Deutschland und die Welt
26.07.2019 - 16:12 Uhr

Ideen statt Angst

Wenn Andreas Meyer wütend ist, schichtet er Steine aufeinander, viele Steine. Lange Trockenmauern hat der Schweizer mit dem Minibagger und zahlreichen Helfern auf seinem Landgut bei Lagos an der Algarve gebaut.

Andreas Meyer (Dritter von rechts) mit der Crew um Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer (vorne, rechts) und dessen Familie bei der letzten Fahrt des Rettungsschiffes von Portimão nach Hamburg. Bild: exb
Andreas Meyer (Dritter von rechts) mit der Crew um Sea-Eye-Gründer Michael Buschheuer (vorne, rechts) und dessen Familie bei der letzten Fahrt des Rettungsschiffes von Portimão nach Hamburg.

Wütend ist der 82-Jährige vor allem darüber, was Menschen Menschen antun, darüber weswegen Menschen in Not geraten und weil ihnen nicht nur niemand hilft, sondern sie zum Spielball der Politik in einer immer unmenschlicheren Festung Europa werden. Er hält sich lieber an die Sätze, die Friedrich Dürrenmatt mit Bezug auf den Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi im Interview mit Meyers verstorbenem Freund Nicholas Busch gesagt hatte:

"Es kommen Flüchtlinge, und statt Ideen haben wir Angst, sie könnten uns ich weiß nicht was wegnehmen. Statt, dass wir uns sagen: Gut! Die sollen hier lernen. Das Furchtbare ist ja, dass die Asylsuchenden hier in Baracken herumhängen wie in einem Gefängnis. Und all dies geschieht, weil wir keine Ideen mehr haben. Unsere Ideen sind in den Banktresoren vergraben."

Der ehemalige Unternehmer hat mit seiner mittlerweile verstorbenen Frau Rosmarie Brun 2004 das 10 Hektar große Anwesen auf einem Hügel im Süden Portugals gekauft. Mit seiner Stiftung "Sandrose", die sich aus Immobilieneinnahmen in Zürich speist, will er prinzipiell Menschen in Not helfen. "Wenn wir mit der Gießkanne bei Projekten aushelfen, sind wir unser Geld in einer Stunde los." Meyers Idee war es deshalb, Wissen primär an junge Menschen, an unbegleitete jugendliche Flüchtlinge weiterzugeben. "Dort ist der Schaden am größten, wenn wir es nicht schaffen, diesen Menschen etwas mitzugeben."

Zu den Unterstützern des 82-Jährigen gehören auch Ludwig "Heinerbeck" Lindner aus Windischeschenbach und sein aus Wildenreuth stammender Freund Heiner Frieser. Mit einem ehemaligen Kollegen aus der Holzbranche, Franz Bieke aus dem Sauerland, sowie den Söhnen Christian Frieser und Boris Bieke bauten sie vor einigen Jahren den Dachstuhl auf das Hauptgebäude des landwirtschaftlichen Anwesens. Seitdem fliegen sie immer wieder einmal an die Algarve nach Odiáxere, reparieren hier und werkeln dort.

Zusammen mit René Lehnherr, dem Initiator des Monsanto-Tribunals, hat Meyer ein Konzept entwickelt, junge Leute auf seinem Gelände aufzunehmen, ihnen handwerkliche Fertigkeiten zu vermitteln und sie so schnell wie möglich an Arbeitgeber zur kompletten Ausbildung weiterzuvermitteln. Sollten das nicht klappen, hätten sie immerhin die Zeit genutzt. Und: Wollen oder müssen sie möglicherweise in ihre Heimat zurückkehren, werde ihnen einfaches, praktisches Knowhow zum Bau von Komposttoiletten, Solarduschen, Metall- oder Holzbearbeitung auch dort weiterhelfen, wo sie in Zukunft leben. Meyer: "Die Leute wollen arbeiten." Für einen wichtigen Baustein seiner Idee hält er es, im Vorfeld abzuklären, welche Fähigkeiten die Einzelnen mitbringen und für welche Tätigkeiten sie sich besonders interessieren oder für welche sie geeignet sind.

"Wo auch immer wir bisher vorstellig wurden, ernteten wir nur Lob und Anerkennung." Doch das Projekt konnte nicht realisiert werden. Meyers Problem: "Ich bekomme keine Flüchtlinge" – trotz Besuchen vom ACM, dem portugiesischen Hochkommissariat für Migranten, auf seinem Gelände, Kontakten zu den höchsten Stellen in Hilfsorganisationen und Politik sowie 45 Millionen Euro, die die EU seit 2015 an Portugal für Flüchtlingsprojekte gezahlt hat. "Davon sind erst 11,6 Millionen ausgegeben worden", bedauert Meyer und bezieht sich dabei auf einen Bericht in der großen portugiesischen Tageszeitung "Publico".

