Grafenwöhr
23.12.2020 - 14:37 Uhr

Kleiner Baum mit großer Wirkung: Frontchristbäumchen erinnert an Frieden

Unruhig sind die Zeiten weltweit. Krieg, Pandemien und Verschwörungstheorien gab es jedoch schon immer – manchmal aber auch Lichtblicke in wirren Zeiten. Und manchmal zeigen dabei kleine Zeichen große Wirkung. So auch an Heiligabend 1914.

Ein kleines Frontchristbäumchen brachte 1914 Frieden an die Westfront. Bild: Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr/exb
Ein kleines Frontchristbäumchen brachte 1914 Frieden an die Westfront.

Ganz unscheinbar versteckt sich im Kultur- und Militärmuseum zwischen Uniformen und Militaria ein historisches Kleinod, das den Friedensgedanken zu Weihnachten nicht besser verkörpern könnte: ein kleines Weihnachtsbäumchen, knapp 20 Zentimeter groß, schon ziemlich alt, nicht mehr ganz so funkelnd, aber handlich und mit Anleitung noch in der original Pappschachtel verpackt.

Früher gab es solche Bäumchen zu Tausenden, heute aber fristet das Exemplar als eines von nur noch einer Handvoll existierenden weltweit ein einzigartiges Dasein. Dennoch ist die Botschaft des kleinen Bäumchens nach wie vor aktuell.

Der Anfangspunkt seiner Geschichte liegt im Jahr 1914, dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Im August 1914 zogen deutsche Soldaten noch patriotisch und siegessicher in den Krieg, in dem Glauben, an Weihnachten längst wieder daheim bei ihren Familien zu sein. Es ist bekannt, dass es noch vier weitere lange Jahre dauern sollte, bis dieser Wunsch erfüllt werden sollte.

Zur Motivation der Soldaten in den Schützengräben ließ die Oberste Heeresleitung Tausende kleiner Christbäumchen produzieren, die Verwandte an ihre Lieben an der Front schicken konnten. Im Ständer des Bäumchens war ein Hohlraum, in den Geschenke und Gaben gepackt werden konnten. Und so kam es, dass Tausende kleiner Pappschachteln ihren Weg per Feldpost und mit dem Vermerk „Eilig! Weihnachtsbaum“ an die Front antraten, um zumindest etwas Weihnachtsstimmung in die Schützengräben zu bringen.

Anscheinend zeigte die Maßnahme der Obersten Heeresleitung Wirkung. Man erzählt sich, dass im ersten Kriegsjahr 1914 an Heiligabend die deutschen Soldaten in den Schützengräben an der Westfront in Flandern rund um die Bäumchen zusammensaßen und Weihnachtslieder sangen. Sogar Kerzen sollen die Wälle feierlich erhellt haben.

Gegenüber hörte der britische Feind die Feierlichkeiten und schaute neugierig auf das Geschehen bei den Deutschen. Beide Seiten fassten schließlich Mut und Vertrauen: Man wagte sich aus den Schützengräben heraus, ging aufeinander zu, begrüßte und umarmte sich. Die Überlieferung erzählt, dass die Soldaten sogar „Stille Nacht“ gemeinsam gesungen haben, jeder in seiner eigenen Sprache.

Es war ein Wunder in einer hoffnungslosen Zeit: Feinde, die sich am Tag zuvor noch gegenseitig umbringen wollten, lagen sich in den Armen und feierten gemeinsam Weihnachten.

Die Oberbefehlshaber machten jedoch am nächsten Tag die Hoffnungen auf Frieden zunichte: Sie verboten den Soldaten Waffenruhe und Verbrüderung. Der Krieg ging vier lange Jahre weiter und kostete noch Millionen Menschen das Leben.

Offiziell wurde die Begebenheit nie von den Heeresleitungen dokumentiert. Von den Deutschen wurde sie gar jahrelang als unpatriotische Entgleisung geleugnet, doch sie ging als „Weihnachtsfrieden von 1914“ und als bedeutendes Zeichen der Nächstenliebe in die Geschichte ein.

Im Bewusstsein blieb sie durch Erzählungen und Briefe der deutschen und der englischen Soldaten. 2005 wurde die Begebenheit mit internationalem Staraufgebot verfilmt.

Der irische Sänger Chris de Burgh ist im Besitz eines englischen Soldatenbriefes vom ersten Weihnachtsfeiertag 1914 und erinnert immer an Weihnachten daran: „Ich lese diesen Brief jedes Mal zu Weihnachten allen Gästen in unserem Haus vor, um zu zeigen, wie der Friedensgedanke von Weihnachten selbst Schützengräben überwinden kann. Es laufen mir jedes Mal Schauer über den Rücken, wenn ich ihn lese.“

Grafenwöhr24.07.2020

Auch der Frontchristbaum im Kultur- und Militärmuseum ist ein original Relikt von 1914. Er stammt von Georg Felbermayr aus München, dessen gleichnamiger Großvater in der Bayerischen Armee diente. Er war im Ersten Weltkrieg an der Westfront und hatte den Weihnachtsfrieden selbst miterlebt. Als Erinnerung hat er das Bäumchen, um das herum gesungen wurde, mit nach Hause genommen und später seinem Enkel vermacht.

Heute erinnert es im Kultur- und Militärmuseum an die wundersame Begebenheit im Ersten Weltkrieg und weist darauf hin, dass auch kleine Zeichen große Wirkung haben und Hoffnung verbreiten können. Weiterhin soll das kleine Christbäumchen die Menschen immer wieder mahnen, das in den vergangenen 100 Jahren Errungene mehr wertzuschätzen. Auch wenn wir heutzutage oft auf die komplizierte Welt oder die Europäische Union schimpfen, so bietet sie uns neben genormten Gurken, Eurokrisen und überteuerten EU-Gipfeln doch seit vielen Jahrzehnten eines: Frieden.

Hintergrund:

Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr

Grafenwöhr ist seit der Gründung des Truppenübungsplatzes vor über 100 Jahren eng verwebt mit dem Geschehen der Weltgeschichte. Viele Ereignisse haben sich direkt auf das Leben in der Stadt ausgewirkt. Das Kultur- und Militärmuseum widmet sich deshalb nicht nur der Geschichte der Stadt und des Truppenübungsplatzes sowie dem Zusammenleben mit den amerikanischen Soldatenfamilien, sondern zeigt auch am Beispiel von Grafenwöhr eindrucksvoll die europäische und globale Zeitgeschichte vom Bayerischen Königreich bis in die Gegenwart. Informationen: www.museum-grafenwoehr.de

 
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