In einem Konvolut von Theaterprogramm und Weihnachtskarten aus den Kriegsgefangenenlagern Regensburg und Grafenwöhr tauchte vor wenigen Jahren auch das vorliegende Weihnachtsmenü auf. Es vollständig zu interpretieren und zu übersetzen, fällt schwer. Die Romanisten Dominik Bohmann und Dr. Manfred Weichmann von der Universität Regensburg haben dennoch vieles inhaltlich rekonstruiert.
Es beginnt mit der sarkastischen Ortsangabe Hôtel de l'Ecurie 57, ein Hinweis auf das Stalllager, einen Teil des Kriegsgefangenenkomplexes in Grafenwöhr, der in Pferdeställen und Reithäusern eingerichtet war.
Geheimnisvoller "Fernand"
Der erste Gang des Menüs ist das "Entrée des courants d'air", sprich Luft. Damit ist wohl die ständige Zugluft in den Baracken gemeint. Gefolgt wird dies von der "Potage à la Fernandaise", also einer Suppe. Unklar ist, ob dies auf die edle Rinderrasse Ferrandaise anspielt oder auf einen Eigennamen wie Fernand.
Möglicherweise machen sich die Franzosen auch über Oberst Ferdinand "Fernand" Hocheder lustig, der wenig später zum Lagerkommandanten befördert wurde. In einem Aufsatz von Gerhard Müller über das Lager wird er als cholerische, instabile Person beschrieben, die in dienstlichen Beurteilungen oft schlecht abschnitt. Die unsouveräne Art Hocheders dürfte den Häftlingen nicht entgangen sein.
Schwierig wird es beim nächsten Gang, den "Jardines de Joinville". Joinville ist eine Kleinstadt im Nordosten Frankreichs. Möglicherweise stammt der Verfasser der Menükarte von dort. Vielleicht wollte er aber auch "Tartines" schreiben. Das wären belegte Brötchen. Die "Saucisses fumées Strasbourgeoises", also geräucherte Straßburger Würstchen, stehen im krassen Gegensatz zum "Aperçu de beurre", einer Ahnung von Butter, die im Lager rar war. "Simili Gruyère sans odeur" ist eindeutig: ein Käse, ähnlich wie Gruyère, bloß ohne Geschmack. "Pain Kartofel", Kartoffelbrot, ist eine Spitze gegen minderwertiges Gebäck, das vielen Gefangenen missfiel.
Bei den Desserts tun sich wieder einige Rätsel auf. Was Apfelkompott à la Gés, Géo oder Gis sein soll, bleibt offen. Konfitüre aus Polangis ist erneut ein Hinweis auf die Stadt Joinville. Polangis heißt ein Ortsteil. "Petit Beurre Cotor" dürfte einen kleinen Butterkeks bezeichnen, das Wort Cotor ergibt jedoch keinen Sinn. Hinter "Crème phosphatiné au lait condensé" verbirgt sich wohl eine Art Milchbrei mit Phosphatine und Kondensmilch oder Phosphatmehlcreme mit Kondensmilch.
Edles aus der Pumpe
Hämisch wird es bei den Getränken. "Nix Bière München" erklärt sich von selbst, als Wein wird "Chateau Lapompe" empfohlen, sprich "Leitungsheimer" oder "Gänsewein". Dieser Wein aus der Wasserpumpe könnte sein "Qualitätsmerkmal" auch daraus bezogen haben, dass in einem Teil des Lagers die Aborte direkt neben den Pumpanlagen platziert waren, wie Müller berichtet.
Offen ist, was die Häftlinge geraucht haben. "Cigares Bavarois", bayerische Zigarren, gibt es eigentlich nicht, "Cigarettes Fatma" dagegen schon. Gemeint sein dürfte die Zigarettensorte Fatima. Der weibliche Vorname bedeutet "die, die sich entwöhnt". "Burus", ist bekannt als "les cigarettes du Poilu", "so viel man möchte", also nach Belieben.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.