Am Freitag, 29. März, ist es soweit. Die Frage, die im Raum steht, lautet: Harter oder weicher Brexit? Am Dienstagabend lehnte das britische Unterhaus den Brexit-Deal ab. Zeitgleich war das Thema im großen Rathaussaal präsent. Der Politikwissenschaftler Roland Sturm war mit seinem Vortrag "Britische Werte und kontinentale Missverständnisse im Brexit-Prozess" bei den 40. Erlanger Universitätstagen in Amberg als erster Gastredner an der Reihe.
Er machte sozusagen den Einstieg mit einem Ausstieg. Die Universitätstage beschäftigen sich dieses Mal mit dem Thema "Werte". Roland Freiburg, Spiritus Rector der Veranstaltungsreihe, versuchte sich an einer kurzen Einführung: "Für uns selbst sind die Werte, solange wir nicht danach gefragt werden, ganz selbstverständlich." Allerdings seien diese nicht so universell, wie vermutet: "Was wir über alles lieben, stößt bei unseren Nachbarn auf blankes Entsetzen." Werte, so der Professor, ließen sich mit einer Stuckdecke in einem zweistöckigen Haus vergleichen: "Während wir die Stuckdecke bewundern, tritt sie der Mieter über uns mit Füßen." Er stellte infrage, ob Werte eigentlich noch einen festen Bestand hätten, oder ob es heute kein universelles Wertesystem mehr gebe: "Jonglieren wir nicht permanent mit Werten, indem wir aus der einen Tasche eine moralische Empfehlung zaubern, die wir mit einem geschickten ,ja, aber' relativieren?"
Eine Frage der Souveränität
Hauptredner Sturms Thema war der Brexit. Dieser sei zunächst auf einen Konflikt zwischen Parlaments- und Volkssouveränität zurückzuführen. Die gängige Praxis der Parlaments-Souveränität sei seit dem Referendum 2016 mit einem anderen Prinzip in einen Wertekonflikt geraten.
"Referenden sind eigentlich in der Logik der Parlaments-Souveränität nicht vorgesehen", erklärte er. Volksabstimmungen seien seit den 70er-Jahren taktisch als Mittel des Parlaments eingesetzt worden, um Mehrheitspositionen des Repräsentantenhauses zu untermauern. Sturm:"Das Brexit-Referendum war das erste erfolgreiche Referendum, bei dem das Ergebnis gegenteilig zur Parlamentsmehrheit ausfiel."
Zweitens habe sich die britische Werthaltung zur europäischen Integration verändert. Eine vormals "pro-europäische Politik" sei durch ein "umstrittenes Austrittsszenarium" ersetzt worden. Dieses, so Sturm, beinhalte scheinbar neue Werte, die sich aber eigentlich auf die Vorstellungen des alten Empire berufen.
"Europa war bei den Wahlen früher immer eher ein Nischenthema. Beim Referendum ist das natürlich anders. Es ist einziger Gegenstand der Abstimmung", sagte Sturm. Die Finanzkrise 2007 habe dem Thema der offenen Grenzen Brisanz verliehen. "Skepsis gegenüber Fremden passte gut zu dem traditionellen Selbstbild des Inselstaates, für den Bedrohungen historisch immer von außen kamen", erklärte er.
Warum Wertekonflikt?
Drittens herrsche ein Wertekonflikt in der britischen Gesellschaft vor. "Der Brexit verschärft nach außen die Kluft zwischen Kontinent und dem Vereinigten Königreich. Innenpolitisch erinnert er an die Spaltung zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern." Es sei nicht überraschend, dass Globalisierungsverlierer das Referendum als Gelegenheit sahen, "ihrer sozialen Lage entsprechend Kritik an einer fremdbestimmten Politik zu üben".
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