"Unsere Hilfe zur Selbsthilfe ist verblüffend kostengünstig." Mit kleinstem Aufwand könne eine enorme und nachhaltige Wirkung erzielt werden. "Die Sandrose-Stiftung würde in Vorleistung gehen und sogar die Kosten für den ersten Kurs mit sieben Flüchtlingen übernehmen." Meyer kann sich auch vorstellen, junge Leute aus Bayern oder Deutschland nach Portugal zu holen, um abzuklären, was die Leute können oder wollen, damit sie dann so vorbereitet wieder zurückkommen. "Das würde keine zusätzlichen Kosten für den Staat bedeuten."

Meyer gibt nicht auf, knüpft Kontakte zum Roten Kreuz und zum UNHCR. Außerdem nutzt er den Freiraum für weitere Projekte und arbeitet jetzt mit Lehnherr und anderen Vordenkern der Flüchtlingshilfe an einem Tribunal. Das soll die menschenverachtende Abschottungspolitik der EU anprangern.

Andreas Meyer:

"Ich stamme aus einer armen Gärtnerfamilie und kann heute einen nicht aufgegessenen Teller immer noch nur schwer wegschieben." Andreas Meyer ist im September 1937 in Wangen bei Zürich geboren und aufgewachsen. In der Gartenbauschule in Genf lernte er mit Franzosen, Deutschen und Spaniern. "Das hat mir das Fenster zur Welt aufgemacht."

Mit Gemüseanbau wollte der junge Mann nie etwas zu tun haben. "Interessiert hätte mich, den Apennin zu begrünen oder etwas anderes Großes." Der Älteste von vier Geschwistern probierte im Winter, wenn es zu Hause nichts zu tun gab, oder der Vater wieder fit war, Fenchel in Süditalien anzubauen. Das Projekt scheiterte an der Mafia, die verhinderte, dass er einen Eisenbahnwaggon für den Transport bekam.

Die Mutter hat ihn sehr geliebt, der Vater wollte ihn nicht, weil er über Jahre ein krankes Kind war. Das Verhältnis blieb auf alle Zeit gespannt, obwohl der Sohn den Betrieb führte, als der Senior erkrankte. Es besserte sich auch dann nicht, als Andreas, der Älteste von vier Kindern, dort den Wandel zum modernen Gemüsebau so vollzog, dass er zu Vorträgen im Ausland eingeladen wurde und immer wieder Besuche von Fachleuten der Branche bekam.

Meyer baute auf den Feldern als erster Gemüse im Folientunnel an, produzierte diese zunächst für Großabnehmer und später für Privatgärten. "Ich war einer der Pioniere dessen, was damals die grässliche Seite der Landwirtschaft geprägt hat." Er entwickelte und fertigte Presstöpfe und verwirklichte weitere Ideen für die Gärtnereitechnik. Sein Unternehmen exportierte in bis zu 15 Länder. Für neue Produkte erfand er auch die Fabrikationstechnik selbst. "Wir hatten Metall- und Holzbearbeitung. Von daher weiß ich, dass meine Ideen auch für die Flüchtlingsprojekte ohne großen Aufwand klappen."

Internationale Krisen und Währungsverschiebungen zwangen Meyer zu veränderten Geschäftsmodellen. 1978 kaufte er zu einem Spotpreis eine abbruchreife Industrieliegenschaft in der Nähe von Zürich deren Erlöse in die Stiftung "Sandrose" fließen.

Meyer initiierte und unterstützte auch andere Hilfsprojekte. Den Start machte eine Spende für Flüchtlinge aus Chile, die er als 30-Jähriger zahlte. In deren Folge reiste er nach Südamerika und ebnete 3000 Südamerikanern bei der sogenannten Freiplatzaktion den Weg in die Schweiz. Dabei lernte er den späteren Initiator des Monsanto- Tribunals René Lehnherr kennen.

Bei der Flüchtlingsproblematik müsse man eigentlich bei den Ursachen anknüpfen, ist Meyer überzeugt. Mit der "Sandrose"-Stiftung unterstützt er deshalb auch Aktionen wie das Hausgartenbauprojekt "Face- to-Face" in Malawi. "Das ist einfach, strahlt aus und entwickelt sich zum Selbstläufer." Als Beispiel für gelungene Integration nennt der Schweizer die Initiative von Claudia Petretti in Obernzell bei Ravensburg. Dort gelang es, mindestens 19 von 24 Gambiern in Vollbeschäftigung zu bringen. Dabei sind sie alle nach deutschen Maßstäben ungelernt.

Auszuwandern, war Zeit seines Lebens Meyers eigener Traum. Den hat er sich 2004 in Portugal erfüllt. Voller Ideen arbeitet der 82-Jährige auch hier kontinuierlich weiter.

