Neustädter Kaminkehrermeister erinnert sich an Eier im Hut und Geschrei vom 64-Meter-Schlot

Neustadt an der Waldnaab
30.12.2021 - 10:30 Uhr
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Hans Blecha kennt in Neustadt jedes Haus. Und zwar wirklich jedes. 48 Jahre war der gebürtige Altenstädter als Kaminkehrer unterwegs. Jetzt ist das Büro ausgeräumt, das Werkzeug hängt am berühmten Nagel.

Auf der Modelleisenbahn im Keller kehrt ein Schornsteinfeger unentwegt einen Kamin. Vor ein paar Tagen hat Hans Blecha den Berufskollegen in Miniatur dort aufgestellt. Die Figur war ein Geschenk zum 64. Geburtstag und zum Abschied von Leiter und Kehrbesen.

48 Jahre war der gebürtige Altenstädter als Kaminkehrer unterwegs, die letzten 36 im Kehrbezirk Neustadt/WN. Das Geschäft hat Hans Blecha junior vom gleichnamigen Senior übernommen. Sohn Marco arbeitet zwar auch als Schornsteinfeger, wollte aber nicht selbstständig werden und wechselte jetzt vom Vater zu dessen Kehrbezirksnachfolger Alexander Beer als Angestellter. Der Abschied vom Beruf ist für Hans Blecha wie der Sprung von einer Klippe. Anfang Januar wusste er bisher, wie an den anderen Tagen des Jahres auch, zu wem er gehen würde. „Fast pünktlich auf den Tag bin ich in die gleichen Häuser.“

Seelsorger in schwarz

In manchen Häusern habe er sich wie ein Seelsorger gefühlt. „Ich habe einmal zum Pfarrer gesagt, ich komme mir vor, wie wenn ich ihren Job übernehme.“ Die Kunden vertrauten ihm Probleme mit der Arbeitsstelle und die ein oder andere Geschichte von den Kindern an. Viele sah der Schornsteinfeger Jahr für Jahr größer werden. Bei manchen Kunden wusste er, wer ein armer Hund ist und die Kehrgebühr nicht berappen konnte. Der habe gezahlt, was er konnte und sei dann eben billiger davon gekommen.

hren.“ Nur acht Tage Urlaub im Jahr verbrachte Blecha mit Ehefrau Anita am Gardasee.“ Sonst ging er von Kamin zu Heizung, zu Ofen von 6.45 bis 17 Uhr – auch den halben Samstag. „Da triffst du die Leute an, die du unter der Woche nicht erwischst.“ Zu einigen Kehrstellen muss der Schornsteinfeger drei- bis viermal, bevor er jemanden antrifft.

Früher war das anders. "Du bist auf einen Zug alle Häuser einer Straße durchgegangen." Die Türen waren nicht abgesperrt. Blecha öffnete sich selbst und stieg ins Dach. War dort Wäsche zum Trocknen, machte er sich Platz, kehrte den Ruß aus dem Kamin und ging wieder. "Da war Wäsche oben", hörte er erschrocken von der Hausfrau, wenn er sie bei einer Nachbarin traf. "Wurscht. Die habe ich weggehängt."

Eier im Zylinder

In der Stadt bekam Blecha Trinkgeld als Dankeschön für seinen Dienst, bei den Bauern freute er sich über Naturalien wie Geräuchertes, Kuchen, Äpfel, zur Kirwa Kücheln und häufig Eier. Beim Reingehen ins Haus, rief Blecha „Kaminkehrer“ und stellte den Zylinder mit zwei Lock-Eiern an die Stiege. „Ich bin hoch, habe gekehrt, bin wieder runter und es waren drei oder vier Eier im Zylinder drin.“ Als Lehrbub führte Blecha den Brauch erfolgreich am Fichtenbühl bei den dort wohnenden Bahnerern ein. „Ich habe viele Eier bekommen und sie daheim in Altenstadt verkauft.“

Trickkünstler

Den Kopf ganz tief heruntergebeugt, vorsichtig den Zylinder mit den Eiern aufsetzen und langsam hochgehen. Mit diesem Kunststück verdiente sich Blecha im Wirtshaus hin und wieder ein Bier. "Du kannst damit keine Luftsprünge mache, aber die Eier halten das aus." Sohn Marco sei nicht mehr mit dem typischen Hut der Schornsteinfeger unterwegs, berichtet der Vater. "Aber er bekommt ab und zu von den Bauern noch Eier."

