Experten sind im Pilotlandkreis Schwandorf alten Obstsorten auf der Spur

Nabburg
13.10.2022 - 10:05 Uhr
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Beim "Schönen aus Boskoop" fällt die Entscheidung leicht. Manch anderes Kernobst sorgt für Stirnrunzeln bei den Experten, die für den Landkreis Schwandorf ihr Taschenmesser auspacken und in den sauren Apfel beißen.

Pilotlandkreis des Sortenerhaltungskonzepts Streuobst in Bayern: Dieser Rolle wird Schwandorf heuer mit einer umfangreichen Obstsorten-Bestimmung gerecht. Keine einfache Sache bei rund 300 000 verschiedenen Apfelsorten weltweit und etwa 2000 allein in Deutschland. Das bedeutet Detektivarbeit für die Pomologen Friedrich Renner und Michael Altmann, die im Freilandmuseum tütenweise Äpfel untersuchen.

Mit einem Blick auf rotbackige, grüne oder gelbe Exemplare ist das nicht getan. Auf der weißen Tischplatte vor den beiden Experten landen Früchte, die sich für den Laien kaum zu unterscheiden lassen. Im Minutentakt fallen Namen wie "Galloway", "Oldenburg" oder "Strauwalds Parmäne". Die beiden Pomologen wissen, wo sie eines der zahlreichen Fachbücher aufschlagen müssen, um zu klären, welche Charakteristika tatsächlich den Ausschlag geben könnten.

Friedrich Renner zögert nicht lange und schneidet einen Apfel in zwei Hälften. Allein wie leicht oder schwer das Messer durchs Fruchtfleisch geht, ist schon ein Indiz. "Was mir nicht ganz gefällt: dass der Kelch hier so eng ist", sagt er abwägend, säbelt einen zarten Schnitz ab und verzieht beim Abbeißen das Gesicht. Nachwuchs-Pomologin Katharina Hage kostet auch davon. "Puh, Ersatz für Zitronensaft", lautet ihr Kommentar. Jetzt will auch ehrenamtlicher Baumberater Wolfgang Engel aus Nabburg mal probieren. "Der riecht doch nach Fisch", stellt er fest. Ob da vorher Brathering in der Plastiktüte war?

Rätselhafter Knubbel

Beim Boskoop fällt die Entscheidung schnell. "Ah, ein tauber Kern, ein tripoloide Sorte, als dreifacher Chromosomensatz im Blütenpollen", wird das spezifiziert. Doch beim mutmaßlichen "Topaz" überwiegt die Skepsis: Ein dicker Knubbel am Stil ist der Grund. "Es gibt halt so viel Sorten", seufzt Renner. Der 74-Jährige kann immerhin auf eine jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen und die Erkenntnisse zusätzlich mit dem 77-jährigen Kollegen an seiner Seite diskutieren. Mal ist es dann ein "quietschendes Rot", das einen bestimmten Schluss nahe legt, mal der Geschmack.

Katharina Hage schüttelt die nächsten Früchte aus der Tüte. Sie ist hier, um von diesem Wissensschatz zu profitieren, den kein Fachbuch und auch keine App ersetzen kann. "Man muss die Äpfel in der Hand halten, Bilder allein reichen zur Bestimmung nie aus", sagt die Baumwartin, die in Triesdorf ihre Ausbildung gemacht hat und sich seit vier Jahren als Pomologin fortbildet. Über Kurse bei Hans-Joachim Bannier hat sie sich voran getastet in der Wissenschaft um Obstsorten. Erst waren die grünen Äpfel an der Reihe, dann die gelben, später die roten. "Das ist wie Vokabeln lernen, jedes Jahr kommen mehr Sorten dazu."

Fehlerquellen

Nicht immer ist Verlass auf das, was in alten Büchern steht. Die Bestimmung sei in der Vergangenheit schon sehr "fehleranfällig", räumt Hage ein. In diesem Jahr kommt eine Besonderheit hinzu. "Heuer sind viele Bäume durch die Trockenheit mangelernährt", erläutert Wolfgang Grosser vom Kreisgartenamt. Auch bei recht jungen Bäumen hätten die Früchte oft noch nicht das für sie typische Aussehen. Eine hundertprozentige Aussage könne man deshalb in vielen Fällen nicht treffen.

