Er ist eigener Aussage nach ein "kritisch besorgter Optimist" und glaubt deshalb, dass unsere Welt noch nicht verloren ist. Wenn wir denn endlich aufhören, ihre Atmosphäre mit schädlichen Klimagasen zu füllen. Denn irgendwann erreichen wir die kritischen Kipppunkte, hinter die es kein Zurück mehr gibt. Und schon sind wir mitten drin im zweiten Vortrag der Erlanger Universitätstage, die sich in Amberg diesmal mit dem Thema "Nachhaltigkeit" beschäftigen. Am Pult: Professor Markus Beckmann, Inhaber des in Nürnberg angesiedelten Lehrstuhls für Corporate Sustainability Management der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen.
Der sperrige englische Begriff bedeutet nichts anderes als Nachhaltigkeitsmanagement. Und dafür braucht es eine Menge, um die "schlechten" Kipppunkte zu vermeiden, die unseren Planeten irgendwann in einen Zustand versetzen, an dem er sich nicht mehr erholen kann. Es gibt übrigens auch "gute" Kipppunkte, die Markus Beckmann viel wichtiger sind. Weil sie Stellschrauben sein werden, um einen positiven Effekt für unser Klima erreichen zu können.
System Erde kennt Kipppunkte
Aber was sind denn nun diese Kipppunkte, von denen immer die Rede ist? Markus Beckmann erklärt es einfach: Geht man zu dünn angezogen in die Kälte nach draußen, fällt die Körpertemperatur. Man beginnt zu zittern, die Muskel erzeugen dadurch zusätzliche Wärme – das nennt man "negatives Feedback". Dadurch kann sich das System Mensch in den alten, den optimalen Zustand zurücksetzen. Das wiederum meint der Begriff "Resilienz", der heutzutage gerade inflationär gebraucht wird.
Was passiert nun aber, wenn man zu lange bei minus 30 Grad draußen bleibt? Dann sinkt die Temperatur immer weiter, irgendwann wird der Mensch ohnmächtig, hört damit auf zu zittern und erfriert. Das ist der Tipping Point, der Kipppunkt, hinter den es kein Zurück mehr gibt. Stirbt ein Mensch, ist er tot. Ähnlich verhält es sich laut Markus Beckmann mit unserem Planeten. Er kann schon eine Menge ab und schafft es immer wieder, in seinen Idealzustand zurückzukehren. Doch irgendwann ist der Kipppunkt erreicht und das System Planet Erde kollabiert.
CO2-Ausstoß vermeiden
"Es existieren viele Systeme, die wir bereits unter Druck gesetzt haben", sagt Professor Beckmann und zeigt Bilder von gesunden und inzwischen zerstörten Meeresriffen. Aus diesem Dilemma gebe es nur einen Ausweg: Den Ausstoß von Kohlendioxid oder Methangas enorm zu reduzieren. Denn tatsächlich seien die Kipppunkte für unseren Planeten, das Schmelzen des Polareises, das Bremsen der Meeresströmung, das Ausbleiben des Monsunregens nicht "linear". Man weiß also nicht genau, wann man aufhören muss, um ein Kippen des Planeten zu verhindern. Aber nach diesem Kipping gibt es keinen oder nur einen sehr aufwendigen Weg zurück.
Einer der am meisten genannten Tipping Points ist laut Markus Beckmann die 1,5-Grad-Grenze. "Sie wäre sehr wichtig, weil viele Systeme schon vorher kippen." Schon aus diesem Grund hat der Professor aus Nürnberg großes Verständnis für die Aktivisten von Fridays for Future oder der Last Generation. "Wenn sich diese Leute auf Autobahnen kleben, haben sie dieses Wissen im Hintergrund: Wir müssen das jetzt machen."
