Die aktuelle Inflation weckt besonders in Deutschland tief verwurzelte Ängste. Die Hyperinflation von 1923 ist 100 Jahre her und hat sich dennoch tief ins kollektive Gedächtnis der Deutschen gefressen. Die Geldentwertung war eine der radikalsten einer großen Industrienation, lag damals bei über 29 000 Prozent und vernichtete Sparguthaben und Existenzen.
Natürlich blieb davon auch das Gebiet des heutigen Landkreises Schwandorf nicht verschont. Der Auslöser für die Großkrise lag im Ruhrgebiet, die Geldentwertung hatte aber bald das ganze Reich im Griff, das als junge Demokratie in eine wirtschaftliche Zerreißprobe geriet. Währenddessen wurden seine Bürger zu Millionären und Milliardären – aber arme Millionäre und Milliardäre.
Betriebe geben Notgeld aus
Bei der im Raum Schwandorf tätigen Bayerische Braunkohlen-Industrie AG (BBI) verdiente zum Beispiel auf dem Höhepunkt der Hyper-Inflation ein Kumpel täglich fünf Billionen Mark (in Ziffern: 5 000 000 000 000), aber er war so arm wie eine Kirchenmaus. Jede Woche schickte eine Münchener Wertpapierdruckerei die Kisten mit den Millionen-, Milliarden und zum Schluss Billionenscheinen, mit denen die Arbeiter und Angestellten der BBI bezahlt wurden.
Bei diesem Notgeld handelte es sich um Gutscheine, die auf Wunsch in Reichsbanknoten einzulösen waren. Kein Geschäft war verpflichtet, diese Gutscheine anzunehmen. Allerdings hatte zum BBI-Geld jedermann Vertrauen. Ein großer Teil dieser Scheine kam indes nicht mehr zur Einlösung, weil sich ihr Kaufwert wie der des offiziellen Geldes von einem Tag auf den anderen verflüchtigte.
Taschen voll Geld über den Zaun
Es gibt noch immer Familien in der Region, die sich im nostalgisch-gehüteten Besitz solcher und ähnlicher Notgeldscheine befinden, etwa der Tonwarenfabrik oder des Eisenwerks in Fronberg. Sie alle hatten zahlreiche Beschäftigte und waren auf enorme Mengen an Papier-Ersatzgeld angewiesen, weil niemand mehr an passende Reichsbanknoten kam. Für die Menschen bedeutete das aber auch, dass über sie neben den offiziellen Reichsbanknoten eine wahre Flut verschiedener Notgeldscheine hereinbrach.
Auch der Schwandorfer Stadtrat beschloss 1923, Notgeldscheine auszugeben. Sie wurden von den ansässigen Druckereien auf einfachem, holzhaltigen Papier gedruckt und optisch vergleichsweise schmucklos gestaltet. Sicherheitsvorkehrungen waren nicht nötig, denn ein Fälschen hätte sich nicht gelohnt.
Der im Jahr 2014 verstorbene Schwandorfer Autor Albert Wagner (Jahrgang 1942) war passionierter Sammler, der sich mit dem Thema Inflation und Notgeld sehr gut auskannte. 2010 erschien sein Buch „Die Inflationszeit in Schwandorf“, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Schwandorfer Stadtarchiv. Darin wird die Geschichte der Schwandorfer Inflationszeit erzählt, zu deren wichtigsten Personen der damalige Bürgermeister Franz Xaver Lampert gehörte, nachdem später in Schwandorf eine Straße benannt wurde. Alle Notgeldscheine der Stadt tragen seine Unterschrift mittels eines Faksimile-Stempels, links ist immer ein Dienstsiegel angebracht.
Das Geld musste schnell ausgegeben werden, bevor es wertlos wurde. Mancher Arbeiter kam also auf die Idee, am Abend seine Kinder auf die Außenseite des Fabrikzauns zu bestellen. Die Väter warfen dann die Taschen voller Geld den Kindern zu. Sie rannten damit nach Hause und die Mütter machten sich dann eiligst auf zum Einkaufen. Kamen dann etwas später die Kunden ohne diesen Zeitvorsprung zu den Geschäften, hieß es häufig: „Heute bereits alles aus - vielleicht morgen wieder.“ Anfang 1924 fand dann der Inflationsspuk sein Ende.
Hyperinflation: Gründe
- Auslöser: Weil die Reichsregierung nicht mehr in der Lage war, die Reparationen in voller Höhe zu bezahlen, kam es zur Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen.
- Streik: Es folgte der „Ruhrkampf“, also der passive Widerstand gegen die militärische Besetzung.
- Versprechen: Den Streikenden wurden die Lohnfortzahlung durch das Deutsche Reich oder finanzielle Hilfen versprochen.
- Geldvermehrung: Das Geld dafür musste die Regierung jedoch durch die Notenpresse erzeugen, wodurch die Geldvermehrung immer rascher wurde und die Inflation sich dramatisch beschleunigte.
- Wertverfall: Immer schneller verfiel der Wert des Geldes, bis schließlich im November 1923 der Kurs für einen US-Dollar 4,2 Billionen Mark entsprach.
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