Ohne Übersetzungen wäre der literarische Kosmos arm. Dass sich diese kreative Leistung nicht hinter dem Original verstecken muss, liegt eigentlich auf der Hand. Gebührend gewürdigt wird sie allerdings selten. Davon kann auch Übersetzerin Elke Ranzinger ein Lied singen. Umso mehr freut sie sich auf ihre gemeinsame Lesung mit der norwegischen Schriftstellerin Helga Flatland am Dienstag, 15. Oktober um 19.30 Uhr im Literaturhaus Oberpfalz. Ein Interview.
ONETZ: Frau Ranzinger, wie kam es zum Wechsel von der Schauspieldramaturgin zur Übersetzerin?
Darauf könnte ich Ihnen eine lange Antwort über die ausbeuterischen Bedingungen des Theaterbetriebs und das Aufgehen von Kunst in Produktion geben, aber das würde hier zu weit führen. Kurz gesagt habe ich mich nach über 16 Jahren in unterschiedlich kreativen und auch verantwortungsvollen Positionen an verschiedenen Theatern vor der Entscheidung gesehen, ob ich meine Wertvorstellungen und künstlerischen Ideale oder meine Gesundheit und mein Privatleben dem Betrieb opfere, oder ob ich nicht den riskanten Schritt in ein Leben außerhalb des Theaters wage, von dem ich damals noch nicht wusste, was es sein sollte.
ONETZ: Wann kristallierte sich das neue Tätigkeitsfeld heraus?
Als dann nach einem Jahr Orientierungspause das Übersetzen quasi in meinem Leben auftauchte – auch das eine längere Ausführung -, erkannte ich, dass diese Art von Arbeit am Text eine direkte und vor allem kreativere Fortführung meiner Arbeit als Produktionsdramaturgin war. Am Theater hatte ich geholfen, Texte von Papier auf die Bühne, in Körper zu übersetzen, heute tue ich das von einer Sprache in eine andere. Nur bin ich jetzt sozusagen Regisseurin und Schauspielerin in einem.
ONETZ: Übersetzen ist ja mehr als nur eine wortgetreue Übertragung. Wie viel Ihrer eigenen literarischen Kreativität steckt beispielsweise in „Eine moderne Familie“?
Sie haben völlig Recht, es geht beim Übersetzen nicht darum, alle Worte richtig zu übersetzen, sondern es ist eine Suche nach einer deutschen Stimme für in diesem Fall eine norwegische Autorin. Was ich dabei genau mache, geschieht höchst intuitiv, aber vielleicht kann ich es so beschreiben: Ich versuche über mehrere Durchgänge hinweg mithilfe meines Wissens über die Ausgangssprache in das literarische Denken der Autorin für diesen Roman zu schlüpfen, um dann mit meinem Wissen über das Deutsche, mit all seinen Möglichkeiten, Unterschieden, literarischen Bezugspunkten, Traditionen usw., den Text auf Deutsch zu denken und niederzuschreiben.
ONETZ: Spielen dabei auch subjektive Einflüsse eine Rolle?
Beides Wissen ist natürlich nicht rein objektiv, sondern persönlich geprägt. Ich übertrage nach bestem persönlichem Wissen und Gewissen alles, was ich sehe, höre und verstehe in ein Deutsch, das eben dieses Sehen, Hören, Verständnis für deutsche Leser möglich macht. Dieser Prozess der Anverwandlung ist ganz ähnlich der Arbeit von Schauspieler*innen an einer Rolle und meines Erachtens in jedem Moment kreativ. Um also Ihre Frage zu beantworten, jedes deutsche Wort in „Eine moderne Familie“ ist eine mal mehr, mal weniger bewusste und immer wieder auch mit dem Lektorat diskutierte Entscheidung, der ein kreativer Prozess vorausging.
ONETZ: Mit Ihrer Arbeit tragen Sie maßgeblich zum Erfolg eines Buches im deutschsprachigen Raum bei und bleiben doch allenfalls eine Randanmerkung in Kritik und Besprechung. Wie gehen Sie damit um?
Schön, dass Sie das ansprechen. Ja, ohne Übersetzung keine Weltliteratur! - Das wird viel zu oft von viel zu vielen Seiten vergessen! Uns Übersetzer*innen bleibt nur, ständig und auf unterschiedlichen Ebenen an unserer Sichtbarkeit zu arbeiten, indem wir öffentlich über unsere Arbeit sprechen, aus unseren Werken lesen, Rezensent*innen zur Übersetzungskritik auch bei fehlender Sprachkenntnis ermutigen und überhaupt auf fehlende Übersetzer*innennennung hinweisen.
ONETZ: Und Ihr Gefühl dabei?
Wenn in einer Rezension eines von mir übersetzten Buchs mal wieder die wunderbare Sprache von Autorin X oder Autor Y gelobt wird, als wäre der Text auf deutsch geschrieben und nicht übersetzt worden, überkommt mich persönlich immer ein ambivalentes Gefühl: eine stille Freude über die positive Aufnahme des Buches, denn ich ja weiß, dass dieses Lob zu großem Teil an mich geht und der traurige Ärger, dass dies nicht öffentlich wertgeschätzt wird. Ohne eine ordentliche Portion Demut und Hingabe an etwas Fremdes kann man glaub ich nicht übersetzen, was noch lange nicht rechtfertigt, unerwähnt zu bleiben.
Service
Die Lesung mit Schriftstellerin Helga Flatland und Übersetzerin Elke Ranzinger wird von der Buchhandlung Volkert veranstaltet. Tickets 9 Euro im Vorverkauf bei der Buchhandlung Volkert, Tel. 09661/812373, oder an der Abendkasse. Der vorgestellte Roman "Eine moderne Familie", 308 Seiten, fadengeheftete Broschur, gefördert von NORLA Norwegian Literature Abroad, ist im Weidle Verlag erschienen und kostet 25 Euro.
Zur Person
Elke Ranzinger hat Theaterwissenschaft, Nordistik und Neuere Deutsche Literatur in München und Bergen studiert. Sie arbeitete als Schauspieldramaturgin am Landestheater Linz und begann 2015 ihre Tätigkeit als Übersetzerin. Sie lebt in Berlin.
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