Demnächst (Montag, 11. September) hetzt er wieder durch die Straßen, tanzt mit den daherkommenden Frauen und rauft die Männer nieder: der Freudenberger Kirwabär. Unter den Kirwabären im Amberg-Sulzbacher Land nimmt er eine Sonderstellung ein, weil er als einziger das Aussehen eines Bären hat – eines Eisbären wohlgemerkt. Die ältesten Freudenberger, wie der 92 Jahre alte Hans Dotzler, kennen noch eine Geschichte dazu.
Begeisterung in der Gaststube
Es war Anfang Oktober 1949, nach den schrecklichen Kriegsjahren kehrte allmählich das gesellschaftliche Leben zurück. In Amberg ging gerade die Michaeli-Dult zu Ende, in Freudenberg stand die Kirchweih bevor. Da kehrte ein seltsamer Mann im Gasthaus Dotzler ein. Er erzählte, dass er Schausteller auf der Amberger Dult sei und dass er ein Bärenfell samt einer Kopfmaske im Gepäck habe. Mit diesem habe er sich schon auf verschiedenen Volksfesten in ganz Deutschland fotografieren lassen, um ein paar Mark zu verdienen. So etwas hatten die Freudenberger noch nicht gehört. Die Männer in der Gaststube ließen sich zeigen, wie das aussieht und waren schier begeistert.
Den Freudenberger Kirwaburschen war klar: Das Fell wäre die perfekte Ausstattung für ihren Kirwabären. Bisher war die Brauchtumsgestalt nämlich nur mit allerhand Hadern, Schürzen und einem Kopftuch bekleidet. Vor dem Zweiten Weltkrieg trug der Kirwabär in Freudenberg, wie auf historischen Fotos zu sehen ist, eine Eselsmaske. Von nun an sollte der Kirwabär auch so aussehen wie ein Bär. Die Kirwaburschen schwatzten dem Dult-Schausteller die Verkleidung ab. Seit 1949 hetzt am Kirwamontag der weiße Bär durch die Straßen Freudenbergs und ist zu einem echten Markenzeichen geworden.
Ein deutsches Phänomen
Doch wie kam das Fell nach Amberg? Ein Bildband, den ein französischer Fotograf veröffentlicht hat, gibt einen Hinweis auf die Antwort. Unter dem Titel "The mysterious German fad for posing with a polar bear imitator" berichtete die britische Zeitung "The Guardian" über das Buch namens "Teddybär" von Jean-Marie Donat, und etliche andere Medien auf der ganzen Welt sprangen auf. In dem Buch hat der Fotograf mehr als 300 Fotos aus den Jahren 1920 bis 1960 veröffentlicht, die Deutsche bei verschiedenen Gelegenheiten zeigen, wie sie neben einem Mann im Bärenfell posieren. Scheinbar ein deutsches Phänomen. Donat hatte die Fotografien über viele Jahre von Bekannten aus allen Ecken Deutschlands gesammelt.
"Ich war sofort fasziniert", sagte der Franzose im Gespräch mit dem Magazin Spiegel über die Fotos mit den Menschen in Eisbärenfellen. "Das Ganze wirkte unglaublich surrealistisch. So etwas hatte ich noch nie gesehen." Und er kam vielleicht auch dem Ursprung der Bären-Posen auf die Spur. Immer wieder habe er bei seinen Recherchen die Geschichte gehört, dass es im Berliner Zoo Anfang der 1920er-Jahre zwei Eisbären gegeben habe, die schnell immens populär geworden seien. Der Zoo habe deshalb Angestellte in Eisbärenkostüme gesteckt, um am Eingang mit Zoobesuchern zu posieren, die diese Fotos dann kaufen konnten. Das sei so erfolgreich gewesen, dass bald überall auf Jahrmärkten und Volksfesten professionelle Fotoateliers das Prinzip imitierten. Nach und nach seien dann die Eisbären-Menschen im ganzen Land beliebt geworden. "Wahrheit oder Legende? Donat weiß es selbst nicht", schreibt der Spiegel. Er liebe es aber, "wenn manche Dinge ein Mysterium bleiben".
Live am Kirwamontag
Das Mysterium kann man sich am Kirwamontag in Freudenberg anschauen. Da lebt er fort, der vermeintliche Eisbär aus dem Berliner Zoo, der sich nunmehr fast 100 Jahre lang mit Menschen auf den Straßen, bei Volksfesten und Dulten fotografieren lässt. In Freudenberg tanzt er sogar, reißt Passanten um und jagt Kindern hinterher. Er ist zum Kirwabär geworden.
Kirwa und Kirwabären
- Der Kirwabär ist eine uralte Brauchtumsfigur bei den Kirchweihen im Amberg-Sulzbacher Land.
- Seinen Ursprung hat die Figur in einem Heischebrauch: Menschen ziehen nach einem Fest von Haus zu Haus und sammeln (erheischen sich) Speis und Trank.
- Heischebräuche sind zum Beispiel auch das Wurstsuppen- oder Pfingstlümmel-Fahren oder maskierte Umgänge an Fasching.
- Die Brauchtumsfigur beim Heischen nach den Kirchweihen im Amberg-Sulzbacher Land heißt Kirwasau oder Kirwabär, gemeint ist allerdings immer das Schwein – in der männlichen Variante also der Saubär. In Freudenberg wurde die Figur umgedeutet.
- Das Bärentreiben in Freudenberg findet am Montag, 11. September, von 8 bis 18 Uhr statt. Ab 15 Uhr hat das Bierzelt geöffnet.
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