Es werde sein erstes Treffen mit der Stadt Amberg sein, verriet Risto Joost Oberpfalz-Medien im Interview. Aber nicht nur das: Das Saisoneröffnungskonzert am Sonntag, 22. September im Stadttheater ist für den Esten das zweite Gastspiel als frisch gekürter Chefdirigent des Württembergischen Kammerorchesters (WKO) und das dritte gemeinsame Konzert in seiner beginnenden Heilbronner Ära.
Formkenntnis und das Verständnis der Handschrift der Komponisten bilden für den 44-Jährigen mit Ausbildung auch in Chorleitung und Gesang die Grundlage der Auseinandersetzung mit dem Werk: „Guter Geschmack, Sinn für Stil und Organik sind die Quintessenz der Interpretation."
Der Brahms-Serenade, „ein aufregendes Jugendwerk“, mit der Joost zugleich einen ganzen WKO-Zyklus des Komponisten startet, stellt er eine Referenz an seinen Landsmann und ehemaligen Dozenten an der Estnischen Akademie für Musik und Theater Jaan Rääts an die Seite. Hierzulande noch eher ein Geheimtipp, zählt das Konzert für Kammerorchester op. 16 zu den weltweit bekanntesten und meist gespielten Werken des 2020 verstorbenen Komponisten.
Musikalisches Neuland
Das WKO betritt mit diesem Stück übrigens – ganz im Gegensatz zum gern gespielten romantischen Brahms-Klang – musikalisches Neuland, bekennt die Vorsitzende des Orchestervorstands, Marlise Riniker. Den neuen Chef am Pult hingegen habe das Orchester in über sechs Jahren bei diversen Gastdirigaten schätzen gelernt.
Ebenfalls schon längere Zeit ist das WKO mit Solistin Sophie Pacini verbunden: „Es ist toll, mit ihr zusammenzuspielen“, so Riniker. Die Freude beruht auf Gegenseitigkeit, sieht sich die Pianistin mittlerweile doch als „Teil der WKO-Familie“. Das Orchester wisse genau, wie ein Solist tickt, verfechte keine Routine oder Hörgewohnheiten: „Ein homogener Klangkörper wie er ganz selten ist bei Kammerorchestern“, hebt die Pianistin im Telefoninterview hervor und fügt noch hinzu: „Es ist auf jeden Fall eines der besten Orchester in Deutschland, jeder Einzelne ein Topmusiker.“
Wie ein Streifzug durch ein Blütenparadies
Warum sie selbst längst zur internationalen Spitze zählt, hat Sophie Pacini bereits zweimal mit umjubelten Konzerten im Stadttheater Amberg gezeigt. Für den neuerlichen Besuch hat sie mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 23 eines der schönsten Werke der Gattung überhaupt vorbereitet, das sie höchst anschaulich mit einem Streifzug durch ein Blütenparadies vergleicht: „Mozart ist ein absoluter Sonnenschein – weil er auch das Dunkel kennt.“
Im Vergleich zu Chopin, der sie seit ihrer Jugend treu begleitet, umrande Mozart die Kontraste zarter. Die meisten seiner Werke stehen in Dur, die zweiten Sätze zeigen die Kehrseite in Moll. Chopin dagegen halte es genau umgekehrt, sodass das Dunkel stärker kontrastiere, so die Pianistin. Gemein sei den beiden großen Komponisten das Ziel, die Hörer mitzunehmen auf eine Rauschfahrt und die Liebesklärung ans Klavier, das für beide das Instrument der Seele war.
Das ist das Klavier für Sophie Pacini ohne Frage auch. Technischen Fortschritten widersetzt sie sich dabei nicht, wie ihr viel beachtetes Konzert-Experiment mit dem „Spirio“-Flügel aus dem Hause Steinway bewiesen hat. Während sie in einer Art Blackbox, vollgepackt mit Kameras und Aufnahmegeräten, auf dem beinahe magischen Instrument spielte, reproduzierten Spirios in anderen Steinway-Häusern dieses Konzert auf die Millisekunde exakt zeitgleich und weltweit, nur eben ganz ohne Person auf dem Klavierschemel am Instrument: „Das war schon ein bisschen spooky und vor allem Kopfkino, denn um mich herum war ja kein Publikum.“
Pianist soll nicht ersetzt, nur ergänzt werden
Die erstaunliche Technik, die aus Pacinis Sicht durchaus hilfreich sein könnte, etwa um aufwendige, kostenintensive Anreisen zu Aufnahmeprüfungen überflüssig zu machen, kommt dabei übrigens explizit ohne die berühmt-berüchtigte Künstliche Intelligenz aus: „Steinway will nur einen Zusatz kreieren, nicht aber den Pianisten ersetzen.“ Der wird schließlich gebraucht, denn allein und ohne Input spielt auch ein Spirio nicht.
Dass die ständig dazu lernende, kopierende und Schlussfolgerungen ziehende KI aber nicht halt macht vor Probenräumen und Konzertsälen, ist Sophie Pacini bewusst: „Im Feld der Musik müssen wir uns damit auseinandersetzen.“ Ziel dabei sei es aber, zu demonstrieren, dass das Live-Erlebnis schlicht unersetzlich ist: „Auch durch den Austausch mit dem Publikum spiele ich jedes Mal anders. Der Moment, in dem ich diese Tasten drücke – das kann nur ich.“ Damit Musik zu einem berührenden, bewegenden und im besten Sinne aufwühlenden Konzerterlebnis wird, reicht technische Brillanz allein ohnehin nicht, Emotionen müssen mitschwingen.
Dass die Atmosphäre bei Saisoneröffnungen eine spezielle ist, nimmt die Pianistin übrigens tatsächlich immer wieder wahr: „Ich spüre ausgeruhte und entspannte Menschen, die noch frisch genug sind für den Alltag und sich auf den Abend freuen. Das ist eine Stimmung, die hervorragend zu Mozart passt.“
Zu Personen und Konzert
- Sophie Pacini, Pianistin, 32, geboren in München, Tochter einer deutschen Ärztin und eines italienischen Literaturprofessors, Debüt als 8-Jährige im Münchner Herkulessaal, Studium am Hochbegabteninstitut des Mozarteum Salzburg, international gefragte Solistin, ausgezeichnet u.a. mit dem ECHO Klassik 2015 als Nachwuchskünstlerin des Jahres und dem International Classical Music Award 2017 als "Young Artist of the Year, ihre Alben erobern regelmäßig die Deutschen Klassik Charts. Sophie Pacini konzipiert auch eigene Konzert- und Sendungsformate für den Deutschlandfund und den SWR. Sophie Pacini lebt in der Nähe von München.
- Risto Joost, Dirigent, 44, geboren in Tallinn/Estland, Studium Dirigieren, Chorleitung und Gesang an der Estnischen Musikakademie Tallinn und an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, international gefragter Gastdirigent, Musikdirektor und Chefdirigent des Theaters Vanemuine/Estland, ab September neuer Chefdirigent des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn. Risto Joost lebt in Tallinn/Estland.
- Saisoneröffnungskonzert mit Sophie Pacini (Klavier) und dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter Leitung von Risto Joost am Sonntag, 22. September um 19.30 Uhr im Stadttheater Amberg, Werke von Rääts, Mozart, Brahms, Werkeinführung um 18.45 Uhr im Theatersaal, Tickets bei der Tourist-Information Amberg unter Tel. 09621/101233 oder unter www.webshop.amberg.de.
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