Von Lucia Brunner und Wolfgang Ruppert
„Wer hod Kirwa“ – richtig – „Mir hom Kirwa“. Vor 1866 gab es in fast allen bayerischen Gemeinden ein Kirchweihfest, oder kurz auf nordbairisch eine Kirwa. Der Obrigkeit wurde das aber damals zu bunt, denn in ihren Augen feierten die Leute mehr als sie arbeiteten. Wenn irgendwo Kirwa ist, feiern auch die Nachbardörfer mit. Somit wurde die Kirwa kurzum auf einen einheitlichen Termin gelegt, den dritten Sonntag im Oktober. Die Allerweltskirwa war geboren, die bis heute in vielen Orten begangen wird.
Aber einige Ortschaften wollten sich ihre Kirwa-Feste nicht nehmen lassen. Im Landkreis Amberg-Sulzbach ist sie bis heute nahezu flächendeckend vertreten und wird von Ende April bis kurz vor dem ersten Advent vielfältig gefeiert. Nicht umsonst haben es die rund 120 Kirwan im Amberg-Sulzbacher-Land auch auf die bayerische Landesliste zum Immateriellen Kulturerbe geschafft. Erste historische Nachweise zur Kirwa gibt es schon aus dem Mittelalter. In Süß bei Hahnbach etwa wurde schon 1220 das Fest begangen.
Kirwa als soziales Gefüge
„Durch den Titel ,Immaterielles Kulturerbe‘ wird das Ganze wertgeschätzt und wahrgenommen“, findet Uli Piehler, Redakteur von Oberpfalz-Medien. Er veröffentlichte 2009 das Buch „Mir hom Kirwa! Kirchweihfreuden in der Oberpfalz“. Der Ortsheimatpfleger von Freudenberg war sogar einige Jahre ehrenamtlicher Kirwabeauftragter im Landkreis Amberg-Sulzbach und als Jugendlicher selbst Kirwa-Bursch. „Jedes Dorf hat eine Gemeinschaft“, erklärt er. Eine Kirwa sei auch ein soziales Gefüge, bei dem jung und alt an einem Strang ziehen. „Jeder hat hier eine Aufgabe“, sagt er.
In einem Dorf ist die Kirwa oft der Höhepunkt des Jahres. „Es wird fast ein Jahr vorbereitet und ein halbes Jahr nachbereitet“, sagt Piehler. Hinter einer Kirwa stecke wesentlich mehr als ein normales Fest oder Besäufnis, wobei Bier als Genussmittel natürlich eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Im Mittelpunkt stehen die Kirwa-Moidln und Kirwa-Burschen, die als Paare auftreten. „Jugendliche sorgen für Dynamik“, sagt Piehler. Sie bringen das Leben in das Fest und moderne Einflüsse. „Die Kirwa wandelt sich nach den Vorlieben der Jugendlichen“, so Piehler. Er vergleicht die Kirwa auch mit einem Initiationsritus, der die jungen Menschen in den Kreis der Erwachsenen überführt.
Fest von Samstag bis Montag
Feste Vorgaben gebe es zwar, doch müssten sich diese auch wandeln können. Beispiel Tracht: Da habe sich das Tragen von Motto-T-Shirts im weitesten Sinne zu einer sehr modernen Variante der Tracht entwickelt. Gefeiert wird in der Regel von Samstag bis Montag. Nicht zwangsläufig ist die Kirche und der Glaube heute der Dreh- und Angelpunkt des Brauchtums. So sind die Kirwan nicht alle termintreu am Tag der Kirchweihe oder des Patroziniums. „Viele haben ihre Termine in den Sommer verlegt“, denn hier sei eben schönes Wetter wahrscheinlicher.
Eingeläutet wird die Kirwa mancherorts mit dem Kirwa-Ausgraben. Damit beginnt oft die heiße Vorbereitungsphase. Ausgegraben wird, was im Jahr davor eingegraben wurde. „Das kann ein Fass Bier, ein Kasten Bier oder eine andere Form einer Zeitkapsel sein.“ Am Samstag wird der Kirwa-Baum gefällt und aufgestellt, häufig noch mit Schwalben, Goißn (zwei Holzstangen, die vorne mit einem Seil verbunden sind) und Muskelkraft. Am Abend geht es ins Wirtshaus oder ins Zelt. Der Baum wird von den Kirwa-Burschen bewacht, damit er nicht angesägt oder beschmiert wird. „Es gab schon Fälle, bei denen der Baum vor dem Austanzen gefällt werden musste.“ Das sei eine Katastrophe. „Es ist ja keine Kirwa, wenn man die eigentliche Hauptbrauchtumshandlung nicht vollziehen kann“, sagt Piehler.
