Kurz bevor er sich für immer aus dem Theatergeschäft zurück zog – und dann auch 1616 relativ jung mit 52 Jahren starb – haute William Shakespeare 1611 mit "The Tempest" – "Der Sturm" noch einmal so richtig einen raus. Eine Romanze mit spannenden Abenteuerelementen, Magie, Geistern und Intrigen. Also praktisch: mit allem. Heute würde er dafür wahrscheinlich diverse Theaterpreise und Oscars abräumen. Denn das Publikum hat den Sturm immer geliebt. Der im Gegensatz zu vielen anderen Shakespeare-Stücken auch nicht vorübergehend in Vergessenheit geraten ist. Ein richtiger Straßenfeger also, dessen sich Winfried Steinl in diesem Jahr mit seinem AMsemble angenommen hat.
Ein gutes Stück auch für ambitionierte Schauspieler, die hier tatsächlich zeigen können, was ihnen der unermüdliche und unerschöpfliche Winni Steinl in den vergangenen Jahren im AMsemble so beigebracht hat. Steinl, der Großmeister der hiesigen Theaterszene, hat das Stück kurzerhand seinem Ensemble angepasst, hat Rollen gedoppelt und gedrittelt und Männerrollen mit Frauen besetzt. Ein sehr demokratischer und kreativer Umgang mit Shakespeare, der schon gleich einen Gegenpol setzt zum doch ziemlich absolutistischen Inhalt des Stücks "Der Sturm", das bei Steinl nur noch "Sturm" heißt. Ein bisserl eine künstlerische Freiheit muss schon sein.
Das Ding mit den Intrigen
Im Sturm geht es kurz gefasst darum, dass Prospero, der Herzog von Mailand (Wolfgang Schrüfer), ein veritabler Langweiler à la King Charles, der lieber Bücher liest und sich mit magischen Tricks und wahrscheinlich auch Pilzen beschäftigt, von seiner Schwester Antonia (Olga Reich) weggeputscht und auf dem Meer ausgesetzt wird. Er landet gemeinsam mit seiner Tochter Miranda (Annalena Egerer) auf einer einsamen Insel, die nur von ein paar verwirrten Geistern bewohnt ist. Um weiter seiner gepflegten Langeweile frönen zu können, wird Prospero vorübergehend mal zum Despoten und versklavt die Geister Ariel (dreigeteilt in Lina Bober, Dagmar Müller und Tia Stoll) sowie Caliban (ein Doppel aus Judith Hellmuth und Andreas Guggenberger).
Ach so, einen Sturm brauchen wir natürlich noch. Denn ganz so einfach ist es dann doch nicht mit der Langeweile. Weil tatsächlich stinkt es dem Prospero nämlich schon, dass jetzt ein anderer Kalif anstelle des Kalifen ist. Kurzerhand schaltet er daher seine magische Sturmmaschine an und seine Widersacher, inklusive des intriganten Königs von Neapel Alonso (Manuel Sailer), landen auf seiner Insel. Wo dann Prospero dank seiner Fähigkeiten und mit Hilfe seiner magischen Sklaven am Ende seinen Thron zurückbekommt. Wobei sich in der Steinl'schen Version im Gegensatz zu Shakespeare am Ende herausstellt, dass des Königs Sohn Ferdinand (Lukas Jakob) schon ein besonders langweiliges und uninteressantes Exemplar von Thronfolger ist und Prosperos Tochter daher lieber auf der Insel bleiben, als mit Ferdinand vermählt werden will.
Kein gut und kein böse
Wir sehen schon: Im Sturm hat Shakespeare mal ganz raffiniert und durchaus unüblich zu dieser Zeit darauf verzichtet, seine Charaktere in gut oder böse einzuteilen. Prospero ist sowohl Opfer als auch Täter, bei anderen ist es umgekehrt. Ein Fest für Theatermacher. Da darf gelitten und gebrüllt werden in einer Person, da wird munter getrunken und gezaubert – und am Ende fühlt man eher mit den gefangenen Geistern als mit diesem verkommenen Menschenpack, das auf dieser Insel sein Unwesen treibt. Kein Wunder, dass am Ende des Herzogs Tochter die animalischen Versprechungen von Geist Caliban der Gewissheit von Ödnis durch den Thronfolger von Neapel vorzieht.
An diesen Konstellationen sieht man schon: Die meisten der Sturm-Rollen bieten etwas für die Schauspieler. Sie verlangen aber auch. Denn Shakespeare und Winni Steinl fordern den Akteuren alles ab. Kaum Bühnenbild, nur spartanische Soundeffekte von Anita Kinscher – ansonsten viel Raum für das Schauspiel. Da heißt es spielen, spielen und noch einmal spielen. Das tun vor allem die beiden Caliban-Geister Judith Hellmuth und Andreas Guckenberger mit exzessiver Leidenschaft und viel Spucke. Das machen aber auch die adeligen Darsteller – und die Luftgeister sowieso. Und auch Suffkopf Stephano (Jonathan Okorafor) und seine Säuferfreundin Trincula (Anne Lämmer) tun das mit Bravour. Wie das ganze AMsemble mit Feuer im Sturm dabei ist.
Ein bisserl wenig Publikum
Ja, gut gespielt haben sie alle. Das AMsemble ist zwar der Bezeichnung nach ein Laientheater, doch eines, dass zu Recht heraus ragt in unserer Region. Und gut spielen mussten sie auch, denn der Sturm der Zeit ist längst über den Sturm hinweg gefegt. Die einst möglicherweise superspritzigen Dialoge und Ideen des dichterischen Großgenies sind heute ungefähr so spannend wie der ESC, der Europäische Songcontest. Und trotzdem hat es das AMsemble geschafft, die Spannung hochzuhalten und unsere Aufmerksamkeitsspanne, die sich angeblich nur noch im Bereich eines Regenwurms bewegt, auf ganze 90 Minuten zu verlängern. Eigentlich schade, dass der Publikumszuspruch bei beiden Vorstellungen eher "durchschnittlich" gewesen ist. Da müssen wir im nächsten Jahr ordentlich nacharbeiten.
Der Sturm von William Shakespeare
- "Der Sturm" gehört zum Spätwerk des englischen Dichters
- Entstanden ist er zwischen 1610 und 1611
- Erste belegte Aufführung im November 1611
- "Der Sturm" wird innerhalb Shakespeares Werk unter die Romanzen eingestuft
- William Shakespeare wurde am 26. April 1564 in Stratford-upon-Avon bei Birmingham geboren
- Er starb am 23. April 1616 ebendort
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