Nicht nur der kriegerische Angriff Russlands in der Ukraine fordert die deutsche Politik, auch die Debatte über den Bundeswehreinsatz bei zwei internationalen Missionen in Mali läuft auf Hochtouren. Dort ist der Frühling angebrochen und die Temperaturen klettern tagsüber bis auf 40 Grad im Schatten. Für die 23 Oberviechtacher Soldaten der multinationalen Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali (EUTM Mali) dauert der Einsatz rund sechs Monate. Anfang April werden sie alle wieder in Deutschland sein.
Für den Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 122, Oberstleutnant Andreas Bleek, ist der Einsatz bereits nach vier Monaten vorbei. Sein Rückflug war bereits am Donnerstag, 10. März. Vorher übergab er am Nachmittag des 8. März das Kommando über die 140 deutschen Soldaten im EU-Ausbildungszentrum Koulikoro an seinen Nachfolger. Der Vater von vier kleinen Kindern freut sich jetzt auf seinen zweiwöchigen Familienurlaub. Danach wird der Kommandeur der Grenzlandkaserne für kurze Zeit wieder in Oberviechtach sein. Beim Gespräch mit Oberpfalz-Medien berichtet Andreas Bleek einen Tag vor dem Übergabeappell auf einem Hügel oberhalb des Flusses Niger, von seinen Eindrücken in den vergangenen Monaten.
Keine brenzligen Situationen
"Es gab keine Kampfhandlung vor Ort und auch keine brenzligen Situationen", stellt der Oberstleutnant erleichtert fest. Zu Beginn des Einsatzes bezeichnete er es als größte Herausforderung für ihn als Vorgesetzten, alle Männer und Frauen heil nach Hause zu bringen. "Der Verkehr in der Hauptstadt Bamako ist völlig verrückt. Ich bin froh, dass es ohne Unfälle geklappt hat", sagt Andreas Bleek, der als Programm-Officer Teil des multinationalen Stabes war und damit im Hauptquartier in Bamako zuständig für die Koordination der Lehrgänge.
Mit ihrer Ausbildungsmission unterstützt die Europäische Union (EU) die malische Regierung dabei, die Sicherheit und Stabilität im Land wiederherzustellen. Die Unterweisung der Streitkräfte soll dabei helfen, dass das Land selbst für den Anti-Terror-Kampf gegen Islamisten und Al Kaida gewappnet ist. Entgegen dem UN-Einsatz "Minusma" im umkämpften Norden des Landes, läuft die Mission "EUTM Mali" im gesicherten Bereich einer Kaserne im südlichen Koulikoro ab. Die malischen Soldaten erhalten hier zwischen ihrem Fronteinsatz eine vierwöchige Schulung. "Ich konnte mit Bewunderung feststellen, wie die Malier trotzdem ihre Lebensfreude behalten", berichtet Andreas Bleek. Er erzählt von einem Fall im Dezember 2021. Eine Gruppe war in eine Sprengfalle gefahren und hatte Tote zu beklagen. Trotzdem habe die Kompanie "die Einsatzvorausbildung tapfer über sich ergehen lassen".
Die größte Herausforderung für die deutschen Ausbilder sei dagegen die Enge in den aus Deutschland gelieferten Container-Burgen mit Bett und Schreibtisch. Dazu kamen Isolierungen und Absperrungen aufgrund der Coronapandemie. Denn "Covid 19" wurde immer wieder ins Lager getragen und "hat unser Zusammenleben arg beschnitten." Abends beim Kartenspielen zusammenzusitzen sei oft nicht möglich gewesen. "Das hat an uns genagt", stellt der Kommandeur des deutschen Einsatzkontingents fest. Und er betont: "Wir Soldaten unterscheiden stark zwischen Freundschaft und Kameradschaft, auch wenn das Gefühl oftmals gleich ist."
Bei der EU-Ausbildungsmission in Koulikoro sind seit 2013 viele europäische Länder vertreten, darunter Irland, Portugal, Spanien, Tschechien und Österreich. Nachdem der Putschistenführer Assimi Goïta sich zum neuen Übergangspräsidenten ausrufen ließ, die angesetzte Präsidentenwahl um Jahre verschoben wurde und es Berichte über das Auftauchen der russischen Söldner-Gruppe Wagner gibt, mehren sich in Europa kritische Stimmen zum Mali-Einsatz. Frankreich kündigte Mitte Februar seinen Abzug an und in Deutschland muss der Bundestag in Kürze entscheiden, ob das am 31. Mai auslaufende Mandat wieder verlängert wird.
Minister klopfen an
Der Oberviechtacher Kommandeur ist dabei im Vorfeld ein gefragter Gesprächspartner. So meldete sich Staatsministerin Katja Keul vom Auswärtigen Amt und die Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller informierte sich im Dezember 2021 vor Ort in Koulikoro. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht dagegen musste ihren Besuch in Mali zwei Mal absagen, ließ sich jedoch bei einer Videokonferenz, bei welcher auch Oberstleutnant Andreas Bleek zugeschaltet war, ein Lagebild geben. "Allen ist klar geworden, dass Deutschland nicht alleine steht, sondern eingebettet in den europäischen Rahmen und dass die Entscheidungen abgestimmt und auf europäischer Ebene zu treffen sind", fasst der Kommandeur zusammen. "Nicht Berlin trifft die Entscheidung", bekräftigt er, "der Ball wird nach Brüssel gespielt".
