Mit der Videokampagne „#ambergmachtdieaugenauf“ stimmte das „Bündnis für Migration und Integration“ in ein Thema der Vollversammlung im König-Ruprecht-Saal des Landratsamtes Amberg-Sulzbach ein: Den alltäglichen Rassismus, den auch Menschen erfahren, die in Deutschland geboren sind. Rassistische Anfeindungen gibt es nicht irgendwo oder irgendwann, sondern auch in Amberg und im Landkreis – darauf macht der Film aufmerksam. Das griff Astrid Knab, die Koordinatorin für Flüchtlingshilfe vom Malteser-Hilfsdienst, auf: „Alltagsrassismus geht alle etwas an. Und jeder kann etwas tun dagegen.“ Möglich sei das vor allem durch Begegnung.
Stellvertretender Landrat Stefan Braun verwies auf den Artikel 1 des Grundgesetzes, der die Würde aller Menschen schütze, auch die der Zugewanderten. Ambergs Bürgermeister Franz Badura lobte das Engagement der Beteiligten und dass seit zehn Jahren die Flüchtlingshilfe im Raum Amberg erfolgreich arbeite. Der Landkreis wie auch der Bezirk Oberpfalz seien im „Ranking“ der Migrationsarbeit ganz vorne mit dabei.
Verschärfte Situation
Die Landtagsabgeordnete Gudrun Brendel-Fischer (CSU), seit 2018 Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, berichtete über die sich aktuell verschärfende Situation. So kämen zum Beispiel wieder vermehrt Migranten aus Syrien, Afghanistan, Irak und der Türkei nach Deutschland. Die Kommunen ächzten unter den Zahlen, sogar Schulturnhallen müssten wieder belegt werden. „Für Ukrainer ist es leichter, Quartiere zu bekommen“, so würden es ihr Kommunalpolitiker schildern. Man müsse bei all den Integrationsbemühungen auch die damit einhergehenden Herausforderungen für die Bevölkerung im Blick behalten.
Brendel-Fischer berichtete über ihre aktuellen Projekte, mit denen sie Brücken zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen bauen will. Zum Beispiel die Präsentation gut integrierter Mutmacher via Youtube, die mehrsprachige Bücherbox für Kitas oder eine geplante, niederschwellige Projektreihe gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. „Miteinander und voneinander lernen“ sei ihre Devise. Auch die Integrationslotsen leisteten hervorragende Arbeit. Fast alle Kreisverwaltungsbehörden würden mittlerweile dieses Angebot des Freistaats nutzen. Brendel-Fischers Wunsch ist es, die Stellen zu verstetigen.
Nötig: Mehr Sprachlehrer
Die Integrationsbeauftragte wies auch auf Probleme hin, die bislang noch zu wenig gesehen würden. Zum Beispiel sei das Thema weibliche Genitalverstümmelung durch die Zuwanderung in Deutschland angekommen. Um dagegen vorzugehen, müsse man Ärzte, Erzieher und Lehrkräfte in die Integrationsarbeit verstärkt einbeziehen. Claudia Mai, Leiterin der Volkshochschule Amberg-Sulzbach und beim Landkreis zuständig für das Bündnis, fasste die aktuelle Problematik in nüchternen Zahlen zusammen (Hintergrund).
Für die Integration in die Gesellschaft ist der Spracherwerb entscheidend: Darin waren sich alle einig. Aber dafür gibt es nach Ansicht der Runde derzeit zu wenige Sprachmittler. Selbst nach 60 Jahren Anwerbe-Abkommen mit der Türkei gebe es immer noch Türkinnen, die kein Wort Deutsch sprechen: Das dürfe sich nicht wiederholen, sagte Brendel-Fischer. Damit sich für Integrations- und Sprachkurse wieder vermehrt Lehrkräfte finden, müsse der Bund die Standards bei den Bildungsträgern herabsetzen. Die Erhöhung der Übungsleiterpauschale auf 3.000 Euro sei erfreulicherweise ein Anreiz für Ehrenamtliche, Deutschkurse zu geben. Nicht nur gelernte Deutschlehrer könnten Deutsch unterrichten, betonte Rainer Liermann von der Arbeitsagentur. Er forderte unter Applaus des Bündnisses dazu auf, dass die Fertigkeiten von Interessenten für diese Lehrtätigkeit unbürokratisch überprüft werden sollten. Brendel-Fischer stimmte dem zu.
