Die Geschichte, die Richterin Stefanie Wunderlich am Montag am Amtsgericht in Amberg zu hören bekam, bezeichnete die Juristin in ihrem späteren Urteil als "dubios". Eine 64 Jahre alte selbstständige Geschäftsfrau ließ über ihren Anwalt Georg Karl (Regensburg) mitteilen, dass es falsch war, was sie 2021 mitten in der Corona-Pandemie unternommen hat: "Es tut mir auch sehr leid." Was der Verteidiger vorlas, hörte sich sinngemäß so an: Es entspreche der Tatsachen, dass die Frau am 19. Oktober 2021 in einer Amberger Apotheke vorsprach und ihren Impfpass vorlegte, um in den Besitz einer digitalen Impfbescheinigung zu kommen. Doch der Eintrag sei erfolgt, ohne jemals geimpft worden zu sein. Auch das räumte die Frau über ihren Anwalt ein.
In dem Wissen, für einen Auslandsaufenthalt – den Besuch der Tochter – aber einen Impfnachweis vorlegen zu müssen, recherchierte die Frau im Internet und stieß auf eine gewisse "Nora", mit der sie sich in einem Lokal in München traf. Der Anwalt las aus der Erklärung seiner Mandantin vor: Ihr sei gesagt worden, dass der Eintrag von einem Arzt vorgenommen werde, der das dürfe. Weitere Informationen habe sie von "Nora" nicht erhalten, dafür ihren ausgefüllten Impfpass einige Tage später auf dem Postweg. Aber warum das Ganze? Die Angeklagte habe bereits als Kind "große Angst vor Impfungen" gehabt und auch Nebenwirkungen wie Ausschläge oder Fieber.
Ein anderer Stempel
Da nun aber in ihrem Ausweis zwei Impfungen standen und sie auf einen digitalen Nachweis hoffte, ging sie in Amberg zu einem Apotheker, der den Stein ins Rollen brachte. Einiges sei ihm "nicht plausibel" vorgekommen: "Der Impfort München. Warum fährt jemand nach München, um sich impfen zu lassen, und möchte dann eine Bescheinigung aus Amberg?" Der Apotheker fragte im betreffenden Impfzentrum nach, erhielt keine für ihn erschöpfende Antwort und schaltete die Polizei ein, die mit den Ermittlungen begann. Diese führten letztlich zur Anklage und zu einem Strafbefehl in Höhe von 130 Tagessätzen à 40 Euro, den die 64-Jährige nicht akzeptierte.
Eine als Zeugin geladene Vertreterin des betreffenden Impfzentrums aus der Landeshauptstadt konnte sich an den Fall der Frau nicht erinnern: "Zu viele Leute, zu großes Impfzentrum." Aber sie hatte in der Verhandlung einen Stempel dabei, der damals verwendet worden sei – und zwar in allen Münchener Impfzentren. Der Abdruck unterschied sich deutlich von dem, der im Impfpass der Ambergerin zu sehen war. Als sie diesen in Augenschein nehmen durfte, gab die ehemalige Mitarbeiterin des zum Jahresende 2022 aufgelösten Impfzentrums zu Protokoll: "So ein Stempel existiert nicht."
"Schriftliche Lüge"
Dass die Ambergerin nicht zu unrecht vor Gericht saß, war damit klar. Stellte sich nur noch die Frage nach der juristischen Bewertung, die für Anwalt Georg Karl nicht Urkundenfälschung heißen durfte. Er ging vielmehr von einer "schriftlichen Lüge" aus und forderte zunächst die Einstellung des Verfahrens beziehungsweise im Schlussplädoyer einen Freispruch, da seiner Mandantin keine Urkundenfälschung vorzuwerfen sei. Seine Bewertung hörte sich so an: "Es war sicher nicht die feine englische Art. Aber nicht alles, was nicht die feine englische Art ist, ist auch strafbar."
Richterin Wunderlich sah das anders. Die Tatsache, dass die Angeklagte extra nach München gefahren war, keinen persönlichen Kontakt zu einem Arzt oder anderem Fachpersonal hatte, sondern sich mit "Nora" traf, lasse auf einen bedingten Vorsatz schließen. Das Urteil: Statt der im Strafbefehl fixierten 130 Tagessätze muss die 64-Jährige nun 120 mal 40 Euro zahlen und damit 4800 statt 5200 Euro – zuzüglich der Verfahrenskosten. Die Ambergerin machte dann doch noch eine Ausnahme und sprach selbst, ohne ihrem Anwalt das Reden zu überlassen. Die selbstständige Geschäftsfrau berichtete davon, dass ihre Umsätze nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage um 70 bis 80 Prozent eingebrochen seien. Ob sie die 4800 Euro wird zahlen können, blieb offen.
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