierung der Schulen und auch der öffentlichen Verwaltung in den letzten 2 Jahren ist - im Vergleich zu jedem anderen Unternehmen in Deutschland - erschreckend. Erschreckend gering, wohl Null komma gar nichts.

29.01.2022
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