Flossenbürg
15.05.2022 - 13:40 Uhr

„Sichtbar unsichtbare“ Präsentation in KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Was für ein grausamer Blick auf Männer, Frauen und Kinder als vermessbare, kategorisierbare Wesen. Es ist der „kalte Blick“ zweier NS-Rassenforscherinnen auf über 500 Juden aus dem polnischen Tarnów, den eine gleichnamige Ausstellung zeigt.

Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit mit der Ausstellungskuratorin Dr. Margit Berner (Mitte) und der Direktorin der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, Dr. Andrea Riedle, vor den schwarzen Stellwänden, in denen die Fotos der Tarnówer Juden mehr oder weniger versteckt sind. Bild: Eichl
Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit mit der Ausstellungskuratorin Dr. Margit Berner (Mitte) und der Direktorin der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, Dr. Andrea Riedle, vor den schwarzen Stellwänden, in denen die Fotos der Tarnówer Juden mehr oder weniger versteckt sind.

Die wissenschaftskritische Ausstellung, die der KZ-Gedenkstätte von der Berliner Stiftung Topographie des Terrors angeboten worden ist, war schon in Berlin und in Wien zu sehen. Den Bezug zu Flossenbürg - die Gedenkstätte zeigt nur Ausstellungen mit direktem Bezug - stellt ein Mann her, den Gedenkstättenleiter Jörg Skriebeleit persönlich kennt: Steve Sacher Israeler, einer der ganz wenigen Überlebenden des Massenmordes an den Juden im deutsch-besetzten Tarnów, der als Jugendlicher 1945 in Flossenbürg von den Amerikanern befreit wurde. Israeler ist einer von fünf der 565 fotografierten Juden aus Tarnów, die im Lager Flossenbürg gelandet waren. Er ist Vollwaise, als er gerettet wird. Insgesamt überleben von den Tarnówer Juden nur 26.

Die Ausstellung beruht auf der akribischen Recherche einer Wissenschaftlerin, die die Fotos durch Zufall entdeckt hat. Dr. Margit Berner ist Mitarbeiterin des Natur­historischen Museums in Wien, an dem auch die beiden Anthropologinnen Dora Maria Kahlich und Elfriede Fliethmann gearbeitet hatten, die 1942 die 565 Männer, Frauen und Kinder im Ghetto Tarnów für ihre Pseudowissenschaft fotografierten. Schnell hatte es gehen müssen, denn die Deportation des „Materials“, wie die zwei Frauen in einem Briefwechsel die fotografierten Juden menschenverachtend nennen, stand kurz bevor.

Berner beschreibt bei der Ausstellungseröffnung die Geschichte Israelers, den sie 2003 in New York besucht hat. Der heute 91-Jährige dankt seinerseits ausdrücklich dafür, durch Berners Forschung erstmals Fotos seiner Familie in Händen zu halten. Berner schildert ihre jahrelange Recherche in anatomischen Sammlungen, bei der sie auf den Karton mit den Fotos der Tarnówer Juden gestoßen ist, und wie sie in mühsamer Kleinarbeit mit Hilfe unter anderem des bekannten Historikers Götz Aly den Fotos Namen zuordnen konnte.

Die Ausstellung will nichts weniger, als die nach Art von „Verbrecherfotos“ aufgenommenen Porträts der zu Opfern der Wissenschaft degradierten Menschen noch einmal zur Schau zu stellen. Die Fotos der Tarnówer Juden sind daher auf schwarzen Stellwänden in einem Kubus, die nur einen seitlichen Blick gestatten, mehr oder weniger versteckt. Eine „sichtbar unsichtbare“ Präsentation nennt das Dr. Andrea Riedle. Sie ist Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors, die die Ausstellung federführend konzipiert hat. Über die Porträtfotos hinaus zeigt die Schau Vermessungswerkzeuge der Wiener Rassenforscherinnen, Teile des Briefwechsels der beiden Frauen und ein paar wenige Aufnahmen einiger Fotografierter aus einer Zeit, in der diese noch nicht um ihr Leben hatten fürchten müssen.

Service:

Die Ausstellung „Der kalte Blick“

  • ab sofort bis 6. November 2022 in der ehemaligen Häftlingsküche
  • täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet
  • Eintritt frei
  • Ausstellungskatalog im Buchhandel erhältlich
 
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