Andreas Meyer arbeitet ständig an seinem in Portugal Quinta genannten Landgut im Süden Portugals. Auf jedem Gang durch das Gelände hat er Ideen für Nutzung oder Gestaltung. Sieht er auf seinen Wegen ein Gerät, dass er anderswo brauchen, kann schultert er es und nimmt es mit. Bild: ui
Andreas Meyer arbeitet ständig an seinem in Portugal Quinta genannten Landgut im Süden Portugals. Auf jedem Gang durch das Gelände hat er Ideen für Nutzung oder Gestaltung. Sieht er auf seinen Wegen ein Gerät, dass er anderswo brauchen, kann schultert er es und nimmt es mit.
Der 82-jährige Andreas Meyer sammelt auf seinem 10 Hektar großen Areal unentwegt Steinbrocken. Damit befestigt er Wege, Böschungen und Terrassenflächen des landwirtschaftlichen Anwesens. Bild: ui
Der 82-jährige Andreas Meyer sammelt auf seinem 10 Hektar großen Areal unentwegt Steinbrocken. Damit befestigt er Wege, Böschungen und Terrassenflächen des landwirtschaftlichen Anwesens.
Der 82-jährige Andreas Meyer nutzt einen Kleinbagger, um auf seiner Quinta Wege und Böschungen zu befestigen oder ein eine schattige Terrasse unter Bäumen zu bauen. Bild: ui
Der 82-jährige Andreas Meyer nutzt einen Kleinbagger, um auf seiner Quinta Wege und Böschungen zu befestigen oder ein eine schattige Terrasse unter Bäumen zu bauen.
Die Werkstätten, in denen Andreas Meyer junge Flüchtlinge mit Grundkenntnissen in Metall- oder Holzberabeitung sowie im Gartenbau fit für die Zukunft machen will, sind nahezu fertig. Bild: ui
Die Werkstätten, in denen Andreas Meyer junge Flüchtlinge mit Grundkenntnissen in Metall- oder Holzberabeitung sowie im Gartenbau fit für die Zukunft machen will, sind nahezu fertig.
Für die Besucher aus der Oberpfalz sehen die Pflanzen wie harte Gräser aus. Der Schweizer Gartenbauexperte weiß, dass es sich um Dattelpalmenbabys handelt. Er hat auch gleich eine Idee parat, wie sie für seine Flüchtlingsprojekte eingesetzt werden könnten Bild: ui
Für die Besucher aus der Oberpfalz sehen die Pflanzen wie harte Gräser aus. Der Schweizer Gartenbauexperte weiß, dass es sich um Dattelpalmenbabys handelt. Er hat auch gleich eine Idee parat, wie sie für seine Flüchtlingsprojekte eingesetzt werden könnten
Dattelpalmen brauchen vor dem Keimen hohe Temperaturen, wie sie beim Kompostieren entstehen. Danach sprießen sie überall dort aus dem Boden der Fazienda, wo der fertige Kompost zur Düngung Verwendung findet. Bild: ui
Dattelpalmen brauchen vor dem Keimen hohe Temperaturen, wie sie beim Kompostieren entstehen. Danach sprießen sie überall dort aus dem Boden der Fazienda, wo der fertige Kompost zur Düngung Verwendung findet.
Aus einem 85 Meter tiefen Brunnen speist Andreas Meyer den Speicher für die Bewässerung seiner Gärten und Felder in den Hügeln der Algarve. Gleichzeitig dient der Betonsee als Schwimmteich. Bild: ui
Aus einem 85 Meter tiefen Brunnen speist Andreas Meyer den Speicher für die Bewässerung seiner Gärten und Felder in den Hügeln der Algarve. Gleichzeitig dient der Betonsee als Schwimmteich.
An Meyers Zeit auf dem Flüchtlingsrettungsschiff Sea-Eye und an seine Freundschaft mit dessen Gründer erinnert ein Rettungsweste mit der Unterschrift von Michael Buschheuer. Bild: ui
An Meyers Zeit auf dem Flüchtlingsrettungsschiff Sea-Eye und an seine Freundschaft mit dessen Gründer erinnert ein Rettungsweste mit der Unterschrift von Michael Buschheuer.
Der Sauerländer Franz Bieke (von links) inspiziert zusammen mit den Oberpfälzern Heiner Frieser und Ludwig Lindner den offenen Dachstuhl, den sie zu Beginn der Sanierung der Quinhta an die Algarve gebracht und auf das Haus gesetzt haben. Bild: ui
Der Sauerländer Franz Bieke (von links) inspiziert zusammen mit den Oberpfälzern Heiner Frieser und Ludwig Lindner den offenen Dachstuhl, den sie zu Beginn der Sanierung der Quinhta an die Algarve gebracht und auf das Haus gesetzt haben.
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.