Auch positive Kipppunkte
Auch wenn das System der Kipppunkte nicht unumstritten ist, wie Markus Beckmann einräumt, "müssen wir den Klimawandel sehr, sehr ernst nehmen". Oder anders gesagt: "Wir müssen die Schocks für unsere Systeme herunterfahren. Wir müssen von einer Gesellschaft, die CO2 ausstößt, zu einer Gesellschaft werden, die kein CO2 mehr ausstößt." An dieser Stelle kommt der Optimist in Markus Beckmann zum Vorschein. Es funktioniert. Man muss nur wissen, wie.
Auch hier spielen wieder Tipping Points, also Kipppunkte, eine wichtig Rolle, um die Dekarbonisierung zu beschleunigen. Dazu muss man wissen, dass es zwölf Dinge wie Energie, Verkehr oder Landwirtschaft und Bauindustrie sind, die für 92 Prozent des CO2-Ausstoßes auf unserem Planeten verantwortlich sind. Ein einigen davon seien tatsächlich die positiven Kipppunkte bereits erreicht. So sei es heute bereits billiger und damit ungleich attraktiver, Energie nachhaltig mit Sonne und Wind zu erzeugen als beispielsweise mit Kohle.
Es tut sich was
Das spiegelt sich in der Nutzung wider. 75 Prozent aller neuen Energieerzeuger werden weltweit inzwischen erneuerbar gebaut. "Und das macht man nicht so, weil es so umweltfreundlich ist." Die Technik sei günstig, sie sei greifbar und sie sei gesellschaftlich akzeptiert. Auf der anderen Seite befinde sich Großbritannien bei der Nutzung der Kohle als Energieträger inzwischen wieder auf dem Stand des Jahres 1757 – also weit vor der extensiven Nutzung dieser Energieform im 19. und 20. Jahrhundert.
Ein anderes Beispiel: Für die Erzeugung von tierischen Produkten wie Milch, Käse und Fleisch nutzen wir weltweit derzeit rund 3,9 Milliarden Hektar landwirtschaftliche Fläche. Steigen wir aber auf Hafermilch, präzisionsfermentierten Käse oder "kultiviertes" also künstliches Fleisch um und können damit 80 Prozent dieser Fläche einsparen, können 2,7 Milliarden Hektar oder die Flächen der USA, Chinas und Australiens zusammen anderweitig – also ökologisch – genutzt werden. "Tatsächlich tut sich da im Moment wahnsinnig viel", so Beckmann, die positiven Tipping Points, damit diese Veränderung eintritt, sind gar nicht mehr weit entfernt. Nur am Geschmack des künstlichen Käse müsse man noch arbeiten.
Preis spielt wichtige Rolle
An dieser Stelle kommt die Wirtschaft ins Spiel. "Belohnt" man sie beispielsweise durch staatliche Grundlagenforschung und "bestraft" CO2-Ausstoß durch eine Steuer, steigt hier der Anreiz, sich mit genau diesen Dingen zu beschäftigen. "Wir brauchen da aber keinen langsamen Übergang, sondern einen disruptiven", drückte Beckmann deutlich aufs ökologische Gaspedal. Und übrigens: Auch wir selbst als Konsumenten sind Teil dieser Kurve. Wir müssen ökologisch erzeugte Dinge und Lebensmittel kaufen – und sie letztlich attraktiver und irgendwann auch billiger zu machen als klimafeindliche Artikel.
Das Programm der 44. Erlanger Universitätstage
- Dienstag, 28. Februar, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Wolfgang Kießling: "Nachhaltigkeit für Biodiversität und Klima".
- Dienstag, 7. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Markus Beckmann: "Bis es kippt: Warum wir bestimmte Tipping Points verhindern und andere herbeiführen wollen".
- Dienstag, 14. März, 19.30 Uhr: Professor Johannes Barth: "Wasser, Klima und Nachhaltigkeit"
- Dienstag, 21. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Katharina Herkendell:
"Bioelektrochemie: Chancen für nachhaltige Energiesysteme". - Dienstag, 28. März, 19.30 Uhr: Prof. Dr. Kai-Ingo Voigt und Lauren Mackintosh: "Nachhaltige Innovationen und Konsumentenverhalten".
- Alle Vorträge finden bei freiem Eintritt im Großen Rathaussaal in Amberg statt.
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