Die Fußgänger-Ampel an der Kreuzung schaltet auf Grün und ich gehe los. Kaum bin ich auf der Straße, reißt mich ein röhrendes Geräusch aus meinen Gedanken. Von der Abbiegespur kommt ein silberner Sportwagen angeschossen. Die Reifen quietschen auf dem Asphalt. Ich mache zwei schnelle Schritte zurück, das Auto kommt vor mir zum Stehen. Wäre ich in meinem ursprünglichen Tempo weiter gegangen, hätte ich die Motorhaube geküsst.
Ich schaue zum Fahrer, der etwa im gleichen Alter ist wie ich. Eine Entschuldigung? Fehlanzeige. Er gestikuliert wild und schimpft. "Reg dich nur auf, du Choleriker", denke ich mir und muss zu allem Überfluss grinsen. Seinem rot anlaufendem Kopf nach zu urteilen passt ihm das überhaupt nicht. Ich gebe ihm ein Zeichen, dass er weiter fahren soll, was er auch schnell macht. Gäbe es ein Motto auf den Straßen Deutschlands, wäre es vermutlich "Jeder gegen jeden". So scheint es zumindest, wenn man die Diskussionen in den Kommentarspalten in Sozialen Medien zu dem Thema sieht. Autofahrer schimpfen über Radfahrer und Lkw-Fahrer – und eigentlichen auch über alle anderen Verkehrsteilnehmer. Radfahrer beschweren sich über Autofahrer und über Menschen mit E-Bikes. Fußgänger sind genervt von Radfahrern, die nicht klingeln. Oder sie erschrecken sich, gerade weil jemand klingelt. Und seit ein paar Jahren ist ein neuer potenzieller Feind für alle hinzugekommen: Der E-Rollerfahrer.
Fakt ist: Rücksichtslose Verkehrsteilnehmer gefährden Leben. Würde ich an Ampeln oder anderen Überwegen die Straße zu Fuß oder mit dem Rad nicht vorausschauend überqueren, wäre ich vermutlich heute nicht mehr am Leben. Da nützt mir dann auch die Gewissheit nichts mehr, dass ich Vorfahrt gehabt hätte. Aber auch mutmaßlich betrunkene Radfahrer, die im Dunkeln ohne Licht zwischen Gehsteig und Straße wechseln, hatte ich schon vor mir, als ich mit dem Auto unterwegs war.
Eine allgemeine Lösung für weniger Stress im Straßenverkehr habe ich nicht. Zu wenig ausgebaute Infrastruktur für alle Verkehrsteilnehmer begünstigt Frustration oder Verärgerung. Manchmal hilft durchatmen und sich wieder bewusst werden, dass man nicht der Mittelpunkt der Existenz ist. Dann fällt es auch mit dem Rücksicht auf andere nehmen leichter. Die paar Sekunden, die man eher beim Supermarkt ist, sind es eh nicht wert.
OTon
Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen.
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