Gesammelt und zusammengestellt hat der Schönseeer Johann Georg Betz die rund 160 Rezepte mutmaßlich nur zur internen Verwendung, erklärt Historiker und Referent des Abends, Christian Malzer, auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien. Die Datierung des "Conditor-Buches" sei dank einiger Vermerke zu Kreditgeschäften des Verfassers wiederum relativ gut möglich: „Der früheste Eintrag stammt dabei aus dem Jahr 1829, der jüngste von 1837.“ Es sei daher davon auszugehen, dass Betz seine Rezeptsammlung vor dem ältesten Eintrag angelegt haben muss und dass er die Handschrift dann auch als Geschäftsbuch nutzte.
Überregional bekannt gewesen war Betz aber wohl nicht. „Für uns ist er jedoch als Verfasser der meisten im 'Conditor-Buch' enthaltenen Rezepte von Bedeutung, da wir ohne seine Initiative gar nicht die Möglichkeit hätten, uns intensiver mit der in Schönsee während des 19. Jahrhunderts praktizierten Backkunst zu beschäftigen“.
Als nicht weniger interessant befindet Malzer den zweiten namentlich bekannten Besitzer der Rezept-Sammlung, Joseph Betz: „Er erbte die Handschrift wohl und ergänzte diese in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um weitere Rezepte. Tatsächlich wurde das Backwerk eines gewissen Joseph Betz aus Schönsee im Jahr 1865 vom General-Comite des landwirtschaftlichen Vereins für das Königreich Bayern anlässlich des Central-Landwirtschafts-Festes mit einem Ehrendiplom prämiert.“ Weiteren Nachforschungen zu den Herren Betz räumt der Historiker im Übrigen durchaus Potential ein.
Lektüre "keine schwere Kost" für den Experten
Um sich näher mit den einzelnen Kreationen zu befassen, ist Geduld von Vorteil – die handschriftlichen Anleitungen lassen sich nicht ohne weiteres entziffern. Kein Problem für den Experten, der aber auch Laien Mut macht: „Wenn der oder die Schreibende eine ruhige, geübte Hand hatte, sind Texte aus dem 19. Jahrhundert oft gar nicht so weit von unserer heutigen Schreibschrift entfernt“. Wie beim Kreuzworträtsel zum Beispiel also erst einmal die Buchstaben eines Wortes zählen und sich über lesbare Einzelbuchstaben an den Text herantasten. Über den Vergleich hilft jede gelungene Entzifferung dann beim Entschlüsseln weiterer Passagen. Erfahrung und Übung tun ihr Übriges: Für ihn persönlich sei die Lektüre keine allzu schwere Kost gewesen, bekennt Malzer. Auch Provinzialbibliotheksleiterin Siglinde Kurz hält das Entziffern zwar für etwas mühsam, aber machbar – „Übersetzungen“ gebe es leider noch nicht.
Wer diese Herausforderung erfolgreich gemeistert hat und obendrein über eine Prise Erfahrungswissen im Backen verfügt, könne nach Malzers Überzeugung auch heute noch viele der enthaltenen Rezepte zubereiten: „Manche der Rezepte, wie Linzer-Torte oder verschiedene Guglhupf-Varianten, sind sogar in nahezu unveränderter Rezeptur und Namensgebung auch noch in vielen Backbüchern enthalten oder in Konditoreien erhältlich.“
Auf welchen Pfaden der rare, historische Schatz letztlich seinen Weg von Schönsee nach Amberg gefunden hat, muss offen bleiben. Gesichert dagegen ist die vorletzte Station, das Münchener Auktionshaus Zisska & Lacher. Im November letzten Jahres, als sie gerade bei der Durchsicht des Auktionskataloges war, kam der entscheidende Hinweis von Malzer, der nicht nur als Kollege an der Universitätsbibliothek Würzburg tätig, sondern als Oberpfälzer und Ausstellungskurator sowie Mitorganisator der Oberpfälzer Kloster-Symposien seit Jahren ihrem Haus verbunden ist, schreibt Kurz. Da die Handschrift ideal in das Portfolio der Provinzialbibliothek Amberg passte, die bereits das gedruckte Erbe aus den Oberpfälzer Klöstern verwahrt und das Schrifttum aus der und über die nördliche Oberpfalz zu ihrem besonderen Sammlungsgebiet zählt, habe sie einfach "zuschlagen" müssen. Und das erst recht, nachdem Handschriften Oberpfälzer Provenienz mit einem weltlichen Entstehungskontext Malzers Einschätzung zufolge eher seltener unter den Hammer kommen .
Gehütet wie Schätze
Der Interessentenkreis für solche Objekte sei allerdings „gar nicht so klein“, weiß der Historiker: „Trotz oder gerade wegen der zunehmenden digitalen Angebote ist der Reiz ein originales Schriftstück, in seiner Materialität und mit seiner teils Jahrzehnte- oder Jahrhunderte alten Geschichte zu besitzen, ungebrochen“. Seltene Bücher seien noch immer ein begehrtes Sammlungsgut und in Teilen auch eine sichere Kapitalanlage. Die Szene halte sich aber eher bedeckt und hüte ihre Schätze.
Dass sich Malzer tiefer gehend mit dem Werk befassen und den eigentlichen Text in weitere Informationen zu Entstehung, Vorbesitzern und Gebrauch einzubetten wollte, um seine Erkenntnisse nun auch in einem Vortrag zu präsentieren, zählt die Bibliotheksleiterin zum weiteren Mehrwert des reibungslos abgelaufenen Erwerbs. Bevor das „Conditor-Buch“ allerdings digital zu Verfügung steht und über den Katalog der Provinzialbibliothek abrufbar ist, muss es erst noch den Digitalisierungs-Workflow der Bayerischen Staatsbibliothek passieren, so Kurz.
Sie persönlich findet übrigens allein schon die schiere Anzahl von rund 160 Rezepten beeindruckend. „Sie sind alle erprobt. Die Zutaten sind noch bekannt und bodenständig. Vielleicht backe ich ein Rezept nach“. Konkret geht der Plan da in Richtung der süßen Erdäpfeltorte. Christian Malzer wiederum glaubt, dass ihm vermutlich die meisten der enthaltenen Kuchen, Torten und Gebäcke schmecken würden. „Aber als Bibliothekar habe ich dann doch ein Lieblingsrezept, das etwas aus der Reihe tanzt: Die Rezeptur zur Herstellung „echter guter Diente“ [Tinte]“.
Zur Veranstaltung
- Das Thema: Ein neuerworbenes Conditor-Buch aus Schönsee in der Provinzialbibliothek Amberg – Ein einzigartiger Oberpfälzer Leckerbissen aus dem frühen 19. Jahrhundert
- Der Vortrag: Vortrag mit Christian Malzer M.A., Univ.-Bibl. Würzburg, am Freitag, 26. Mai um 19.30 Uhr im Barocksaal der Provinzialbibliothek (Malteserpl. 4, 92224 Amberg), Eintritt frei
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