Seit dieser Woche gibt es für ihn eine dritte Baustelle, sagt Joachim Wolbergs. Neben juristischer und öffentlicher – auch eine familiäre Baustelle. Es sind die Tage, in denen seine Frau, seine Mutter und seine Schwiegermutter vor dem Landgericht aussagen müssen. Es geht um Wohnungsgeschäfte. Wolbergs' Amt als Oberbürgermeister soll zu Rabatten verholfen haben. Die Richter wollen erfahren, wie weit der Angeklagte bei Immobilienkäufen eingebunden war, ob er von Vergünstigungen wusste, sie vielleicht sogar eingefädelt hat, wie die Anklage vermutet. Wolbergs sagt mit Blick auf Privatsachen, die vielleicht öffentlich werden: Er fühle sich längst nackt.
Meier als Ziehmutter
2014 zieht Joachim Wolbergs als Oberbürgermeister ins Regensburger Rathaus ein. Der eloquente Sozialdemokrat passt zum urbaner werdenden Regensburg, wird getragen von einer Sympathiewelle. Er gibt sich volksnah, verspricht transparentere Entscheidungen. Im Wahlkampf spielt das Thema Wohnungsbau eine große Rolle. Der soll sozialer werden. Anders als CSU-Kontrahent Christian Schlegl steht Joachim Wolbergs für eine Zeitenwende.
Wolbergs kam 1971 in Regensburg zur Welt. Seine Eltern stammen aus Ostfriesland, der inzwischen verstorbene Vater ist damals als Altphilologe an der Uni beschäftigt. Wolbergs hat zwei jüngere Brüder, sie leben heute in Berlin. Als Klassen-, Schüler- und Bezirksschülersprecher beschäftigt sich Wolbergs mit bildungspolitischen Fragen und lernt die spätere Oberbürgermeisterin Christa Meier kennen. Sie wird seine politische Ziehmutter, 1988 tritt er der SPD bei.
1993 übernimmt Wolbergs die Geschäftsführung des Kulturzentrums Alte Mälzerei, dabei baut er gute Kontakte auf. Viele Weggefährten unterstützen ihn in der Politik. 2008 wird er zum dritten Bürgermeister gewählt, sechs Jahre später zum OB. Einige sehen ihn in der Landes- oder Bundespolitik, dieser Macher scheint nicht zu stoppen.
Zwei Jahre glänzt Wolbergs auch im Amt, dann folgt ein Paukenschlag: Die Staatsanwaltschaft macht 2016 ihre Ermittlungen öffentlich. Wolbergs beteuert seine Unschuld: "Ich war nie bestechlich." Die Amtsgeschäfte im Rathaus führt er bis 18. Januar 2017: Dann wird der Oberbürgermeister völlig überraschend verhaftet, vom Amt suspendiert. Sechs Wochen sitzt Wolbergs in Straubing. In der U-Haft wird er rund um die Uhr gefilmt. Wegen Suizidgefahr, sagt die Justiz. "So ein Schmarrn", sagt Wolbergs. Daran habe er nie gedacht.
Auch privat im Umbruch
Auch privat erlebt Wolbergs einen Umbruch: 2015 trennt er sich von Ehefrau Anja, mit der er lange Jahre ein Bilderbuchpaar zu bilden scheint - zwei Kindern und Reihenhaus inklusive. Anja Wolbergs hat Trennung und Spendenaffäre 2018 in einem Roman verarbeitet. Darin erklärt sie, ein gutes Verhältnis zu ihrem Mann zu haben. Gerüchte, sie selbst hätte die Spendenaffäre aus Eifersucht ins Rollen gebracht, dementiert sie aufs Heftigste.
Ihr Mann äußerte sich erst zum Prozessauftakt im September 2018. In seinem Eröffnungsstatement am zweiten Verhandlungstag sagt er, dass man "krank" sein müsse, seiner Frau so etwas zu unterstellen. Seine mehrstündige Rede macht deutlich, der OB will die Korruptionsvorwürfe restlos ausräumen. "Deshalb ziehe ich mich heute nackt vor Ihnen aus, ich will meine Unschuld beweisen." Er sei gefrustet, verspüre Wut. "Ich habe alles verloren. Und ich meine, zu Unrecht." Mehrmals betont Wolbergs, wie entwürdigend er die Berichterstattung und die Ermittlungen empfinde. "Am schlimmsten war aber, dass der Untersuchungsrichter einfach zu mir sagt: Ich glaube Ihnen nicht. Und das war's dann."
Er sagt, er sei sich bewusst, dass er nicht alles richtig gemacht hat. Beim Notartermin zum Kauf der Wohnung seiner Mutter etwa habe er nicht richtig hingehört. Der Ausschluss des Innenausbaus hätte ihm auffallen müssen "dafür können Sie mich an die Wand nageln". Gleiches gelte für das Darlehen, das er seinem SPD-Ortsverband gewährt habe, obwohl er wusste, es würde nicht innerhalb eines Jahres zurückbezahlt. "Natürlich gibt es Dinge, die ich heute anders machen würde. Dinge, bei denen ich vielleicht nicht gut genug aufgepasst habe, auch mal schlampig war. Ich habe Fehler aus dem ganz normalen Leben gemacht, aber ich habe niemals etwas strafrechtlich Relevantes getan."
Wolbergs will zurück
Fünf von sieben Teilen des Prozesses sind inzwischen abgearbeitet. Doch der aktuelle zu Wohnungsgeschäften, ist für Wolbergs womöglich der schwerste. Hier geht es nicht nur um Vorteile, sondern um seine Familie. Seine Frau Anja wird am heutigen Donnerstagvormittag befragt, am Nachmittag tritt seine Schwiegermutter in den Zeugenstand. Die Mutter muss am kommenden Montag im Prozess aussagen.
Wolbergs weiß, die Vorwürfe gegen ihn lassen sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Zumal immer noch Ermittlungen gegen ihn laufen, weitere Prozesse könnten folgen. Doch aufgeben steht nicht auf seiner Agenda. "Es wird ihnen nicht gelingen, aus mir ein Neutrum zu machen, einen gefühlskalten Menschen", ruft er Oberstaatsanwalt Markus Pfaller am 30. Verhandlungstag entgegen. 2020 will er wieder für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren.
Um eine Chance zu haben, muss er sich rehabilitieren. Er versucht das über Facebook-Videos - und vor Gericht. An jedem Verhandlungstag gibt er Erklärungen ab. Ordnet Zeugenaussagen ein, zeigt seinen Alltag als OB, erklärt Hintergründe von Telefonaten. Vielen drängt er sich damit zu sehr in den Mittelpunkt. Er sagt: "Ich kann nicht anders." Mehrere Monate wurde der OB abgehört, seine Nachrichten wurden sichergestellt und ausgewertet. Wie sehr ihn die Eingriffe in sein Privatleben getroffen haben, wird in vielen seiner Erklärungen deutlich. Am vergangenen Dienstag sagt er: "Mein Bruder hat einen Partner, er ist nämlich schwul. Dann weiß das wenigstens auch gleich jeder."













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