Der Viktualienmarkt in München. Eine Attraktion. Dort trifft sich Gott und die Welt. Im wahrsten Sinn des Wortes. Der Pfarrer von der benachbarten Pfarrei St. Peter und der Filmstar aus Los Angeles, der Bayern-Star aus Grünwald und der Obdachlose aus den Isarauen. Nachtschwärmer und Frühaufsteher. Einheimische und Touristen. Dazu die köstlich präsentierten Viktualien, die alte Bezeichnung für die Lebensmittel.
Dort bekam ich während meines Studiums in der Landeshauptstadt die Chance, nebenbei zu arbeiten. Die Familie Bschorr, die gegenüber des früheren Hotel Stadt Kempten einen Obst- und Gemüsestand betrieb, suchte einen Helfer, der die Kisten und Steigen schleppte und die großartige Ware aufschlichtete. Dazu ging's auch treppauf, treppab, weil, was viele nicht wissen, etliche der fest errichteten Standl seit 50 Jahren unterkellert sind. Ein Ergebnis der Sanierungsmaßnahmen im Vorfeld der Olympischen Spiele, die 1972 in München stattfanden.
Auf jeden Fall war die Arbeitszeit günstig: Von halb sieben bis 9 Uhr und dann konnte ich gleich noch Seminare besuchen oder wieder heim gehen. War ich mit der Schlepperei fertig, durfte ich auch schon mal verkaufen. Einen besonderen Coup landete ich bei zwei angeheiterten jungen Männern, denen es nach durchzechter Nacht Litschis angetan hatten. Meine Erläuterung, dass es sich um Liebesfrüchte handle, ließ sie auch vor dem horrenden Preis - ich glaube, damals 100 Gramm für 4 Mark - nicht zurückschrecken. Sie kauften alle auf. Wie sie heute zur Frucht stehen, ist nicht überliefert. Ist ja über 40 Jahre her.
Der Viktualienmarkt, den es zwischen Heilig-Geist-Kirche und Frauenstraße seit 1807 gibt, ist mit seinen inzwischen über 140 Ständen mit Angeboten aus aller Welt auch ein Schmelztiegel der Kulturen. Ein Ort der Integration. So gab's an "unserem" Standl neben der Albanerin Tina und der jungen Frau Bschorr, die immer Nusshörndl vom Café Rischart mitbrachte, auch Mustafa, der vorwiegend gegen Abend damit beschäftigt war, die Ware wieder in den Keller zu räumen. Schwarzes Haar, Schnurrbart, brauner Teint, ein Türke wie der "Ibo" vom Weidener Wochenmarkt. Und da war dann noch die alte Frau Bschorr, die 85-jährige Mutter des Standlbetreibers, eine Marktfrau wie aus dem Bilderbuch, seit den 1920er Jahren ein Gesicht des Viktualienmarkts: hager, faltig, bissgurkig, grantelnd, und immer wieder herzensgut. Bloß die Touristen, die das schöne Obst anlangten, aber nichts kauften, die konnte sie überhaupt nicht leiden. "Ja schaug den o, etzt langt der do einfach hi", schimpfte sie. "Wenn's des oglangst, dann kaffst as a, das des klar is."
Eines Tages kam Mustafa auch schon in der Früh, und ich wurde Zeuge eines Gesprächs zwischen ihm und der Marktfrau. Sie konnte mit seinem Namen nicht viel anfangen. Der passte einfach nicht, kam sie doch in ihrem langen Leben über Bad Tölz, wo Verwandte lebten, nicht hinaus. Etwas Ähnliches, aber Verständliches musste her. So machte sie aus Herrn Mustafa den Herrn Nussdorfer. Ihre Form von Integration. Die Situation in dem Marktstand: unbeschreiblich komisch. Ich wäre fast zusammengebrochen.
Übrigens: Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich dort verdient habe. Allzu viel war's nicht. Aber das sollte bei diesem Ferienjob wirklich nicht das Wichtigste gewesen sein.
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