Regensburg
03.07.2019 - 14:08 Uhr

Fast-Freispruch für Wolbergs

Obwohl der Hauptangeklagte Joachim Wolbergs schuldig gesprochen wurde, trifft das Urteil vor allem die Staatsanwälte. Was am Mittwoch im Regensburger Landgericht passiert ist, davon wird noch lange die Rede sein.

Joachim Wolbergs spricht vor dem Verhandlungssaal des Landgerichts zu Journalisten. Bild: Armin Weigel/dpa
Joachim Wolbergs spricht vor dem Verhandlungssaal des Landgerichts zu Journalisten.

Nach 60 Verhandlungstagen verlässt der suspendierte OB Joachim Wolbergs das Landgericht straffrei. Von den Vorwürfen bleiben zwei Fälle der Vorteilsannahme. Das Urteil von Richterin Elke Escher gleicht einer Ohrfeige für die Staatsanwaltschaft. Als das Urteil fällt, bleibt Wolbergs ruhig. Kein Jubel, nur Wolbergs‘ Anwältin Jutta Niggemeyer-Müller blickt freudig-triumphierend in Richtung Journalisten. Erst als Wolbergs den Gerichtssaal in einer Pause verlässt und von Kamerateams umringt ist, brechen die Emotionen heraus: Drei Jahre sei er wie ein „Stück Scheiße“ behandelt worden. Die Ermittlungen hätten einen Schleier der Korruption über die Stadt gelegt. „Das ist alles Unsinn.“ Er habe drei Jahre verloren. Auch zu seiner politischen Zukunft äußert er sich: „Die Suspendierung muss aufgehoben werden.“ Wolbergs will zurück ins Amt.

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Regensburg24.05.2019

Die Staatsanwaltschaft hatte Wolbergs zudem Bestechlichkeit zur Last gelegt und eine Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren gefordert. Seine Verteidiger plädierten auf Freispruch.

Heftige Kritik übte die Richterin an der Ermittlungsarbeit der Anklagebehörde. Wolbergs habe sich nicht kaufen lassen. Zudem hätte sie sich eine andere Ermittlungsarbeit gewünscht. Escher verwies auf schwere Fehler, so seien die Datenaufzeichnungen beim Abhören von Telefonaten teilweise grundrechtswidrig gewesen. Einen der Anklagepunkte bezeichnete sie als "geradezu abenteuerlich".

Norbert Hartl wird freigesprochen

Die Vorstellung, dass ein Weg zurück ins Amt schnell möglich ist, zerstreut die Landesanwaltschaft. Ein Sprecher erklärt, man werde die schriftliche Begründung abwarten. Außerdem stehe ein weiterer Prozess an.

Diesmal liegen die Strafen weit von den Vorstellungen der Staatsanwaltschaft, die für Wolbergs und Bauträger Volker Tretzel je viereinhalb Jahren gefordert hatte. Bei Wolbergs sieht die Kammer von einer Strafe ab. Tretzel erhält eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten sowie eine Auflage von 500 000 Euro. Sein ehemaliger Geschäftsführer Franz W., muss 180 Tagessätzen zu je 25 Euro zahlen. Norbert Hartl wird freigesprochen.

Wolbergs bleibt suspendiert:

Trotz des weitgehenden Freispruchs im Korruptionsprozess bleibt der Regensburger Oberbürgermeister Joachim Wolbergs suspendiert. Die Landesanwaltschaft werde die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und den Fall dann erneut prüfen, teilte sie am Mittwoch in München mit.

Eine Genugtuung

Eine Genugtuung für Wolbergs müssen die Ausführungen der Richterin zu Beginn der Urteilsverkündung sein. Sie nennt Wolbergs „einen Oberbürgermeister, der suspendiert wurde und vor den Trümmern seines Lebens steht, der keine einzige rechtswidrige Tat begangen hat und sich nicht hat kaufen lassen“. Dass die Staatsanwaltschaft nicht vom Vorwurf der Bestechlichkeit abrückte, dafür zeigt sie kein Verständnis. Die Staatsanwaltschaft habe entlastende Beweise weitgehend ignoriert. Die Staatsanwaltschaft versuche mit ihrer hohen Strafforderung zu rechtfertigen, dass ein Oberbürgermeister ruiniert wurde. Escher nennt zahlreiche Ermittlungspannen und eine zeitweise zu offensive Medienarbeit. „Wenn der OB verhaftet wird, muss an den Vorwürfen was dran sein“, hätten sich viele Leute gedacht. Dabei wäre für die Anordnung der U-Haft „nach heutigem Stand der Erkenntnisse kein Raum gewesen“.

