1981 veröffentlichte der aus großbürgerlich-jüdischen Verhältnissen stammende Léon Poliakov die Erinnerungen an sein bewegtes Leben, die es nun auch auf deutsch bereits in die zweite Auflage geschafft haben. Am Freitag, 14. Februar (19.30 Uhr), stellen Herausgeber Alexander Carstiuc, Mitübersetzer Jonas Empen und Lektorin Janina Reichmann „St. Petersburg-Berlin-Paris. Memoiren eines Davongekommenen“ in der Buchhandlung Volkert vor. Im Interview berichten Alexander Carstiuc und Jonas Empen, wie sie auf Léon Poliakov aufmerksam wurden und was das Buch mittlerweile bewegt hat.
ONETZ: Herr Carstiuc, wann haben Sie Léon Poliakov und sein Lebenswerk das erste Mal wahrgenommen?
Alexander Carstiuc: Ich habe Poliakov zum ersten Mal im Kontext meiner Diplomarbeit zum Antisemitismus 2003 wahrgenommen, Poliakov hat eine achtbändige Analyse zur Geschichte des Antisemitismus verfasst,die auch ins Deutsche übersetzt worden ist. Zudem die bahnbrechende Schrift vom Antizionismus zum Antisemitismus, in der er die Feindschaft gegen Israel als die neue Essenz der jahrtausendealten Judenfeindschaft begreift und nicht nur den rechten, sondern ebensosehr den islamischen und linken Antisemitismus kritisiert. Ich war beeindruckt von der Quellenvielfalt und der Schärfe seiner Analysen, seine bewegte Biographie war mir damals aber noch unbekannt.
ONETZ: Und wie lange ist in Ihnen die Idee gereift, dessen Memoiren auf deutsch herauszugeben?
Alexander Carstiuc: Bei einer Archivrecherche zu einem anderen Projekt in Frankreich bin ich 2013 nochmals auf Poliakovs Werke gestoßen und mir wurde bewusst, dass die meisten seiner über dreißig Bücher nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Bei dieser Gelegenheit fiel mir auch seine Autobiographie in die Hände. Seine Lebensgeschichte faszinierte mich sofort und ich habe mehrere Verlage kontaktiert um für ein Übersetzungsprojekt zu werben. Nach jahrelangen vergeblichen Versuchen war Klaus Bittermann schließlich schnell überzeugt und ermöglichte eine Übersetzung in der Edition Tiamat.
ONETZ: Wenn man sich so intensiv mit dem Leben einer Person auseinandersetzt, entsteht da auch ein Gefühl persönlicher Nähe?
Alexander Carstiuc, Jonas Empen: Auf jeden Fall entsteht eine Art Vertrautheit. Nach der Veröffentlichung des Buches wurde uns ein Foto von Poliakov als Soldat im Jahr 1939 zugeschickt und wir dachten sofort, das ist genau der Poliakov, den wir kennen: Etwas schelmisch lächelnd, mit dem gleichen skeptischen und weisen Blick, mit dem er auch als älterer Mann in seiner Autobiographie auf sein Leben zurück schaut.
ONETZ: Hat die Veröffentlichung des Buches dazu beitragen können, Léon Poliakovs Leistungen als Holocaust-Forscher der ersten Stunde endlich mehr Anerkennung zu verschaffen?
Alexander Carstiuc, Jonas Empen: Definitiv, wir hatten gute Rezensionen im Deutschlandfunk, vielen Zeitungen und haben das Buch schon fünfzehn mal in öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt, die erste Auflage ist auch schon verkauft. Die Anerkennung der frühen Holocaustforschung steht hierzulande insgesamt noch ziemlich am Anfang. Erst seit einigen Jahren wird diese Geschichte vermehrt wahrgenommen und erforscht, wie z.B. auch das Wirken des langjährigen Partners von Léon Poliakov, Joseph Wulf. Deutsche Historiker hatten jahrzehntelang die Anliegen jüdischer Überlebender des Massenmordes bagatellisiert und diffamiert und beanspruchten die Deutungshoheit über die deutsche Geschichte und den Holocaust. Mit unserer Übersetzung möchten wir der Perspektive der Opfer und Widerstandskämpfer mehr Gehör verschaffen.
ONETZ: Mit Blick auf den erneut wieder deutlich zunehmenden Antisemitismus: Wäre es nicht höchste Zeit, Poliakovs bereits 1951 veröffentlichte, maßgebliche Analyse „Brevier des Hasses“ endlich auch auf deutsch zu veröffentlichen?
Alexander Carstiuc, Jonas Empen: Dieser Ruf wurde auch schon in einer Besprechung unserer Übersetzung laut. Tatsächlich hat der Verlag Edition Tiamat bereits die Rechte von dem Werk erworben und plant im nächsten Jahr eine deutsche Ausgabe herauszugeben - mit dann knapp 70 Jahren Verspätung! Es ist in jedem Fall erstaunlich, wie zutreffend die Analysen Poliakovs in dem Werk sind. Vieles von dem, was Historiker deutlich später herausgearbeitet haben, steht schon in "Brévaire de la Haine".
Service
Karten 7 Euro im Vorverkauf bei der Buchhandlung Volkert, Tel. 09661/812373. Das Buch „Léon Poliakov. St. Petersburg-Berlin-Paris. Memoiren eines Davongekommenen“, 288 Seiten, aus dem Französischen von Jonas Empen, Jasper Stabenow und Alexander Carstiuc, ist im Verlag Edition Tiamat erschienen und kostet 24 Euro. Die Übersetzung wurde unterstützt von der Fondation pour la Mémoire de la Shoah, Paris.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.