Der Lokaljournalist wird manchmal als provinziell belächelt. Dabei ist er dem Geschehen so nah, muss den Menschen, die er in sein Blatt einrückt, wieder in die Augen sehen (können). Der Kommentar in einer Regionalzeitung – und sei er noch so pointiert - wird die Akteure auf der Weltbühne kaum jucken. Doch die Reaktionen des Bürgermeisters, Landrats, Kommunalpolitikers, Unternehmers oder Vereinsvorsitzenden treffen unmittelbar ein, meist frühmorgens am Telefon. Der Lokaljournalist steht mit seiner Arbeit immer auf der öffentlichen Bühne. Es erfordert deshalb Stehvermögen, sich als Lokaljournalist nicht mit dem „Mainstream“ zu arrangieren.
Eine lebendige Regionalzeitung wie NT/AZ/SRZ erfüllt eine „Wächterfunktion“. Begriffe wie „Weidener Landrecht“ und „Die Spende bringt die Wende“ charakterisierten die Kommunalpolitik in der 90er Jahren in Weiden. Die Lokalredaktion unserer Zeitung deckte den sogenannten „Bauskandal“ mit manipulierten und verschobenen Aufträgen über Jahrzehnte hinweg für viele Millionen auf. Nach den ersten Veröffentlichungen war nichts mehr, wie es einmal war. Jeder Weidener weiß, wie die Geschichte endete. Aber bis zu rechtskräftigen Urteilen gingen noch einige Jahre ins Land. Und die waren spannend und belastend, inklusive persönlicher Anfeindungen und Drohungen. Gemeinsam mit dem Geschäftsführer des Bayerischen Kommunalen Prüfungsverbands und des von München beziehungsweise Nürnberg aus gegängelten Leitenden Oberstaatsanwalts war ich als Leiter der Lokalredaktion öffentliche Zielscheibe. Doch mein Verleger stand hinter mir. Die Repressions-Versuche aus dem Weidener Rathaus spornten den journalistischen Ehrgeiz an. Ohne den Einsatz der Lokalredaktion und die Courage einzelner Kommunalpolitiker wäre auch die WTW-Rutsche mit 110 verletzten Badegästen nicht geschlossen und „entschärft“ worden.
Vertraulich und vertraut
Eine Regionalzeitung vertritt die Interessen der Heimat. Da kann der Lokaljournalist mit den Entscheidungsträgern – wenn es um bedeutende Anliegen geht - auch mal „über Bande“ spielen… Es fügt sich nur alle paar Hundert Jahre, dass gleich zwei Politiker aus der Region in herausgehobener Verantwortung stehen wie der verstorbene Staatsminister a. D. Gustl Lang in der Exekutive und Bundestagsabgeordneter Ludwig Stiegler als einflussreicher Parlamentarier. Dabei war es völlig egal, dass der eine ein „Schwarzer“ und der andere ein „Roter“ war. Die politischen Schwergewichte Lang und Stiegler arbeiteten zum Vorteil der Region vertraulich - und vertraut - zusammen. Fast jeden Samstag um 9 Uhr tauschten sich die beiden diskret am Telefon über Oberpfälzer Aufgaben aus.
Die „Süddeutsche Zeitung“ lästerte damals über eine „Autobahn ins Niemandsland“: Der beschleunigte Baubeginn für die Autobahn A 93 stellt eine der segensreichen Entscheidungen für die Heimat dar. Gustl Lang boxte sie ebenso listig durch wie die Trassenführung der A 6 (sie sollte ursprünglich über Furth im Wald laufen) oder den Doppelstandort der Fachhochschule, heute OTH. Stiegler drehte dabei kräftig mit am Rad. Ein Beispiel für politischen Lobbyismus ist die Kreativität von Lang, für die Max-Reger-Halle ein eigenes Förderprogramm zu erfinden, von dem schließlich auch Amberg mit dem ACC profitierte. Die beiden Politiker verband die Herkunft aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Sie wussten vor 30 und 40 Jahren um den immensen Nachholbedarf der armen „Stoapfalz“ gegenüber anderen Landesteilen. Sie nutzten ihre einmalige Chance, staatliche Mittel in das ehemalige Zonenrandgebiet zu schaufeln.
Auf das Konto von Ludwig Stiegler gehen unter anderem die Philatelie, die Bundeskasse und die Transformation der Ostmarkkaserne zur Heeresunteroffiziersschule. Stiegler attackierte zuweilen Lang recht plakativ, gefälligst mehr für die Oberpfalz zu tun: Es dürfte sich wohl eher um taktische Entlastungsangriffe mit Blick auf München gehandelt haben, wo der „Gustl“ mit seiner speziellen Förderpolitik mit Neidern in seiner eigenen Partei einen schweren Stand hatte. Die blasierten Ober-Bayern unterschätzten allerdings den Oberpfälzer… Die Ära Lang als Innen-, Justiz- und Wirtschaftsminister müsste gerade in der nördlichen Oberpfalz in goldenen Lettern geschrieben werden: Kein Politiker konnte – seit dem bayerischen Wirtschaftsminister Gustav von Schlör im 19. Jahrhundert – für seine Heimat so viel bewirken.
