ONETZ: Die Zentraleuropäische Universität (CEU) geht nach Wien. Wird die CEU in der österreichischen Hauptstadt noch die Gleiche sein können wie in Budapest?
Matthias Riedl: Die CEU wurde 1991 gegründet, um jungen begabten Menschen aus den vormaligen Ostblock-Ländern ein Studium zu ermöglichen, das den höchsten Standards westlicher Bildung entsprach. Dieser Auftrag wurde auch sehr erfolgreich erfüllt. Inzwischen aber hat sich die Welt gewandelt und mit ihr die CEU. Die Studenten kommen nun aus über 100 Ländern und allen Kontinenten. Aber nach wie vor vergibt die Universität an die große Mehrheit ihrer Studenten Stipendien und ermöglicht damit auch weniger privilegierten jungen Menschen den Zugang zu hochwertiger Bildung.
ONETZ: Ändert sich das in Wien?
Matthias Riedl: Diese Arbeit wird sich in Wien fortsetzen lassen, aber die Kosten werden zweifelsohne steigen, denn die Lebenskosten sind in Wien deutlich höher als in Budapest. Doch ich habe aber keinen Zweifel daran, dass die Universität in Wien ihren offenen und kosmopolitischen Charakter bewahren kann und ihrem Bildungsauftrag gerecht wird. Für junge und ambitionierte Menschen ist die CEU ein aufregender Ort und das wird sie bleiben.
ONETZ: Wie ist die Stimmung an der CEU? Fühlen sich Wissenschaftler, die nun nach Wien gehen müssen, als politische Migranten?
Matthias Riedl: Die Stimmung ist nicht gut. Natürlich wissen wir, dass wir auch in Wien sinnvolle Arbeit tun werden. Aber das Gefühl vertrieben zu werden, belastet durchaus. Natürlich wird die CEU Ungarn nicht ganz verlassen. Wir werden versuchen, in Budapest so viele Bildungsprogramme anzubieten, wie möglich. Doch der Schwerpunkt der Universität sind die in den USA akkreditierten Master- und Doktorprogramme, und dieser Schwerpunkt muss nun nach Wien verlagert werden, da wir von Januar 2019 an in Budapest keine Studenten mehr aufnehmen können. Viele von uns haben Familien in Ungarn und werden vorerst nach Wien pendeln. Es liegt ja nur gut zwei Stunden entfernt. Andere werden Ungarn verlassen. Wie sich der Umzug praktische gestalten lässt, versuchen wir gerade erst herauszufinden.
ONETZ: Im Jahr 2011 haben Sie unserer Zeitung gesagt, Viktor Orban habe einen Schwenk zum National-Populismus vollzogen. Muss das Urteil angesichts seines Umbaus Ungarns zu einem autoritären Staat inzwischen härter ausfallen?
Matthias Riedl: Ich will mich nicht auf Definitionsfragen einlassen. Das erklärte Ziel der Regierung Orbáns ist es für die nächsten Jahrzehnte an der Macht zu bleiben. Ideologisch ist die Regierung bis zu einem gewissen Grad flexibel. Man wird alles tun, um an der Macht zu bleiben. Dazu ist es vor allem wichtig, dass die Gelder aus Brüssel weiter fließen. Sollte dafür Zugeständnisse nötig werden, wird man sie machen. Dazu müsste die EU solche Zugeständnisse aber endlich überzeugend einfordern. Man muss auch vorsichtig sein nicht alle Schuld auf Orbán zu schieben. Das Problem ist auch eine programmatisch und personell wenig überzeugende Opposition. Solange es keine überzeugende Alternativen zu Orbán gibt, kann er es sich leisten die Überreste von Demokratie und Rechtsstaat bestehen zu lassen.
ONETZ: Orbans Umfeld und er selbst schüren seit Jahren massiv den Antisemitismus. Wie verändert das die ungarische Gesellschaft?
Matthias Riedl: Antisemitismus gab es in Ungarn lange vor Orbán und FIDESZ. Aber es wäre vor Orbán undenkbar gewesen, dass eine Wahlkampagne mit antisemitischen Klischees geführt wird, wie es in diesem Frühjahr geschehen ist. Orbán und seine Minister sind im Übrigen klug genug, sich selbst nicht antisemitisch zu äußern. Dies erlaubt ihren Partnern in Europa die Augen zu verschließen.
ONETZ: Mitte Dezember sind rund 2000 Studenten in Budapest für den Erhalt der CEU auf die Straße gegangen. Sind sie die Spitze des gesellschaftlichen Widerstandes?
Alexander Pausch: Nein, es wäre eine Illusion das zu glauben. Es gibt viel Solidarität unter den Studenten und Wissenschaftlern, denn von Orbáns Angriff auf die höhere Bildung ist bei weitem nicht nur die CEU betroffen. Aber gesellschaftlichen Widerstand größeren Ausmaßes gibt es bisher nicht. Stattdessen gibt es schon seit Jahren eine Massenauswanderung, vor allem von jungen Leuten. Der Widerstand war noch größer vor der Wahl im vergangenen April. Aber der eindeutige Wahlsieg Orbáns hat den Überresten der zersplitterten Opposition den letzten Mut geraubt. Es wird dauern, bis neue politische Kräfte wachsen, die die ungarische Bevölkerung für eine politische Alternative zu Orbán begeistern können.