Die Hauptverhandlung habe ergeben, dass es keine „korruptive Dauerbeziehung“ gab, wie es die Staatsanwaltschaft nannte. Vielmehr seien bei Wolbergs von allen Anklagepunkten lediglich zwei Fälle von Vorteilsannahme zu beanstanden: 2015 und 2016, als er bereits OB war, habe er insgesamt knapp 150 000 Euro aus dem Tretzel-Umfeld für seinen SPD-Ortsverein angenommen. Dies hätte er nicht tun dürfen, da er in dieser Zeit mit konkreten Vorhaben des Bauteams Tretzel (BTT) zu tun gehabt habe. Pflichtwidrige Diensthandlungen habe Wolbergs nicht vorgenommen, betont Escher. Außerdem relativiere sich die Schuld, da Wolbergs an die Zulässigkeit der Spenden geglaubt habe.

Staatsanwaltschaft kündigt Revision an:

Der Regensburger Korruptionsprozess wird ein Fall für den Bundesgerichtshof. Die Staatsanwaltschaft kündigte noch am Mittwoch trotz Schuldsprüchen Revision gegen das Urteil an. Dabei geht es der Mitteilung zufolge um die Angeklagten, die das Landgericht am Vormittag freigesprochen hatte beziehungsweise bei denen sie trotz Verurteilung wegen eines Delikts von Strafe abgesehen hatte. (dpa)

Gestückelt und verschleiert

Escher macht deutlich, dass dem nicht so war: Sie sieht es als erwiesen an, dass bei BTT ein Strohmannsystem herrschte, durch das Großspenden gestückelt und verschleiert wurden. So erklärt sich auch die höhere Strafe für Tretzel. Er sei im Gegensatz zu Wolbergs mit den Interna von BTT vertraut gewesen, aus denen hervorgegangen sei, dass teilweise Strohmannspenden flossen, urteilt Escher. Auf den Besucherplätzen fließen Tränen bei Wolbergs-Freunden. Später wird Wolbergs Freunde und seine Tochter lange in den Arm nehmen.

Völlig anders fällt die Reaktion der Staatsanwaltschaft aus. Im Gerichtssaal hören die Staatsanwältinnen Christine Ernstberger und Ingrid Wein stoisch zu. Bei den Journalisten trudelt eine Mitteilung von Oberstaatsanwalt Markus Pfaller, ein. Er weist Eschers Kritik zurück – und erhebt Vorwürfe. Die Strafkammer habe persönlichen Diffamierungen gegen Vertretern der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet. „Irritierend“ seien auch manche Äußerungen in der Urteilsbegründung. Außerdem kündigt Pfaller an, das Urteil durch den Bundesgerichtshof überprüfen lassen.

Urteil im Detail: Joachim Wolbergs:

Die Wirtschaftsstrafkammer lastet Wolbergs zwei Fälle der Vorteilsannahme im Zusammenhang mit den Parteispenden der Jahre 2015 und 2016 an. Dabei geht es nach Gerichtsangaben um insgesamt rund 150 000 Euro. Darüber hinaus entscheidet das Gericht, dass Wolbergs in allen übrigen Anklagepunkten freizusprechen sei. «Der verbliebene Schuldvorwurf relativierte sich erheblich durch die Feststellung, dass der Oberbürgermeister stets im Glauben an die Zulässigkeit der Spenden und damit in einem, wenn auch vermeidbaren, Verbotsirrtum gehandelt hatte», heißt es in einer Mitteilung. Die Folgen des Verfahrens seien für ihn besonders nachteilig gewesen. Für eine Verurteilung vor allem wegen Bestechlichkeit oder Annahme privater Vorteile sah die Kammer keine Grundlage. Was Wolbergs zur Entlastung angebracht hatte, stufte sie in vollem Umfang als glaubhaft ein.

Urteil im Detail: Volker Tretzel:

Entsprechend dem Urteil gegen Wolbergs sah das Gericht bei dem Bauunternehmer 2015 und 2016 zwei Fälle der Vorteilsgewährung. Im Gegensatz zu Wolbergs sei Tretzel zudem mit Interna seiner Firma vertraut gewesen, aus denen hervorging, «dass zumindest teilweise Strohmannspenden geleistet wurden». Deswegen nahm die Kammer den Angaben zufolge bei ihm zusätzlich fünf Fälle des Verstoßes gegen das Parteiengesetz für die Jahre 2011 bis 2015 an. Das Urteil: Eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung und einer Geldauflage von einer halben Million Euro.

Urteil im Detail: Franz W.:

Bei diesen fünf Verstößen gegen das Parteiengesetz und der ersten von beiden Vorteilsgewährungen ist W. aus Sicht des Gerichts Mittäter gewesen. Das Urteil: Eine Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 25 Euro.

Urteil im Detail: Norbert Hartl:

Das Gericht sprach Hartl frei, weil es keine Verfehlung im Sinne einer Beihilfe für Wolbergs feststellte.

 
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