Kennst du das, wenn dich ein Gedanke nicht mehr loslässt? Vor einigen Tagen saß ich auf meinem Sofa, habe Musik gehört und mich durch sämtliche Werke von Kurt Tucholsky gelesen. Ich bin ein großer Fan, seit uns mein damaliger Deutschlehrer im Leistungskurs den Text „Aus“ von 1930 gezeigt hat. Ich habe das Gedicht des Berliner Schriftstellers seitdem unzählige Male gelesen … doch zum ersten Mal bin ich an einer bestimmten Passage hängengeblieben. Besser gesagt an einem besonderen Wort. Allein.
„Einmal müssen zwei auseinandergehn; einmal will einer den andern nicht mehr verstehn. Einmal gabelt sich jeder Weg – und jeder geht allein – wer ist daran schuld? Es gibt keine Schuld. Es gibt nur den Ablauf der Zeit. […]“
Einsam und allein … Gefühle, die jeder von uns kennt. Ich habe überlegt, ob ich mich in meinem Leben oft einsam gefühlt habe. Die Antwort? Nein. Einsam war ich in nur sehr wenigen Momenten. Was ich, rückblickend, als sehr privilegierte Tatsache empfinde. Fragst du mich aber, ob ich mich manchmal alleine fühle, dann ist die Antwort: ja. Wie das sein kann? Für mich liegen Welten zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Laut Definition versteht man unter EINSAM „sich verlassen fühlen / ohne Kontakte zur Umwelt“. ALLEINE bedeutet „ohne die Anwesenheit einer oder mehrerer Personen / für sich sein“. Genau darin liegt der Unterschied. Einsamkeit ist ein bedrückender Zustand, an dem ich nichts Gutes finden kann. Nein, niemand sollte sich in seinem Leben einsam fühlen müssen – ohne einen Menschen, mit dem er seine Probleme, Wünsche und Gedanken teilen kann. Das Alleinsein hingegen hat einen viel zu schlechten Ruf, weil es etwas so Schönes sein kann.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Ich bin gerne unter Menschen, verbringe viel Zeit mit meinen Freunden und genieße es, unterwegs zu sein. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich meine Tage akribisch durchgeplant habe, um bloß keinen Leerlauf zu haben. Was mich getrieben hat? Ich denke, die Angst vor dem Alleinsein. Das hat sich vor einigen Jahren geändert. Ich hatte gerade meinen Job angefangen und bin mit meinem damaligen Freund zusammengezogen. Die Situation: Ich war permanent umgeben von Menschen. Jeden Tag. Immer. Ich habe mich das erste Mal danach gesehnt, allein zu sein. Zeit für mich zu haben. Jetzt, sechs Jahre später, sitze ich auf meinem Sofa und genieße das Alleinsein. Ich schätze Momente wie diese sehr, auch nach all den Jahren, in denen ich meine Wohnung wieder nur für mich habe. Doch nicht nur diese.
Um ehrlich zu sein war der Anfang nicht leicht. Auch, wenn ich mich danach gesehnt hatte, hatte ich es doch verlernt – das Alleinsein. Ein Phänomen, das ich, nebenbei bemerkt, bei vielen meiner Freunde feststelle. Uns fällt es schwer, uns mit uns selbst zu beschäftigen. Kleine und große Abenteuer zu erleben, ohne das Gefühl zu haben, sie nur richtig genießen zu können, wenn wir sie mit jemandem teilen. Sie treibt wohl viele von uns, diese Angst vor dem Alleinsein. Genau das wollte ich ändern. Wie? Ich habe mir bewusst glückliche Momente geschaffen, die ich nur für mich erlebe. Ich habe mir meine Laufschuhe anzogen und bin durch den Wald gelaufen, habe mich mit einem Buch ins Café gesetzt und die Welt an mir vorbeiziehen lassen. Bin spontan in eine Stadt gefahren, auf die ich gerade Lust hatte. Ich bin nach Prag gereist und habe diesen Ort das erste Mal für mich alleine entdeckt und gemerkt, wie bereichernd diese Erfahrung sein kann.
Natürlich teile ich mein Leben noch immer gerne mit meinen Freunden und bin dankbar für jeden gemeinsamen, unvergesslichen Tag. Doch es ist ein gutes Gefühl, das Alleinsein nicht mehr zu fürchten, sondern es als etwas durchaus Gutes und Bereicherndes zu schätzen. Ich denke, wir alle sollten diese Momente, die nur uns gehören, mehr genießen. Keine Angst vor ihnen haben, sondern sie für all das nutzen, was uns guttut. Ich bin sicher: Es wird sich lohnen.
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