ONETZ: Verstehen die Ungarn, dass es nicht nur um die Freiheit der Lehre geht, sondern auch um die Meinungsfreiheit und die freiheitliche Gesellschaft.
Matthias Riedl: Das verstehen die Ungarn durchaus, aber Wissenschaftsfreiheit und Meinungsfreiheit haben nicht für alle die gleiche Priorität. Die Demokratie hat den Ungarn zwar Freiheit gebracht, aber für viele keinen Wohlstand. Heute gibt es durchaus Schichten der Bevölkerung, die wirtschaftlich von Orbáns Politik profitieren und ihm dafür dankbar sind. Außerdem wirkt die Regierungspropaganda, vor allem auf die weniger Gebildeten. Einen Satz, den man hier oft hört, ist folgender: „Wir wissen doch, dass die Regierung korrupt ist, aber wenigstens hält sie uns die Muslime vom Leib.“
ONETZ: Gibt es Aussichten auf eine Rückkehr Ungarns zu einer freiheitlich-pluralen Demokratie?
Matthias Riedl: Politik ist unberechenbar, in der postsozialistischen Welt ganz besonders. Außerdem ist Regierung Orbán weniger stabil als sie aussieht, aus zwei Gründen: Zum einen gibt es wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung, vor allem über Korruption sowie über die miserablen Zustände im Gesundheits- und Bildungswesen. Zum anderen wird die ungarische Politik nur noch von einer Person entschieden, alle anderen Regierungsmitglieder sind nur Funktionäre ohne eigene Stimme oder Meinung. Daher wird die Regierung in Bedrängnis geraten, wenn die Person Orbán angreifbar wird. Dies geschah bereits vor einigen Jahren, als die Korruption im Umkreis des Ministerpräsidenten zum politischen Thema wurde. Dann aber kam die Flüchtlingskrise und Orbán hat sie nach allen Regeln der machtpolitischen Kunst für sich genutzt. Was in Ungarn fehlt ist eine politische Mitte und eine Oppositionsbewegung, die weder postkommunistisch noch rechtsradikal ist. Es gibt einige Ansätze dazu, aber die jungen Leute, die sich in Ungarn für eine freiheitliche Demokratie engagieren, kämpfen mit den folgenden Schwierigkeiten: 1. Die weitgehende Kontrolle der Medien durch die Regierung, vor allem auf dem Land. 2. Die Änderung des Wahlrechts zugunsten der Regierungsparteien. 3. Ein bescheidener Wahlkampf-Etat, der den massiven Kampagnen der Regierung gegenüberstehen, die dafür auch EU-Mittel einsetzt 4. Die fehlenden Strukturen, vor allem außerhalb der großen Städte.
ONETZ: Was kann die Europäische Union tun, um die Rückkehr zu unterstützen?
Matthias Riedl: Westliche Demokratien dürfen nicht erwarten, dass sie sich ein Ungarn nach ihrem eigenen Bild schaffen können. Aber man kann von Ungarn verlangen, dass es sich an die Grundsätze hält, zu denen es sich im Rahmen der europäischen Verträge verpflichtet hat. Das Europäische Parlament hat ja ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Auch beim Europäischen Gerichtshof ist ein Verfahren anhängig. Aber dies dauert alles zu lange. Und wir wissen, dass die ungarischen Regierung Entscheidungen der EU oft ignoriert oder ihre Umsetzung verzögert.
ONETZ: Wer hätte mehr Einfluss?
Matthias Riedl: Wer allerdings etwas tun kann, ist die Europäische Volkspartei, der ja auch CSU und CDU angehören. Denn diese duldet nach wie vor die Umwandlung Ungarns in einen autoritären Staat und den bisher einmaligen Vorgang, dass eine Universität aus einem Mitgliedsland der EU vertrieben wird. Als die Attacken auf die CEU begannen, versicherte der Fraktionsvorsitzende der EVP, Manfred Weber, dass Wissenschaftsfreiheit für ihn ein unverhandelbarer Wert sei. Inzwischen hat er diesen Wert seinen politischen Ambitionen geopfert. Denn er will Präsident der Europäischen Kommission werden und auf die ungarische Unterstützung nicht verzichten. Viktor Orbán sind wir inzwischen gewohnt, aber den Zynismus mancher Europa-Politiker zu ertragen, das fällt schwer.
Central European University (CEU)
Die Central European University (CEU) ist 1991 vom liberalen amerikanischen Milliardär und Philanthropen George Soros gegründet worden. Der rechtsnationale ungarische Ministerpräsident Victor Orbán ist selbst Absolvent der CEU. Er und seine Anhänger führen seit Jahren einen Kreuzzug gegen Soros, der auch zahlreiche Organisationen unterstützt, die autoritäre Regierungen kritisieren. Ungarn hatte 2017 neue Regeln für den Betrieb ausländischer Universitäten eingeführt. Ein erforderliche bilaterales Abkommen auf Regierungsebene zwischen dem US-Staat New York und der ungarischen Regierung ist laut CEU unterschriftsreif. Allerdings weigere sich Budapest, es zu unterschreiben. Nun zieht die CEU nach Wien.
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