Schnelle Bleibeperspektive?
Martin Grill, pädagogischer Koordinator für die Berufsintegration an der Berufsschule, lobte die bayerischen Anstrengungen. Die Arbeit müsse dann aber auch weiter verstetigt werden. Leuten, die sich in der Integrationsarbeit bewährt haben, dürfe nicht mehr nach einem Jahr wieder gekündigt werden. Diese Praktik fördere Integration nicht.
Brendel-Fischer wies auf das Problem von Geduldeten hin, die nicht in ihre Heimat rückgeführt werden können. Diese seien zum Nichtstun verdammt. Hierfür müsse es Angebote geben. Sie nannte auch die hohe Anerkennung abgelehnter Asylbewerber für eine Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsduldung, die ihnen Chancen eröffne. Das von der Bundesregierung angestoßene „Chancenaufenthaltsgesetz“ sei in der aktuellen Form allerdings keine Lösung. Es schaffe noch mehr Anreize und gebe zu schnell grünes Licht für einen Daueraufenthalt in Deutschland. „Alle Türen und Tore auf“ könne nicht das Motto sein. Der Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung müsse dringend nachgebessert werden.
Die Integrationsarbeit ist ihrer Meinung nach auf weiten Strecken erfolgreich. Aber man dürfe die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft Deutschlands in Bezug auf Integration nicht überfordern. Der Staat müsse diese schließlich auch finanzieren. Wie schnell sich die wirtschaftliche Situation ändern kann, sehe man derzeit überall. „Noch ist Deutschland ein reiches Land, aber das kann schnell anders werden“, meinte die Integrationsbeauftragte. „Die Stimmung kann schnell kippen.“ Man müsse die Bevölkerung mitnehmen, die das alles mit ihren Steuern finanzieren muss.
Im Gegensatz dazu befand die Asylbeauftragte der Caritas, Anne Kuchler, das neue Chancenaufenthaltsgesetz für gut, denn wenn Geduldete arbeiten, könnten die Sozialsysteme vielmehr gestärkt werden. Die meisten Migranten wollten schließlich längerfristig arbeiten. Und wenn sie das künftig tun dürften, würden sie Steuern und Sozialabgaben zahlen. Eine „Beschäftigungsduldung“ sei für alle Parteien viel besser als die kontraproduktiven Kettenduldungen bei gleichzeitigem Arbeitsverbot, weil sich diese Personen sonst nur an das Nicht-Arbeiten gewöhnten. Eine Zuwanderung sei langfristig eher vorteilhaft für unser Land, war sich Kuchler sicher. Die Begriffe wie die „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ nerve sie zunehmend.
„Sie werden das Deutsch nicht lernen“
Rainer Liermann von der Arbeitsagenturnannte die Sprache das A und O der Integration. Was aber könne man zusätzlich tun, um insbesondere Migranten aus dem arabischen Raum zum Spracherwerb zu bringen, fragte er das Podium: „Ich kann sie fünf Jahre in einen Integrationskurs schicken. Sie werden das Deutsch aber nicht lernen.“ Es gebe genügend Beispiele im Jobcenter, die man nicht verschweigen solle. Rainer Liermann ergänzte, dass vor dem Ukraine-Krieg gerade mal 68 Jugendliche unter 25 Jahre arbeitslos gemeldet waren – so wenige seien es noch nie gewesen. Das sei seit dem 24. Februar natürlich anders. Aber jeder, der wolle, könne einen Ausbildungsplatz finden. Auf der anderen Seite forderte Liermann verstärkte Anstrengungen, ausländische Berufsabschlüsse häufiger anzuerkennen.
Ungleichbehandlung von Geflüchteten beenden
Während Flüchtlinge aus der Ukraine aufgrund einer Entscheidung der EU sofort eine Erlaubnis erhielten, zu arbeiten, steckten andere Geflüchtete im Status einer Duldung, sagte die Abgeordnete: Sie dürften nicht arbeiten oder wohnten in Massenunterkünften. Das führe an einigen Orten zu Unmut und Konfliktpotential. Die Abgeordnete führte aus, dass Bayern nicht gewollte habe, dass Geflüchtete aus der Ukraine in den Bezug von Sozialleistungen kommen. Diese ungleiche Behandlung von Ukrainern und anderen Geflüchteten dürfe so nicht fortgeführt werden.
