Amberg
10.04.2019 - 15:51 Uhr

Islamwissenschaften: Märchen sind das nicht

Ihren Reiz, die Faszination haben der Orient und der Islam für die westliche Welt verloren und sich ins Gegenteil gekehrt. Das stellt Islamwissenschaftler vor Herausforderungen, die auch als Chance Verstanden werden können.

Um Wissenschaft zu sein, bedarf es nachvollziehbarer Methodiken der Objektivierbarkeit. Das gilt auch für die Islamwissenschaften, fordert Professor Georges Tamer. Bild: Wolfgang Steinbacher
Um Wissenschaft zu sein, bedarf es nachvollziehbarer Methodiken der Objektivierbarkeit. Das gilt auch für die Islamwissenschaften, fordert Professor Georges Tamer.

"Geschichten aus 1001 Nacht", "Ali Baba und die 40 Räuber", "Lawrence aus Arabien". Selbst wenn das teilweise nur Kinder- und Jugendbücher sind, so stehen sie sehr wohl für die einstige Mystifikation des Orient und der Muselmanen. Nicht nur durch die kindlich-naive Brille gesehen, der Blick von Europa, vom Abendland aus in Richtung Naher Osten war lange etwas, das als Reiz des Fremdländischen die Fantasie beflügelte.

Das war phasenweise auch in der Islamwissenschaft so, räumt Professor Georges Tamer ein. Der Inhaber des Lehrstuhls für Orientalistische Philologie und Islamwissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) schloss die Vortragsreihe der 40. Universitätstage, die sich das Leitthema "Werte" gegeben hatten, am Dienstagabend im Rathaussaal ab. Tamer sprach über "Die Islamwissenschaft und die Herausforderungen gesellschaftlichen Wandels". Vorweg gesagt, er nimmt diese Herausforderungen als längst überfällig gerne an.

Mit einem Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte seiner Disziplin näherte sich Tamer Jahrhundert um Jahrhundert der Gegenwart. Ein Ausgangspunkt ist für ihn die Religion des Islam im missionarischen Wettstreit mit dem Christentum. Wer da Henne und wer da Ei sei, das will der Lehrstuhlinhaber erst gar nicht beantworten. Geschenkt haben sich beide Religionen gegenseitig nichts.

Untrennbar verbunden damit ist die jeweils gepflegte Sprache: Arabisch und Latein. 1143 wurde von dem Abt Petrus Venerabilis (1092 oder '94 bis 1156) die erste Übersetzung des Koran in Auftrag gegeben. Kurz vor dem Zweiten Kreuzzug (1147 bis 1149). An diesem markanten Punkt macht Tamer fest, dass die Beschäftigung mit dem Islam immer auch Philologie ist. Daraus folgert er, notwendigerweise die wissenschaftlichen Methodiken der Philologie in die Islamwissenschaft einfließen lassen zu müssen. 1543 gab es die erste lateinische Koran-Übersetzung in gedruckter Form, 1608 den ersten Lehrstuhl für Arabisch an der Universität Heidelberg, die erste deutsche Koranübersetzung wurde 1616 von Salomon Schweigger in Nürnberg veröffentlicht.

Heute erachtet der Referent die Bezeichnung "Islamwissenschaften" als die treffendste, weil es nicht mehr ausschließlich Religion um Theologie, Sprache und Philologie, sondern auch um Kunst-, Gesellschafts-, Politik und Rechtsgeschichte. Die These: Wissenschaftlich betrieben, verfügen alle diese Fachgebiete über ihre eigenen Methodiken, die genau so auf die jeweilige Betrachtungsweise anzuwenden ist, um nachvollziehbar und objektivierbar zu sein. So eröffnet sich ein unermesslich vielfältiger Blick auf den Islam. Der "verkitscht, rückwärtsgewandten Orientalistik des Kolonialismus'" erteilt Tamer eine kategorische wie rüde Absage.

Mit einem tendenziell so geprägten Bild habe dann der Westen geschichtliche Ereignisse wie die Islamische Revolution im Iran, Russlands Afghanistankrieg, die dortigen Taliban, den 11. September 2001 und dessen kriegerischen Folgen, den Islamischen Staat im Irak und Syrien, die Flüchtlingswelle 2015 und einen schier allgegenwärtigen, weltweiten islamischen Terrorismus zur Kenntnis nehmen müssen. Das nachvollziehbare und verständliche Ergebnis sei Argwohn, Zorn, Unsicherheit, Angst oder gar Abscheu der westlichen Gesellschaften gegenüber den Muslimen, ihrer Religion und Sitten.

Tamer wäre kein Professor, Universitätsgelehrter und -lehrer, wenn er nicht in Bildung und dem daraus erwachsenden gegenseitigen Verstehen als das nachhaltigste Mittel des Umgangs miteinander, verstehen würde. Er und seine Disziplin, versicherte er, wollen ihren Beitrag dazu leisten. Nicht zuletzt, um den Populisten, die ihr politisches Geschäft mit der derzeit verfahrenen Situation betreiben, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Lesen Sie her mehr Artikel über die Erlanger Universitätstage in Amberg

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.