"Der neue Tag zerreißt Sie"
Unvergessen ist der Kampf um die frühere EDV-Schule Wiesau vor mehr als zwei Jahrzehnten. Die Staatsregierung wollte bei der Trägerschaft nichts von einer Verstaatlichung wissen. Der damalige Vorsitzende des IHK-Gremiums, Gerhard Ludwig, sagte zu Finanzminister Erwin Huber bei einem „Brandbesuch“: „Wenn ich jetzt mit leeren Händen vor die Presse trete (…) Da draußen wartet ,Der neue Tag', der zerreißt Sie (...)“ Heute gilt die Schule als IT-Schmiede der Region mit modernster Ausstattung. Viele Unternehmen profitieren von ihr. Der Freistaat hat die Trägerschaft inne.
Ein weiteres schönes Beispiel für die Rolle einer Regionalzeitung ist der III. Bauabschnitt der OTH in Weiden. Unsere Zeitung schob publizistisch kräftig an, mit zahlreichen Spenden in jeweils sechsstelliger Größenordnung aus der Heimat die Staatsregierung unter Zugzwang zu setzen: Die Nordoberpfalz ging für „ihre“ Hochschule in finanzielle Vorleistung. Die (vormals) bockige Staatsregierung gab schließlich „grünes Licht“.
Fröhliche Angela Merkel
Die Rückschau auf vier Jahrzehnte Lokal- und Regionaljournalismus beinhaltet viele bemerkenswerte Begegnungen und ungewöhnliche Momente. Anfang der 90er Jahre lernte ich Angela Merkel kennen, damals als Bundesfamilienministerin im Kabinett Kohl noch relativ unbekannt. Bei einem Empfang im Alten Rathaus stand sie bald allein – mit einem Bierglas in der Hand – ziemlich verloren da. Ich gesellte mich zu ihr und wir plauderten bestimmt eine Viertelstunde lang. Ich lernte sie als bescheidenen, unprätentiösen und fröhlichen Menschen kennen.
Als Volontär beziehungsweise Jungredakteur verfolgte ich die Kundgebungen von Franz Josef Strauß. In der Mehrzweckhalle beflügelten mehrere Mass Bier das rhetorische Temperament. Spätnachts genehmigte sich FJS zur Entspannung im Zottbachhaus (Pleystein) beim Kamingespräch in kleiner Runde noch ausgiebig Frankenwein: Ohne etwas von seiner Schlagfertigkeit, Analytik und seinem Witz, ja seiner druckreifen Sprache einzubüßen. Unmäßiger Alkoholkonsum spielte vor allem in den 70er und 80er Jahren eine öffentliche Rolle (nicht nur bei Politikern). Heute noch gegenwärtig ist mir die Szene, als ein profilierter Landespolitiker beim Besuch in Weiden aus seiner Limousine stolperte. Der Chauffeur half ihm auf die Beine, zwei Journalisten hakten ihn auf dem Weg zum Pressegespräch ins „Alt Nürnberg“ unter. Dort kippte der bekannte Politiker ein paar Pils hinunter – und führte dann mit uns ein klug strukturiertes Gespräch. Der Mann machte sonst als Minister eine ausgezeichnete Arbeit.
„Leben nach dem Tod“
Weiden stellte in den 80er Jahren quasi die Kapitale der Verbrechen in Bayern dar. Als Legende gilt Walter Klankermeier. Vier Wochen nach seinem spurlosen Verschwinden, als die Kripo den „Nachtklub-König“ noch eher in der Südsee wähnte, machte ich mich an die Reportage „Der lautlose Abgang des Walter K.“ Unsere Zeitung musste damals mehrere Tausend Exemplare nachdrucken. Sein Vermögensverwalter, Rechtsanwalt Dr. Burkhard Schulze, glaubte felsenfest an ein Verbrechen. Der Anwalt führte mich durch die verwaiste Wohnung. Ein mystisches, ja gruseliges Erlebnis. Auf dem riesigen Himmelsbett, über dem eine kitschige Christusfigur mit ausgebreiteten Armen thronte, lag aufgeschlagen das Buch „Leben nach dem Tod“. Die Leiche von K. wurde später in einem Wäldchen zwischen Schirmitz und Bechtsrieth entdeckt. Der Mord an „Klanki“ ist bis heute ungeklärt.
Spektakulär war der aufwändige Indizienprozess gegen einen Weidener. Er stand im dringenden Verdacht, seine zweite Ehefrau mit einem Halstuch erdrosselt zu haben, um an die Lebensversicherung zu kommen. Schon die Umstände des Todes seiner ersten Ehefrau (Fön in der Badewanne) waren mysteriös. Er beteuerte bis zu seinem Lebensende seine Unschuld und nahm sich in der Gefängniszelle schließlich das Leben.
Der Beruf des Redakteurs brachte mich mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen, denen ich sonst nie begegnet wäre.
Zum Autor
Clemens Fütterer, Jahrgang 1957, leitete von 1996 bis 2006 die Lokalredaktion Weiden, war in dieser Zeit stellvertretender Leiter der Gesamtredaktion und gehörte von 2006 bis 2016 der Chefredaktion an. Bis zu seinem Ruhestand 2019 konzentrierte er sich wieder auf die Aufgaben als Journalist: Recherchieren, (Wirtschafts-)Themen aufgreifen, Entwicklungen hinterfragen und kommentieren.
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