"Kleider machen Leute" weiß der Volksmund. Aber hinter und in dem, was den Körper seit jeher bedeckt, steckt noch sehr viel mehr, weiß wiederum Autorin Anette Ruttmann. Zwei Dekaden lang hat sie an Essays gearbeitet, die nun unter dem Titel "Poesie der Kleider" im Amberger Büro Wilhelm Verlag erschienen sind.
Beleuchtet werden die Farben der Kleider ebenso wie die emotional aufgeladene Bedeutung von Haaren oder der Nutzen des Hutes in Fiktion und Alltag. Ihr Interesse an Mode sei bereits in der Kindheit entstanden, schreibt Anette Ruttmann auf Anfrage von Oberpfalz-Medien: "In meiner Familie spielten Textilien eine wichtige Rolle."
Der Brückenschlag zur Literatur, deren Weiten denen der Mode ja in nichts nachstehen, gelang "mit Hilfe von Erfahrung, Erinnerung und damit einhergehendem Suchen". Das Gefundene repräsentiere in wenigen Zeilen so vielsagend das Können eines Schriftstellers, dass es ihr bis heute noch leid tue um jedes Zitat, das sie nicht einbauen konnte.
Das ewige Dilemma Körpergewicht
Eine zuvor bereits zusammengestellte, aber nicht veröffentliche Anthologie von literarischen "Fundstücken" über Mode und Accessoires erleichterte die Arbeit zusätzlich. Inspiration fand die Essayistin aber nicht allein in der Literatur. Die Anregung zum – nach eigenem Bekunden nicht einfachen – Text über "Unterwäsche" fand sich in einer schönen Zeichnung ihrer Tochter sowie beim Besuch einer seinerzeit kontrovers diskutierten Ausstellung zum Thema in der Londoner "Royal Albert Hall".
Heikles schreckt Anette Ruttmann offenkundig nicht, wie auch ihre Auseinandersetzung mit dem ewigen Dilemma Körpergewicht beweist. Bevor sie sich auf dieses verminte Themenfeld wagte, habe sie aber schon erst einmal tief durchatmen müssen. Das mit "Anschauliche Füllen – magere Zeiten" überschriebene Ergebnis wertet sie als einen Versuch, der aus ihrer Sicht zumindest teilweise gelungen ist.
Emotionen und die Emanzipation
Ebenfalls nicht ausgespart bleiben die "Unruhen" um Eugen Gomringers in den Ruf des Sexistischen geratenen Gedichts "Avenidas". "Me too" und die neue Achtsamkeit hätten auch ihr Bewusstsein geschärft und zu mehr Wachsamkeit geführt, sagt Ruttmann. Die Frage, ob Emotionen wie im Fall Gomringer für die Emanzipation der Frauen ein Schritt in die richtige Richtung sind oder doch vielleicht eher schaden als nutzen, beschäftigt sie aber immer noch.
Dass ein solches, über 20 Jahre gewachsene Spektrum mit Arbeit einhergeht, liegt auf der Hand. Aber gerade die "Poesie der Kleider" habe ihr auch sehr viel Vergnügen bereitet, so Ruttmann. Ganz allgemein eröffne ihr das Schreiben eine Möglichkeit, dem Alltag zu entkommen, sich ganz und gar einem Thema zu widmen und dabei die Zeit zu vergessen.
Ihre Leidenschaft für die kurze literarische Form hat Gründe: "Ein Essay im ursprünglichen Sinn ist ja kein 'Besinnungsaufsatz', er hat einen bestimmten Stil, in dem ich mich wiederfinden kann. Es ist wie ein Spaziergang in ungesichertem Gelände, von wissenschaftlichen Zwängen befreit. Es erfordert auch deshalb etwas Mut, weil man sich allerlei Frechheiten erlauben darf". Ein Abstecher ins Genre Roman käme für sie dagegen kaum in Frage: "Ich bin eine Kurzstreckenläuferin", konstatiert die Autorin und zitiert den österreichischen Dichter Ernst Jandl: "Ein Roman ist eine Geschichte, in der alles zu lang dauert."
1996 wurde Anette Ruttman für einen "eher ernsten" Text über das Fremde mit dem Würth-Essaypreis ausgezeichnet. Die Ehre nahm sie wiederum als Ansporn, auch über leichtere Themen zu schreiben. Wie zum Beispiel über die "Poesie der Kleider". Dem Untertitel zum Trotz ist ein Kapitel im neuen Buch übrigens auch dem anderen Geschlecht gewidmet: "Über Männer in Schlafröcken".
Zu Person und Buch
- Anette Ruttmann, geboren 1943 in Herford, Studium Romanistik und Germanistik, Auslandsaufenthalte in Sevilla/Spanien, Chicago/USA und Rotterdam/Niederlande, bezeichnet sich als "literarische Gelegenheitsarbeiterin", 1996 mit dem Würth-Essaypreis ausgezeichnet, für das 2015 erschienene Buch "Bücherfreude-Leseglück-Digital(ver)lust" interviewte sie Nutzerinnen und Nutzer der Provinzialbibliothek Amberg. Anette Ruttmann lebt seit 1970 bei Amberg in der Oberpfalz
- Poesie der Kleider - Essays über Frauen, Literatur und Mode, 176 Seiten, Taschenbuch, mit Illustrationen/Malerei von Annette Bohn-Meinecke und Nachwort von Antje von Graevenitz, Büro Wilhelm Verlag, 18 Euro
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