Das schreibt der Leser
Klaus K. ist unzufrieden. Er nimmt unter anderem Bezug auf die Titelgeschichte vom 27. Februar ("Neue Halden: Tschechien ärgert sich über mehr illegalen Müll aus Bayern") und schreibt: "Warum wird hier dem Leser und Bürger der Name dieser Firma vorenthalten? Warum wird hier nicht von Anfang an auf Transparenz gesetzt und von Anfang an Ross und Reiter genannt? Was wird hier warum verschwiegen? Früher oder später kommt sowieso alles raus." Seinen Fragen fügt Klaus K. die Aufforderung hinzu: "Benutzen Sie doch in der Berichterstattung einfach das von mir übrigens gehasste, da überstrapazierte Wort ,mutmaßlich', und die Sache hat sich." Der Leser ist der Auffassung: "Die Öffentlichkeit hat ein Recht, umfassend und von Anfang an ehrlich mit allen Daten informiert zu werden."
Das sagt Stefan Zaruba, Leiter der Zentralredaktion und Mitglied der Chefredaktion
Stefan Zaruba versichert dem Leser Klaus K., "dass wir uns bei jedem Thema, das von möglicher Kriminalität oder auch schweren Unglücken handelt, genau mit der von Ihnen aufgeworfenen Frage eingehend beschäftigen: Nennen wir - falls uns überhaupt bekannt - Namen? Das können Namen von Unternehmen sein, von Behörden, Vereinen, Einrichtungen des Gesundheitswesens oder der Kirchen. Oder auch Namen einzelner Menschen, die oft deckungsgleich mit Firmennamen sind. Diese können mutmaßliche Verursacher sein oder Opfer. Da haben wir also diesen Begriff ,mutmaßlich', den Sie empfehlen, um ihn im vorliegenden Fall zusammen mit einem Unternehmensnamen zu verwenden."
Dieser Begriff, erläutert Zaruba, habe eine wichtige Funktion in vielen Beiträgen, zeige er doch an, dass wir zum Beispiel einen Tatverdächtigen oder selbst einen Angeklagten in einer laufenden Verhandlung nicht als "Täter" vorverurteilen, sondern dass die Unschuldsvermutung gilt. Die wenigen und offensichtlichen Ausnahmen würden beispielsweise Attentäter betreffen, "die bewusst in aller Öffentlichkeit handeln und noch bei der Tat festgesetzt werden".
Die Nennung eines Namens sei aber unabhängig vom Adjektiv "mutmaßlich" geeignet, schutzwürdige Interessen von Menschen, Unternehmen oder Organisationen zu verletzen. "Das gilt für Beschuldigte wie für Opfer", betont Zaruba. Neben Namen gebe es weitere Merkmale, die in Kombination zu einer Identifizierung führen können, wie Bilder, kleinräumige Ortsangaben, Altersangaben oder exakte Tätigkeitsfelder. "Wir wägen daher regelmäßig ab, welche Angaben angemessen sind."
Leser K. ist wie erwähnt der Meinung, dass die Öffentlichkeit ein Recht habe, zum Beginn eines Ermittlungsverfahrens alle Daten zu erfahren. "Dem möchte ich widersprechen", schreibt Zaruba in seiner Antwort und verdeutlicht: "Ein Recht auf öffentliche Preisgabe aller persönlichen Daten gibt es nicht. Im Gegenteil, dem steht der Datenschutz entgegen, der ein hohes Gut unserer Gesellschaft ist."
Als Akteure im Qualitätsjournalismus seien wir gesetzlichen Bestimmungen verpflichtet, aber auch ethischen Regeln, deren wichtigste der Deutsche Presserat im Pressekodex zusammengefasst hat. In Ziffer 8 gibt es Vorgaben zum Schutz der Persönlichkeit. "Gerade in inhabergeführten Unternehmen schützen wir auch handelnde Personen im Unternehmen, wenn wir die Regeln auf das Unternehmen anwenden", erklärt Zaruba. So heißt es in Ziffer 8: "Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein. Die Presse gewährleistet den redaktionellen Datenschutz."
Speziell zur Kriminalberichterstattung heißt es weiter: "Die Presse veröffentlicht dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt. Bei der Abwägung sind insbesondere zu berücksichtigen: die Intensität des Tatverdachts, die Schwere des Vorwurfs, der Verfahrensstand, der Bekanntheitsgrad des Verdächtigen oder Täters, das frühere Verhalten des Verdächtigen oder Täters und die Intensität, mit der er die Öffentlichkeit sucht."
Zusammenfassend teilt Stefan Zaruba dem Leser mit: "Alle diese Gesichtspunkte fließen in unsere Abwägungen ein. Bisher sind wir zu dem Schluss gekommen, nicht identifizierend über das von Ihnen angesprochene Unternehmen zu berichten. Das kann sich im weiteren Verlauf der Recherchen oder des Verfahrens durchaus ändern."
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