Als Soldat sieht er das nüchtern und distanziert: "Es gibt auf so vielen Ländern der Welt Leid, wo Hilfe nötig ist." Ebenso wie bei seinen bisherigen Auslandseinsätzen (Afghanistan und Balkan) sei er auch diesmal "mit dem Land nicht emotional verbunden". Auch wenn ein Erlebnis noch länger nachwirken wird: "Auf der zweistündigen Fahrt vom Flughafen ins Lager habe ich Armut und Lebensverhältnisse vorgefunden, wie ich sie noch nie gesehen habe." Kinder spielten fast ohne Kleidung im Dreck und hatten nichts sauberes zu trinken.
Der Abschied von Mali ist für den 43-Jährigen mit einem zwiespältigen Gefühl verbunden. "Einerseits bin ich froh, dass es endlich nach Hause geht, nachdem schon Weihnachten für die Familie nicht einfach war", andererseits spüre er auch die Verpflichtung gegenüber den multinationalen Kameraden. "Ich gehe mit dem zwiespältigen Gefühl, nicht fertig zu haben", sagt Andreas Bleek im Hinblick auf die anstehende Entscheidung, wie es mit der "EUTM Mali" weitergeht. "Es ist jetzt eine sehr intensive Zeit." Sein Nachfolger, Oberstleutnant Stefan Windrich, stellvertretender Bataillonskommandeur des Gebirgspionierbataillons 8 aus Ingolstadt ist schon seit eineinhalb Wochen im Lager. "Ich kann den Stab mit gutem Gewissen übergeben", stellt Bleek fest. Sein Schwerpunkt in den vergangenen Monaten sei es gewesen, die Malesier bei den Lehrgängen einzubinden, um sie in Pflicht und Verantwortung zu stellen. "Das war nicht immer einfach", gibt der Oberstleutnant zu. Und er bekräftigt: "Der EU ist es wichtig, nicht einzelne Malesier auszubilden, sondern malesische Ausbilder, welche dann vorne stehen."
Anfang April wird er zurück in Oberviechtach erwartet. Doch auch in der Grenzlandkaserne steht am 5. Mai ein Übergabeappell an: Oberstleutnant Ralf Georgi, bisher beim Bundesministerium der Verteidigung Berlin beschäftigt, übernimmt das Panzerbataillon 122. Auf Oberstleutnant Andreas Bleek wartet ein völlig neues Aufgabenfeld: Er wechselt in die Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg und wird dort Offiziere ausbilden. Hamburg liegt zwar auch nicht näher an der Heimat Kassel, "hat aber anders als Oberviechtach einen ICE-Bahnhof", stellt er lachend fest.
Keine Wunschliste
Doch jetzt geht es erst einmal heim in die Grenzlandkaserne, wo die nun zurückgefahrene Corona-Amtshilfe dominierte und laut Bleek "seit 2020 starke Kräfte gebunden hat". Wie er betont sei es dabei für ein Bataillon immer schwierig, den Hauptauftrag nicht aus den Augen zu verlieren. Dankbar erwähnt er seinen Stellvertreter, Oberstleutnant Michael Zweers, "der tapfer durchgehalten und mir den Rücken freigehalten hat, damit ich mich um das Einsatzgeschehen kümmern konnte". Bei der Meldung von "100 Milliarden Euro für die Bundeswehr", welche Verteidigungsministerin Lambrecht locker machen will, zückt Bleek keine Wunschliste. "Oberviechtach ist gut ausgestattet", meint er im Hinblick auf die 2018 eingetroffenen Schützenpanzer "Puma". Diese seien allerdings "noch nicht Einsatz-zertifiziert, da das komplexe System noch Kinderkrankheiten aufweist". Diese abzustellen, koste viel Geld. "Wir hoffen nun, dass es mit der geplanten Finanzspritze schneller geht."
Zum Ende des Gespräch geht der Blick noch einmal zurück zum Übergabeappell in Mali. Hier wartete auf den Kommandeur noch eine Überraschung: "Die Iren und Portugieser im multinationalen Trainerteam haben mich gebeten, im Kampfanzug anzutreten", sagt Andreas Bleek, "ich werde danach wohl duschen müssen".
Ausbildungsmission der Europäischen Union in Mali
- EU-Militärmissionzur Ausbildung der malischen Streitkräfte (European Union Training Mission/EUTM Mali) für ihren Einsatz gegen Terroristen des IS und von al-Kaida startet im April 2013.
- Leitverband für das 27. deutsche Kontingent (Dezember 2021 bis März 2022) ist das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach. Die Führung der rund 140 Soldaten übernimmt der Kommandeur, Oberstleutnant Andreas Bleek.
- Der Einsatz der 23 Oberviechtacher Soldaten im EU-Ausbildungszentrum in einer Kaserne in Koulikoro dauert rund sechs Monate. Die letzten Rückflüge sind für Anfang April geplant.
- Der Bundestag muss spätestens im Mai entscheiden, ob der Einsatz in Mali (Mandat läuft bis 31. Mai 2022) verlängert wird.
"Nicht Berlin trifft die Entscheidung, der Ball wird nach Brüssel gespielt."
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