Gottesdienst am Sonntag
Am Sonntag findet häufig ein Gottesdienst statt, an dem ebenfalls alle Generationen teilnehmen. Das Austanzen des Baums ist der wichtigste Teil des Festes. In Tracht tanzen die jungen Paare um den Baum oder singen ihn aus mit einfallsreichen und neckischen Texten. Häufig werden Lose verkauft. Der Hauptgewinn: Der Kirwabaum. Aber was macht man damit? „Die meisten spenden ihn zurück.“
Der Montag steht im Zeichen eines Heischebrauchs. „Da geht eine Gruppe von Menschen, die zusammen gefeiert hat, von Haus zu Haus und sammelt die Hinterlassenschaften des Festes ein“, erklärt Piehler. Die Bevölkerung gibt der Kirwa-Gesellschaft etwas zu essen, zu trinken oder eine Spende mit. Angeführt wird die Truppe häufig von Musik, dem Kirwabären und Kirwabärentreibern. „Es ist ein Schauspiel.“ Der Kirwabär ist danach meistens nicht mehr nüchtern. „Das ist der, der immer tanzen muss und der, der immer einen Schnaps kriegt.“
Schwarz angemalt
Häufig ist der Kirwabär schwarz angemalt und in Freudenberg kommt er gar als Eisbär daher. „Ein fahrender Geselle kam vor vielen Jahren von der Amberger Dult ins Dorf und hatte zufällig ein Bärenfell dabei“, erzählt Piehler. Die Kirwa-Gesellschaft kaufte dem Schausteller das Eisbär-Kostüm ab, womit sich zuvor auf Jahrmärkten Leute fotografieren ließen. „Bis heute ist das noch ein beliebtes Fotomotiv“, weiß der Experte. Die Kirwabärentreiber haben häufig eine Peitsche dabei. „In Freudenberg haben sie vorne eine Schweinsblase (Saubloudern) dran. Damit es richtig knallt.“ Gerade für Kinder sei das respekteinflößend. Jedoch dürfen sie den Kirwa-Bären auch jagen und der Bär jagt die Kinder, was den Beteiligten Spaß bereite.
Die Kirwa ist zudem eine Art Partnerbörse. Burschen ab 16 und Mädchen ab 14 Jahren dürfen bei einigen Kirwa-Gesellschaften beitreten und Paare bilden. Viele Paare zeigen sich sogar auf der Kirwa zum ersten Mal öffentlich der Dorfgemeinschaft. „Das wird sogar erwartet“, sagt Piehler. Aber nicht jeder ist automatisch verliebt. Es gebe zwischen den Paaren auch die eine oder andere lockere Vereinbarung. Oberkirwa-Paar kann man durch das Zufallsprinzip werden, dabei kreist beim Austanzen ein Blumenstrauß. Wenn der bereitgestellte Wecker klingelt, hört die Musik zu spielen auf. Das Paar, das den Strauß in der Hand hält, bekommt den Titel. Andere wählen das Paar demokratisch. So oder so, Oberkirwapaar oder nicht: Oft wurde nach der Kirwa auch geheiratet.
Brauchtum zur Kirwa
- Kirwabaum: Aufstellen am Kirwa-Samstag, Austanzen des Baums durch die Kirwapaare
- Kirwaliesel: schön dekorierter Bierkrug, meist Zwei- oder Drei-Liter-Krüge
- Kirwabär: geht von Tür zu Tür und bekommt Schnaps; wird "gejagt" und jagt auch selber
- Kirwabätz: geschmücktes Schaf, das eventuell verlost wird
- Kirwasau: wie Kirwabär, das Wort Bär leitet sich vom männlichen Schwein her (Saubär)
- Köichla: Gebäck aus Hefeteig, in Butterschmalz ausgebacken, mit Puderzucker bestreut, rund oder eckig
- Tracht: Männer tragen oft schwarze Hosen, weiße Hemden, Weste und Hut; Frauen tragen Dirndl; neue Variante: Kirwa-T-Shirts mit Motto (allerdings nicht beim Austanzen)
- Kirwa ausgraben/eingraben: Beginn und Ende der Kirwa, symbolisch werden Schnapsflasche, Bierfass oder Zeitkapsel ein- oder ausgegraben
- Geldbeutel waschen: nach Kirwawochenende leerer Geldbeutel wird in Trog gewaschen und beweint
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