Im Interview erzählt der 46-Jährige von Tabu-Themen, seinen Ideen für mehr Akzeptanz, wie er damals sein eigenes Outing erlebte und warum Neustadt der beste Ort für den Christopher Street Day ist.
ONETZ: Homosexualität, Trans, Divers - noch immer gesellschaftliche Tabu-Themen?
Alexander Irmisch: Das Thema Homosexualität ist es seit einigen Jahren zum Glück nicht mehr. Intergeschlechtlichkeit, Bisexualität, Transgeschlechtlichkeit, das sind große Tabu-Themen. Zum einen, weil viele nicht wissen, was sich hinter diesen Begriffen und Lebensarten verbirgt und es deshalb massiv ablehnen. Ein Tabu ist es aber auch für Betroffene, weil sie Angst vor den Reaktionen ihres Umfeldes haben und schweigen, mit sich hadern und so nicht selten mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen zu kämpfen haben. In diesen Bereichen brauchen wir dringend mehr Transparenz, Akzeptanz und Verständnis. Niemand sucht sich seine sexuelle Orientierung oder Geschlechtlichkeit aus – und niemand sollte deshalb verurteilt werden.
ONETZ: Wann hast du dich geoutet?
Alexander Irmisch: Erst, als ich 25 war. Natürlich habe ich das für mich selbst schon früher gewusst – oder vermutet. Damals hatte ich kein Internet, keine Möglichkeit, mich zu informieren, keine Berührungspunkte zum Thema Homosexualität. Man muss sich auch die Zeit vorstellen: Erst 1994 wurde der Paragraph 175 aus dem Strafgesetzbuch genommen, der gleichgeschlechtliche Beziehungen als strafbar definierte. Nach dem Abitur war ich bei der Bundeswehr, da war das Thema ein absolutes Tabu. Ich habe es lange verheimlicht und verdrängt, was nicht leicht war. Erst, als ich mit meinem Jurastudium begonnen habe, ist es öffentlich geworden. Aber nicht, weil ich es so wollte. Ich habe ein Mädchen kennengelernt, das sich mehr erhofft hat. Als sie gemerkt hat, dass ich kein Interesse an ihr habe, und warum, hat sie mich per Fax geoutet. Diese Nachricht ging an sämtliche offizielle Unistellen. Das war eine Katastrophe für mich. Eine Woche habe ich mich zurückgezogen. Als ich wieder zur Uni gegangen bin, waren die Reaktionen meiner Mitkommilitonen positiv. Sie haben mir gesagt, dass sich nichts ändern wird. Keine Anfeindungen, sondern Verständnis. Meine Angst war größer als die Realität. Ich hatte Glück. Es hätte anders sein können, wie ich von vielen Fällen weiß.
ONETZ: Wie sehen diese Fälle aus?
Alexander Irmisch: Für Betroffene ist es eine enorme psychische Last. Zum einen hadern sie mit sich selbst, weil ihnen nicht klar ist, was mit ihnen los ist. Zum anderen sind sie großem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt. Ich kenne Fälle, in denen Homosexuelle aus den Familien ausgeschlossen wurden. Was sie oft hören: Du kannst das schon ausleben, aber nicht bei uns. Dadurch entsteht eine emotionale Notsituation. Wenn die Familie nicht hinter einem steht, ist das wahnsinnig belastend. Das zeigt sich auch an der Suizidrate unter jungen, queeren oder transidenten Menschen, die sehr hoch ist. Auch deshalb engagiere ich mich in diesem Bereich. Wenn ich verhindern kann, dass sich ein Betroffener das Leben nimmt, habe ich mein Ziel erreicht. Genau dafür bietet auch unser Verein eine Anlaufstelle.
ONETZ: Du bist Vorsitzender von Equality Oberpfalz e.V. Woher kommt dein Engagement?
Alexander Irmisch: Ich komme aus einer politischen Familie. Schon meine Großeltern haben sich für andere Menschen eingesetzt. Deshalb war das auch für mich schon als Kind selbstverständlich. Ich wollte meine Stimme solchen geben, die für sich selbst nicht laut sein können. Als der Verein im November 2019 gegründet worden ist, war ich bereits seit über 20 Jahren queer-politisch engagiert, unter anderem im Landesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes. Ich war auch in die Vereinsgründung involviert. Da ich jemand bin, der gut darin ist, Öffentlichkeitsarbeit zu machen und über all die Jahre ein großes Netzwerk aufgebaut hat, habe ich diese Position übernommen. Das alles würde aber nicht ohne ein gutes Team funktionieren.
ONETZ: Gab es Angebote fpr die Queer-Community in Weiden vor Equality Oberpfalz?
Alexander Irmisch: Anlaufstellen für Betroffene, die Fragen hatten, Unterstützung suchten oder sich austauschen wollten, gab es kaum. Und wenn, dann waren sie nicht strukturiert. Das Problem war, dass die wenigen Angebote nicht aus der Queer-Community kamen. Das bedeutet, sie wurden von Stellen initiiert, die kaum Berührungspunkte mit den Anliegen von Homosexuellen oder Trans-Personen hatten. Das ist aber wichtig, denn nur, wenn man weiß, welche Themen uns wirklich beschäftigen, kann man eine sinnvolle Institution schaffen. Genau deshalb haben wir diesen Verein gegründet.
