Die Raunächte laden zum Innehalten und Zur-Ruhe-Kommen ein. Um die Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag zu zelebrieren, gibt es uralte Bräuche, die dieses Ereignis zu etwas ganz Besonderem werden lassen. Und auch die Wintersonnenwende fällt in diese Zeit. Kräuterfrau Sandra Scherbl aus Kondrau bei Waldsassen im Landkreis Tirschenreuth stellt ihre liebsten Rituale für diese Zeit vor.
Dreh- und Angelpunkt ist die Wintersonnenwende am 21. Dezember – der kürzeste Tag des Jahres. Danach werden die Tage gemessen an den Tageslichtstunden wieder länger. An diesem Termin, drei Tage vor Heiligabend, entzündet man traditionell ein Sonnwendfeuer. Aber es gibt noch mehr Brauchtümer rund um die Zeit der Raunächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, in der die Menschen ihre Verbindung zu sich selbst und zur Natur festigen wollen.
Traditionen aus Omas Zeiten
„Traditionelle Feste sind tief in den Menschen verankert", erzählt sie beim Gespräch in ihrem Esszimmer. „Und wenn ich Leuten von den Raunächten, den Ritualen und dem alten Wissen erzähle, sind die meisten ganz fasziniert davon. Und vieles vom Überlieferten gilt ja heute noch.“ Oft könne sie mit ihren Erzählungen eine alte Erinnerung bei den Leuten wecken – und zum Eintauchen in die Welt der Traditionen und Rituale ermuntern. Auch Sandra Scherbl erinnert sich gerne an die zurückliegende Zeit und damit verbundene Gepflogenheiten.
„Früher habe ich mich immer darüber gewundert, warum meine Oma Plätzchen in Tierform zu Weihnachten gebacken hat – eigentlich kennt man Weihnachtsgebäck ja nur in Stern-, Halbmond- oder Tannenbaumform. Aber seit einigen Jahren weiß ich den Grund“, erzählt Scherbl. „Zur Wintersonnenwende wurde traditionell auch immer etwas gebacken, zum Beispiel Plätzchen in Form von Tieren. So haben die Menschen sie gewürdigt, da sie ihnen das Jahr über Wärme und Nahrung gespendet haben.“ Und auch die Waldtiere seien bedacht und mit einer Futtergabe gewürdigt worden. „Für sie hat man Bäume im Wald geschmückt, zum Beispiel mit ausgehöhlten Äpfeln. Oder es wurden Nüsse und Samen auf dem Waldboden verstreut“, weiß Scherbl.
Räuchern und Reinigen
Für die Kräuterkundige gehört ein Ritual fest in die Zeit der Raunächte: das Räuchern. Dafür gebe es spezielle Räucherkräuter, die man traditionell zur Sommersonnenwende sammelt und danach trocknet. „Das sind die sogenannten Sonnenkräuter, dazu zählen Johanniskraut, Alant und Königskerze, die allesamt bei uns wachsen.“ Ihnen werde ein stimmungsaufhellender Effekt nachgesagt, weshalb sie gerne in der tageslichtarmen Zeit um die Sonnenwende verräuchert werden. Beliebtes Räuchergut für die Tage der Raunächte seien auch Baumharze von Fichte und Kiefer. „Sie gelten als Lichtbringer“, sagt Scherbl.
„Ein Brauch zur Sonnenwende ist auch der Hausputz“, weiß Sandra Scherbl. Ihn kann man mit Lappen und Wischmopp erledigen – reinigen im übertragenen Sinne kann man aber genauso gut mit einer Räucher-Session. „Rauch wirkt reinigend. Man trägt also sein Stövchen durch den Wohnbereich und verteilt so den feinen Dunst in seinen Räumen.“
Immergrünes und Orakel
Fest zur Tradition gehört für die Kräuterfrau auch das Binden von Sträußen und Kränzen mit immergrünen Gewächsen zur Sonnwendzeit. "Ich nehme Zweige von Efeu, Mistel, Eibe, Tanne, Fichte, Buchs und Thuja.“ Die Pflanzen-Gebinde platziert Sandra Scherbl in ihrem Wohnbereich. Das Immergrün gilt als Symbol für das Immerwährende und vermittelt, dass es immer etwas Grünes gibt, auch im grauen Winter.
„Direkt am 21. Dezember gibt es auch den Brauch zum Orakeln“, sagt Sandra Scherbl. Weil es in den Raunächten auch gängig ist, die eigenen Träume zu deuten, sei diese Tradition wohl entstanden. „Es gibt ein Wetter- und Gesundheitsorakel, das mit einer Zwiebel und Salz gemacht wird. Man schneidet eine Zwiebel in zwei Hälften und von jeder Hälfte schneidet man jeweils sechs Ringe ab. Die legt man einzeln in Schalen, stellt sie in einer Reihe auf und bestreut jeden Zwiebelring mit etwas Salz“, erklärt sie. „Die zwölf Ringe stehen jeweils für die Monate im Jahr. Ist der Zwiebelring nass, deutet das auf einen regnerischen Monat hin – oder einen Monat, in dem man besonders auf seine Gesundheit achten sollte. Ist der Ring trocken, bedeutet es einen Sonnenmonat oder ein Monat bei bester Gesundheit.“
„Und ich mache immer das Nussorakel. Dafür nehme ich mir zwölf Walnüsse und lege sie in eine Reihe. Jede steht für einen Monat. Und dann knacke ich die Nüsse nacheinander“, beschreibt Scherbl. „Die Beschaffenheit der Walnuss gibt dann Auskunft über den Monat“ – eine schöne unversehrte Nuss deute auf einen besonders guten Monat hin. Ist eine ungenießbare Nuss in der Schale, sollte man sich auf Herausforderungen im betroffenen Monat einstellen. „Die Erkenntnisse aus dem Orakeln geben erste Hinweise für das neue Jahr – nicht mehr und nicht weniger“, betont Scherbl.
Die Raunächte
- Sind die sogenannten zwölf heiligen Nächte und liegen in der Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Je nach Region starten sie in der Nacht auf den 22. Dezember oder in der Nacht auf den 25. Dezember.
Die Wintersonnenwende
- Der kürzeste Tag des Jahres ist der 21. Dezember: dann ist zugleich die Wintersonnenwende und der kalendarische Winteranfang. Das bedeutet, die Tage werden nach diesem Termin allmählich wieder länger.
Zur Person
- Sandra Scherbl ist zertifizierte Kräuterführerin und Mentorin für Garten und Natur. Beide Qualifikationen hat sie im Kultur- und Begegnungszentrum und Umweltstation Abtei Waldsassen (KUBZ Waldsassen) erworben. Hauptberuflich arbeitet sie als kaufmännische Angestellte. Sie lebt mit ihrer Familie in Kondrau bei Waldsassen.
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