In seinem Abschlusswort meinte der stellvertretende Landrat Stefan Braun, dass man es in Deutschland wohl verlernt habe, auf Sondersituationen pragmatisch zu reagieren. Er befürwortete deshalb die in der Diskussion vorgeschlagenen Lösungen. Er hoffe, dass Brendel-Fischer die Anregungen in ihrer Politikarbeit umsetzen könne.
Aktuelle Zahlen
- Migrationshintergrund: 22,3 Millionen von 83 Millionen Einwohnern haben in Deutschland einen Migrationshintergrund
- Asylanträge 2022: Im ersten Halbjahr 2022 wurde 84.000 neue Asylanträge gestellt, ein Anstieg um 56 Prozent (ohne Ukraine)
- Zugangsstärkste Länder: Die fünf zugangsstärksten Länder sind Syrien, Afghanistan, Irak, Türkei, Georgien.
- Ukraine-Flüchtlinge: 150.000 Ukrainer sind in Bayern registriert. Sie erhalten „vorübergehenden Schutz“ nach SGB II („Hartz IV“)
- Arbeitslosigkeit: Bei der Bevölkerung mit ausländischer Staatsbürgerschaft: 14,4 Prozent, bei der Gesamtbevölkerung: 4,7 Prozent
- FGM/weibliche Genitalverstümmelung: Die Zahl der Fälle ist im Vergleich zu 2017 um ca. 160 % gestiegen
- Asylanträge EU: Im ersten Halbjahr 2022 wurden in der EU 63 Prozent mehr Asylanträge gestellt als im ersten Halbjahr 2021
- Integrationskosten: Der Bund zahlte im Jahr 2020 rund 4 Milliarden Euro nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, Bayern steuerte 640 Millionen dazu bei
- Integration: Nach einer Umfrage der Diakonie glauben 12 Prozent der Bevölkerung, dass Integration gelungen sei
Chancen-Aufenthaltsrecht
- Aufenthalt: Wer zum Stichtag 01.01.2022 fünf und mehr Jahre in Deutschland gelebt hat, kann einen Antrag stellen.
- Integration: Er darf nicht straffällig geworden sein. Die Identität muss gesichert sein, ebenso der Lebensunterhalt.
- Familiennachzug: Angehörige von Fachkräften und IT-Spezialisten können ohne Sprachprüfung einreisen.
- Arbeitsplätze: Die bislang Geduldeten bekamen selten Arbeitsplätze, weil sie jederzeit abgeschoben werden konnten. Das soll entfallen.
- Kritik: Die CDU / CSU befürchtet eine steigende Zahl irregulärer Migranten und eine Aushöhlung des Asylrechts.
Das von der Bundesregierung angestoßene „Chancen-Aufenthaltsrecht“ soll geduldeten Ausländern künftig eine Bleibeperspektive in Deutschland ermöglichen. Geduldete sind solche Ausländer, die ausreisen müssten, aber nicht abgeschoben werden können.
Sind diese Ausländer seit fünf Jahren in Deutschland geduldet, es sind derzeit ca. 130.000 Personen, können sie künftig ein dauerhaftes Bleiberecht beantragen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen:
Das Bündnis für Migration und Integration
- Bündnis: Das interkommunale Bündnis für Migration und Integration gilt weit über die Stadt- und Landkreisgrenzen hinaus als beispielhafter Zusammenschluss für Integrationsarbeit.
- Ziele: Das Bündnis will eine langfristige und dauerhafte Verbesserung der Wohn-, Bildungs-, Arbeits- und Lebensqualität der Migranten im Landkreis Amberg-Sulzbach und der Stadt Amberg und eine Verbesserung der Integrationschancen (sprachlich, schulisch, beruflich und sozial)
- Mitarbeit: Wer mitarbeiten möchte, kann sich melden bei Astrid Knab (Malteser), Corinna Kellner (Luitpoldschule), Rainer Liermann (Jobcenter Amberg-Sulzbach), Anne Kuchler (Caritas Amberg-Sulzbach), Anna Szymczak (CJD Amberg-Sulzbach) oder Geschäftsführer Tobias Berz (Landratsamt)
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