"Pappel" ist ein in jeder Hinsicht außergewöhnlicher Roman. Ein bisschen Märchen, verschmolzen mit Krimi- und historischen Elementen und getragen von überbordender Fantasie. Oder wie es Gastgeberin Nora Gomringer in Worte fasst: "So ein seltsamer und eigentlich schräg vertrauter erzählerischer Ansatz. Mehr wie ein Text aus den 1920ern. Wild wuchernd und poetisch."
Also in keinem Fall Belletristik von der Stange. "Es war ein Geistesblitz, der sich zu dem Plan entwickelte, die Geschichte Deutschlands im Schnellverfahren zu durchleuchten. Als würde man einen Zeitstrahl unter ein Mikroskop legen und stetig weiterschieben, während man zwischendurch innehält und hineinzoomt", schreibt Dalibor Marković auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien. Hauptfigur Konrad Pappel sei in diesem Bild das Trägermedium und Schriftsteller Franz Kafka die Trägersubstanz, die man aufträufelt, um Details besser sichtbar zu machen.
Die Anmut der Pappeln
Dass er ausgerechnet die Pappel für seine literarische Metamorphose gewählt hat, liegt einerseits an der Nähe zum englischen Wort "people", also Menschen, zu denen Konrad Pappel so gerne gehören möchte. "Andererseits stand beim Einbiegen zum Bauernhof meiner Großmutter in Slawonien (Kroatien) eine Pappelreihe, deren Anmut mich immer faszinierte. Als ich dann noch feststellte, dass Pappeln problemlos 150 Jahre alt werden können, war die Sache geritzt."
Die den gesamten Roman durchziehenden Kafka-Reminiszenzen sind selbstredend auch kein Zufall: "Es war meine erste Berührung mit Literatur, die mich auf eine gute Art und Weise verwirrte und sprachlos machte. Alles, was ich vorher gelesen hatte, war unterhaltend und auch geistreich und erhellend, aber bei Kafka merkte ich, dass Literatur mehr sein kann als das."
Für Dalibor Marković kam vor dem Roman-Debüt eine Karriere als Beatboxer und "Spoken-Word-Lyriker". Was unter Letzterem genau zu verstehen ist, erklärt er so: "Für die Bühne schreibe ich Gedichte, die auf Stimme und Klang großen Wert legen und einem Takt oder Rhythmen folgen. Sie entfalten ihre volle Wirkung eher beim Vortrag als auf dem Papier." Welchen Begriff man schlussendlich dafür wähle, sei oft auch zeitgenössischen Moden unterworfen. Sobald man sich in die Materie hineinarbeite, finde man heraus, dass der mündliche Vortrag von Gedichten eine jahrtausendealte Tradition hat und kulturübergreifend praktiziert wurde und wird.
Aber ob nun als "Rhapsode" in der Antike, "Minnesänger" im Mittelalter, "conteur" im Französischen oder "Spoken-Word-Lyricist" im Englischen betitelt, sie alle beschreiben den Versuch, mittels Atems und Stimme, mit gesanglichen oder klanglichen Finessen, Gedichte vorzutragen oder Geschichten zu erzählen, so Marković weiter.
Gemeinsame Tourneen
Sein Weg hin zum rein Schriftlichen begann bereits in jungen Jahren mit dem Schreiben von Kurzgeschichten: "Prosa war stets und im wahrsten Sinne des Wortes ein 'stiller' Begleiter meiner künstlerischen Arbeit. Es war nur konsequent, sich irgendwann an einen Roman zu setzen." Über viele Monate sich mehr oder weniger schnell wieder auflösende Erzählstränge aufzubauen und den großen Bogen zu spannen, sei dann aber doch Herausforderung und Geduldsprobe zugleich gewesen: "Für ein Bühnenstück benötige ich in der Regel zwischen ein paar Tagen und einem Monat." Die Erkenntnis, dass detektivische Recherchearbeit überraschenderweise sehr gut zu ihm passe, zählt er zu den neuen, bereichernden Erfahrungen.
Um das Innerste des Publikums zu erreichen, eignet sich seiner Erfahrung nach Gesprochenes wie Geschriebenes gleichermaßen. Der Unterschied bestehe in der Kontrolle, die man währenddessen hat, und der Reaktion, die man daraufhin erhält: "Auf der Bühne kann ich die Fäden ziehen, das Publikum zum Nachdenken, zum Lachen, zum Staunen bringen, und bekomme die Reaktion direkt geliefert. Diese Kontrolle habe ich beim Roman nicht und das ist sehr reizvoll. Ich werde kaum sehen können, ob jemand aufgrund eines Satzes im Roman lächelt oder beim Zuschlagen des Buches nochmal nachdenken wird."
Was ihn nun zu Nora Gomringers "Tinte & Terz"-Late Night gebracht hat, begann vor gut fünfzehn Jahren mit Poetry-Slam-Veranstaltungen. Seither haben zahlreiche gemeinsame Reisen und Tourneen durch Literaturhäuser und Festivals im Ausland das Band der beiden "Gleichgesinnten" gestärkt.
Weil er Gomringers künstlerische Integrität und ihr "atemberaubendes Können" sehr schätzt, vertraut der Gast auch bei der Überraschungs-"Terz" im Stadttheater Amberg auf ihr glückliches Händchen. Er selbst könnte sich eine Doo-Wop-Truppe mit Hits aus den Fünfzigern ebenso vorstellen wie ein Beatbox-Orchester oder jemand an Gitarre und Mundharmonika: "In jedem Fall werde ich mich sehr darüber freuen."
Zu Person, Buch, Veranstaltung
- Dalibor Marković, geboren 1975 in Frankfurt am Main, Autor, Spoken-Word-Lyriker, seit knapp 20 Jahren auf deutschen und internationalen Bühnen zu Gast, lebt in Frankfurt a.M. und in Mexico-City/Mexiko.
- Pappel. Die Geschichte eines Herumtreibers, Roman, 288 Seiten, gebunden, Verlag Voland & Quist, 24 Euro
- Tinte & Terz mit Nora Gomringer und Dalibor Marković, am Donnerstag, 2. Februar um 20 Uhr im Stadttheater Amberg, Tickets bei der Tourist Information Amberg unter Tel. 09621/101233
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