ONETZ: Wofür setzt sich euer Verein ein?
Alexander Irmisch: Unsere Aufgaben sind vielfältig. Wir sind eine Anlaufstelle für Betroffene, sprechen mit ihnen über ihre Probleme, beraten sie oder leiten sie an spezielle Beratungsstellen weiter. Zudem bieten wir Vernetzungsmöglichkeiten innerhalb der Queer-Community. Unser Ziel ist es zu zeigen, wie vielfältig das queere Leben auch in der Oberpfalz ist. Das wollen wir auch in der Gesellschaft etablieren. Das funktioniert nur durch Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb planen wir Informationsveranstaltungen, leisten Bildungsarbeit und bieten kulturelle Events mit queer-politischen Themen. Wir wollen Vorurteile gegenüber Lesben, Schulen, Bi-, Trans-, Inter- und Asexuellen abbauen und gegen die Diskriminierung vorgehen. Gleichzeitig wollen wir der Stigmatisierung von Menschen mit HIV und AIDS entgegenwirken und Opfer von Straftaten unterstützen. Wir bieten allen ein offenes Ohr, die unsere Hilfe brauchen – und bisher wird das Angebot gut angenommen. Auch der Stammtisch, der regelmäßig stattfindet, ist gut besucht. Für mich persönlich ist es auch wichtig, für die Trans-Community im ländlichen Raum einzustehen
ONETZ: Wie sehen die Vorurteile aus?
Alexander Irmisch: Als homosexueller Mann darf man beispielsweise nur Blut spenden, wenn man vier Monate lang abstinent gelebt hat. Bis vor einiger Zeit waren es noch zwölf Monate. Der Grund: Es wird Homosexuellen unterstellt, dass sie viele wechselnde Sexualpartner haben und dadurch Risikopersonen für HIV oder AIDS sind. Das ist diskriminierend. Ich verstehe, dass man bei Risikopersonen vorsichtig sein muss, um andere nicht zu gefährden. Aber das auf homosexuelle Männer zu reduzieren, ist stigmatisierend und falsch. Es gibt viele, die einen lockeren Lebenswandel haben. Das hat aber nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun. Darauf sollte man sein Augenmerk legen. Ein weiteres Vorurteil: Wir wären viel zu feminin. Nicht hart genug. Das ist absurd. Oder: Zwei schwule Männer könnten kein Kind großziehen, weil dann auch das Kind homosexuell werden würde. Oft wird auch der Vorwurf laut, dass schwule Männer pädophil seien. Wir erleben nicht nur Anfeindungen, sondern auch massive Übergriffe. Transfrauen- und Männer werden auf offener Straße verprügelt. Menschen fühlen sich noch immer gestört, wenn sie zwei Männer sehen, die sich öffentlich küssen. Vor Kurzem wurde ein Freund von mir angesprochen, der seinen Partner küsste. Eine Frau fragte ihn, wie sie das bitte ihrem kleinen Kind erklären solle. Mein Bekannter beugte sich zu dem kleinen Jungen und fragte ihn, was er denke, was die zwei Männer machen würden. Der Junge sagte: „Na, ihr habt euch lieb.“ Kinder sind oft so viel offener als Erwachsene.
ONETZ: Viele haben Angst vor ihrem Outing. Ihr begleitet Betroffene ...
Alexander Irmisch: … und das ist von Fall zu Fall individuell. Es hängt davon ab, was sich die meist Jugendlichen wünschen. Manche wenden sich an uns und fragen nach unseren Erfahrungen: „Wie war das damals bei euch?“ „Wie kann ich das Thema bei meinen Eltern ansprechen?“ Andere fürchten die Reaktion ihres Umfeldes und wollen diesen Schritt nicht allein gehen. Dann begleiten wir sie zu einem Treffen mit den Eltern oder Freunden. Dort stehen wir unterstützend bei – auch den Eltern. Denn auch sie sind im ersten Moment überfordert. Auch das ist ein Problem, denn Eltern von homosexuellen oder transidenten Kindern haben keine Anlaufstelle, um sich zu informieren oder sich auszutauschen. Viele hadern mit sich und fragen: „Was habe ich falsch gemacht?“ Das ist alles nicht rational. Deshalb muss man ihnen vermitteln: Es ist alles gut. Das ist alles normal. Ihr habt nichts falsch gemacht.
ONETZ: Ist es für Menschen in ländlichen Gebieten wie Weiden schwieriger, sich zu outen?