"Genau deshalb ist es auch wichtig, zur Beurteilung nicht nur einen, sondern etwa fünf Äpfel mitzubringen", sagen die beiden Pomologen, die soeben drei recht unterschiedliche Früchte als "Rheinischen Winterrambour" identifiziert haben. "Hier ist ja ein ganzer Baum dabei", schmunzeln sie angesichts eines kleinen Astes, der als zusätzliches Beweismaterial dient. Dass so ein "Rheinländer" vor 60 Jahren hier in Nabburg Wurzeln geschlagen hat, für die Fachmänner ist das nicht erstaunlich. "Der ist hier in Nabburg sogar dominierend", sagt Engel, der sich um die Streuobstwiesen im Stadtgebiet kümmert und eine ganze Reihe von Proben beigesteuert hat.

Günter Gilch hat Früchte von Sämlingen mitgebracht. Er experimentiert in Oberviechtach seit Jahren mit neuen Bäumen, die besser als veredelte mit lokalen Bedingungen zurecht kommen sollen. "Das Klima verändert sich. Was vor 300 Jahren hier gut funktioniert hat, muss nicht unbedingt mit acht Wochen Trockenheit gut zurecht kommen", so seine Einschätzung, wenn aktuell häufig der Schwund alter Sorten beklagt wird. Auf ein Konzept zur Sortenerhaltung zielt letztlich auch diese Aktion zur Sorten-Bestimmung ab, das Ergebnis wird für Ende November erwartet. Letzter Termin für Privatpersonen zur Sortenbestimmung ist am Sonntag im Freilandmuseum.

Am dritten und vorletzten Bestimmungstag im Landkreis ist die Schlange der Papiertüten im Freilandmuseum noch ziemlich lang. Jeweils weit über 100 Mal müssen die Pomologen dazu wortwörtlich in den manchmal sauren Apfel beißen. Da bleibt nicht viel Zeit, um nebenbei zu rätseln, wie nun mal der Text für den alten Schlager ging, in dem Wenke Myhre warnt: "Beiß' nicht gleich in jeden Apfel, denn er könnte sauer sein. Denn auf rote Apfelbäckchen fällt man leicht herein." Die Profis kennen ihre Grenzen. Bei dem sauren Apfel mit dem engen Kelch müssen sie passen. Die Sorte? "Wissen wir nicht", lautet das abschließende Urteil. Der Eigentümer dieses Baumes wird sich mit einem "unbekannten Sämling" abfinden müssen.

Hintergrund:

Obstsorten-Bestimmung und Fokus auf Streuobstwiesen

  • Die Experten: Friedrich Renner, Vorsitzender der Gesellschaft für Pomologie und Obstsortenerhaltung Bayern; Michael Altmann (Schriftführer in der Gesellschaft), Hans-Joachim Bannier (führender Experte für alte Apfel- und Süßkirchensorten)
  • Das Fach: Pomologie (Obstbaukunde) ist die Lehre der Arten und Sorten von Obst mit dem Ziel sie zu bestimmen und in eine Systematik einzuteilen
  • Im Fokus: Streuobstwiesen; vor einem Jahr Unterzeichnung des Streuobstpakts von der Bayerischen Staatsregierung und acht Verbänden mit dem Ziel Bestände zu erhalten sowie bis 2035 zusätzlich eine Million Streuobstbäume neu zu pflanzen.
  • Förderung: möglich für Neuanlage, Ersatz und Pflege von Streuobstbäumen; Erhaltung von Streuobstwiesen und -beständen; Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Streuobst; weitere Projekte sowie Umweltbildung und Erlebnisangebote
  • Termin: letzte Chance zur kostenlosen Sortenbestimmung (Apfel, Birne, Zwetschge, Quitte; mindestens fünf Exemplare mit Stiel und nicht wurmig) für Privatpersonen am Kirchweihsonntag, 16. Oktober, im Freilandmuseum Neusath-Perschen, 10 bis 17 Uhr.
 
 

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