Rund um die Uhr ist die Heizungsanlage im Bezirkskrankenhaus Wöllershof in Betrieb. „Früh um 8 Uhr haben wir die Türen aufgemacht, damit der Kanal und der Turm abkühlen.“ Schon als Bub mit 11 oder 12 Jahren half Blecha dem Vater beim Kaminkehren. Bekleidet mit einer lange Unterhose kehrte der Schüler den Ruß mit dem Straßenbesen aus dem 1,10 mal 1,10 Meter großen Tunnel, der den Rauch zum Schlot führte. Im Inneren des Turmkamins kragelte er sich auf den Steigeisen nach oben, entfernte mit dem Reisigbesen den Ruß. Drei bis vier Stunden dauerte das. „Ich war stolz, dem Vater helfen zu können, und es war klar, dass ich Schlotfeger werde.“

Ruf aus 64 Meter Höhe

Zweimal kletterte Blecha als Lehrling die 64 Meter im Inneren des Kamins bei der damaligen Firma Hueck in Pirkmühle zum Kehren an einem Sonntag nach oben. "Dort habe ich mich auf den Kranz gesetzt und übermütig die Leute gerufen, die gerade in die Kirche gingen." Wenig Begeisterung über die Aktion erlebte er zurück am Boden. "Wegen des Geschreis habe ich vom Chef eine Fotzen gekriegt."

Wie in der Taiga habe er sich bei einem Einsatz im ersten Lehrjahr auf dem Weg zu einer Einöde in Pischeldorf gefühlt, erinnert sich der Ruheständler. Im Käfer waren der Chef, ein Geselle und Blecha im Winter unterwegs. "Keine Spur, ewiger Schnee. Als Stift stand ich mit dem Gesellen hinten auf der Stoßstange. Wir mussten hoppern, damit die Reifen nicht durchdrehten." Am Ziel habe die Frau für die Kaminkehrer frisches Brot mit Butter bestrichen. Blecha: "Irgendwann schreibe ich meine Memoiren."

Oben ohne

Darin würde sicherlich die Anekdote von einem Kehrerlebnis in Neustadt während Blechas Zeit als Geselle zu lesen sein. "Geh hoch!", wies der Kunde dem Schornsteinfeger den Weg. "Ich steige die Treppe hoch, da geht die Badtür auf, die Frau kommt raus – oben ohne." Sie habe das Handtuch hochgezogen. "Was haben sie denn? Eine schöne Frau kann man immer anschauen", bereinigte Blecha die Situation.

Kritik an Reform

Als Unfug bezeichnet der Vater zwei Kinder und Opa einer Enkelin die seit 2013 geltende Reform des Schornsteinfegerhandwerks mit der Neuvergabe der Kehrbezirke alle 7 Jahre. Grundlage der Vergabe sei ein System nach Punkten, die man durch Fortbildungen erwerbe. Früher habe man planen können, den Kehrbezirk erst auf Probe und dann bis zur Pension übertragen bekommen. Es sei schwierig, sich als junger Kaminkehrer etwas aufzubauen. "Ich habe den Berufsverband deswegen angegangen." Aber der habe das so gewollt.

Mittlerweile hat Blecha zwei Autoladungen voller Akten, bei denen die Aufbewahrungsfrist abgelaufen war, in die Müllumladestation verfrachtet. „Es war ein blödes Gefühl“, gibt er zu. Büromaterial wie Stifte und Blöcke spnedierte er dem Kindergarten Störnstein. Aus dem Büro ist sein Herrenzimmer geworden mit PC zum Online-Shopping Plattenspieler und einer wachsenden LP-Sammlung mit Hardrock der 1960er und 1970er Jahre.

Harley und Fendt

Immer noch hat er den Film "Easy Rider" mit der Musik von Steppenwolf im Ohr. Mit 55 Jahren habe er in Regensburg von seiner Frau die Genehmigung erhalten, eine Harley zu kaufen. Jetzt nennt er zwei dieser Chopper sein eigen. Außerdem besitzt er zwei Oldtimer-Traktoren: einen McCormick, der nahezu genauso alt ist, wie sein Besitzer und ein Fendt Dieselroß von 1964. Den Traum von einem Opel GT hat sich der Neustädter, der einige Wälder bei Altenstadt und Oberwildenau vom Vater geerbt hat, nicht erfüllt.

„Die Bäume sind schon angezeichnet, mit den Holzfällern ist ein Termin ausgemacht.“ Blecha möchte damit in der Sauernlohe zwischen Weiden und Altenstadt eine Maschinenhalle für seine Fahrzeuge bauen. „Aber es zieht sich“, sagt er zu den bürokratischen Hürden. „Wenn das noch lange dauert, bin ich zu alt für diesen Traum.“

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Hintergrund:

Kaminkehrer Hans Blecha junior

  • 1. August 1973 Ausbildungsbeginn
  • 31. Juli 1976 Gesellenprüfung
  • 1980 Meisterprüfung
  • Bis 1984 Tätigkeit beim damaligen Bezirkskaminkehrermeister Winfried Weidner in Altenstadt/WN
  • Ab August 1984 bei Vater Hans Blecha senior im Kehrbezirk Neustadt/WN, zu dem Teile der Flosser Landgemeinden, Theisseil, Waldthurn und Fahrenberg gehörten
  • 1. Januar 1993 Übernahme des Kehrbezirks Neustadt von Vater Hans Blecha senior, der dort seit 1952 Bezirkskaminkehrer war
  • Ab November 2021 Ruhestand
 
 

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