Alexander Irmisch: Auf jeden Fall. In Großstädten wie München oder Berlin ist es leichter. Das hängt oft damit zusammen, dass es hier noch sehr wenige Strukturen gibt, wenige Netzwerke. Homosexuelle fühlen sich oft allein gelassen, als eine Art „Sonderfall“. Nehmen wir an du bist queer und lebst auf dem Dorf. Dort gibt es niemanden, der offen schwul oder lesbisch lebt. Das drängt dich in eine scheinbare Außenseiterrolle und verursacht Ängste. Eine Rolle spielen auch die Vereine, beispielsweise Schützen- oder Fußballvereine. In ihnen herrschen noch klassische Rollen- und Familienbilder. Anders zu sein würde den Ausschluss oder sogar Anfeindung bedeuten. Dazu kommt, dass der ländliche Raum noch immer stark religiös geprägt ist. Ist vielleicht die Familie in einer Pfarrei aktiv, fällt den Betroffenen der Schritt zum Outing unheimlich schwer. Das führt dazu, dass viele aus ihrer Heimat weggehen, um frei in einer Großstadt leben zu können. Dort finden sie Strukturen und können Teil einer Community werden. Das ist schade, weil niemand deshalb seine Heimat verlassen sollte. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Eltern und das Umfeld offen auf das Outing reagieren. So sollte es auch sein.
ONETZ: Seit Kurzem bietet ihr in Weiden die Jugendgruppe "EQUALITeens" an ...
Alexander Irmisch: … richtig. Das ist eine Anlaufstelle, die wir mit dem Jugendzentrum anbieten. Die Idee ist, dass wir für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die vor den Fragen „Was bin ich eigentlich? oder „Wie kann ich mich outen?“ stehen, Gesprächsangebote schaffen. Vor Ort sind zwei Vertreter*innen unseres Vereins, die sich in der Jugendarbeit engagieren. Sie bieten einen offenen Austausch – und das in einem geschützten Bereich. Das Angebot ist niederschwellig und findet in lockerer Atmosphäre statt. Zwischen Kicker spielen oder Playstation zocken haben Jugendliche die Möglichkeit, mit uns zu sprechen oder sich mit anderen auszutauschen. Das Treffen ist ein Mal pro Monat freitags. Bisher wird es sehr gut angenommen.
ONETZ: Was hat sich in den vergangenen 20 Jahren in Sachen Gleichberechtigung verändert?
Alexander Irmisch: Das Thema Homosexualität ist transparenter geworden. Wir haben große Schritte in Richtung Gleichberechtigung gemacht. Allerdings hat die immer zwei Seiten. Die rechtliche und die gesellschaftliche. Die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und die damit verbundene Möglichkeit, ein Kind adoptieren zu können, ist ein großer Fortschritt. Jedoch wird diese Familienform in weiten Teilen der Gesellschaft nicht akzeptiert. Für viele Menschen ist es unvorstellbar, dass zwei Männer oder zwei Frauen ein Kind großziehen können, ohne es „falsch zu prägen“. Ich denke, dass ist noch ein langer Weg, aber ich bin optimistisch, dass er sich weiterhin gut entwickelt.
ONETZ: Warum habt ihr für den Christopher Street Day am 4. Juni Neustadt gewählt?
Alexander Irmisch: Das war eine bewusste Entscheidung. Wir haben gezielt diesen ländlichen Raum gewählt, um ein Zeichen für die queeren Menschen auf dem Land mit all den Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu setzen. Nämlich: Ihr seid nicht allein. Gleichzeitig sollte der Veranstaltungsort zentral genug sein, sodass ihn viele Menschen erreichen können. Dafür ist Neustadt perfekt. Auch der Bürgermeister war sehr offen für die Idee. Das Motto ist: Sichtbarkeit schafft Sicherheit. Das ist das Ziel. Wir wollen auf uns aufmerksam machen und Vorurteile abbauen.
ONETZ: Was ist geplant?
Alexander Irmisch: Die Veranstaltung ist zweigeteilt. Um 15 Uhr startet ein Demonstrationszug vom Stadtplatz aus. Wenn er dort wieder ankommt, endet der politische Teil – und das Fest beginnt. Es gibt Musik, wir haben eine Podiumsdiskussion geplant, und natürlich hoffen wir auf einen offenen Austausch. Uns ist wichtig, dass jeder willkommen ist, auch Menschen außerhalb der Queer-Community. Wir sind offen für Fragen und wünschen uns, dass ein gegenseitiges Kennenlernen stattfindet, um Vorurteile abzubauen. Und natürlich hoffen wir auf viele Teilnehmer bei der Demonstration, denn sie signalisiert Sichtbarkeit und setzt ein klares Zeichen.
ONETZ: Was wünscht du dir für die Zukunft?
Alexander Irmisch: Mein Wunsch ist es, dass unser Verein irgendwann nicht mehr notwendig sein wird, weil es völlig egal ist, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Weil alle so akzeptiert werden, wie sie sind und niemand mehr mit Diskriminierungen, Anfeindungen oder körperlichen Übergriffen konfrontiert sein muss. Ich wünsche mir Gleichberechtigung – wie alle anderen auch. Ich weiß nicht, ob ich das noch erleben werde, aber ich glaube fest daran, dass der Moment irgendwann kommen wird.
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