Schwandorf
17.02.2021 - 16:17 Uhr

Sozialbeiträge nicht bezahlt: Strohmann kommt ohne Urteil davon

Das Logistikunternehmen lief alles andere als geregelt. Ein 23-Jähriger ließ sich dafür als Geschäftsführer einspannen. Auch wenn er als Strohmann agierte: Ohne Denkzettel entlässt ihn das Schwandorfer Jugendschöffengericht nicht.

Das Schild über dem Eingang des Schwandorfer Amtsgerichts. Symbolbild: Hösamer
Das Schild über dem Eingang des Schwandorfer Amtsgerichts.

Schwarze Schafe in der Kurier- und Paketdienstbranche geraten immer wieder in die Schlagzeilen: Schwarzarbeit, prekäre Löhne oder unangemessene Arbeitsbedingungen. Im östlichen Landkreis scheint der ältere Bruder eines heute 23-Jährigen sein Geschäftsmodell genau so angelegt zu haben. Eine Gesellschaft nach der anderen landete in der Insolvenz. Um weiter agieren zu können, mussten auch Familienmitglieder als Geschäftsführer herhalten – aber wohl nur auf dem Papier.

Auch der heute 23-Jährige ließ sich breitschlagen, vertraute seinem großen Bruder und ließ sich als Geschäftsführer einer Gesellschaft eintragen. Allerdings: Die Firma, die auf seinen Namen lief, zahlte in über 100 Fällen für die Mitarbeiter keine Sozialversicherungsbeiträge. Der Schaden liegt bei über 111000 Euro; zu verantworten hat ihn auch der Geschäftsführer. Spezialisten der Rentenversicherung und des Zolls hatten nach Anzeigen ermittelt, den Schaden aufgedeckt und errechnet.

Wer war der Chef?

Der zur Tatzeit 18-Jährige musste sich deshalb wegen "Veruntreuens von Arbeitsentgelt" vor dem Jugendschöffengericht verantworten. Unter Vorsitz von Petra Froschauer versuchte das Gericht auseinander zu dröseln, wer nun genau für was die Verantwortung in der Logistikfirma trug – und wer als Geschäftsführer auftrat. Der 23-Jährige schwieg zu den Vorwürfen, auch am zweiten Prozesstermin am Faschingsdienstag.

Schwandorf02.02.2021

Eine Reihe von Zeugenaussagen, die zum Teil verlesen wurden, ließen darauf schließen, dass im Wesentlichen der ältere Bruder das Sagen hatte. Mitarbeiter wurden demnach übergangslos von einer insolventen Firma in die nächste übernommen, teils "schwarz", teils gar nicht bezahlt. "Ich fühle mich betrogen", gab einer zu Protokoll, ihm fehlen über 6000 Euro an Lohn. "Ich bin dadurch in eine Notlage geraten", klagte er in seiner Vernehmung beim Zoll. Ein weiterer ehemaliger Fahrer sagte als Zeuge, er habe es aufgegeben, sein Geld einzufordern. Es hätte wahrscheinlich auch wenig Sinn. Denn auch das Unternehmen, bei dem der 23-Jährige Geschäftsführer war, ist mittlerweile pleite. Wo das veruntreute Geld geblieben ist, ist unklar. Der große Bruder jedenfalls soll sich eine Zeitlang auf Mallorca aufgehalten haben.

Nicht viel zu melden

Viel zu melden hatte der 23-Jährige in "seiner" Firma also offenbar nicht. Arbeitsanweisungen kamen vom großen Bruder; der unterzeichnete wohl auch Arbeitsverträge, so es denn überhaupt welche gab. Die meisten Mitarbeiter jedenfalls empfanden den älteren Bruder des Angeklagten als "Chef".

Nach einem nichtöffentlichen Rechtsgespräch des Schöffengerichts mit Staatsanwältin Verena Lukas, Verteidiger Dr. Gunther Haberl und dem Angeklagten gab die Vorsitzende bekannt: Das Verfahren wird vorläufig eingestellt. Tatsächliche Geschäftsführer-Aktivitäten des Angeklagten hätten nicht festgestellt werden können. "Das Problem ist aber: Er war Geschäftsführer", sagte Froschauer. Als solcher hätte er wissen müssen, dass er für die geregelte Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zuständig ist. Auch wenn er das seinem Bruder gutgläubig übertragen habe, hätte der heute 23-Jährige "gewisse Aufsichtspflichten" gehabt. Allerdings, so räumte das Gericht ein, sei das "bei einem älteren Bruder ein bisschen schwierig." Deshalb sei das Verschulden des 23-Jährigen als "durchaus gering" anzusehen, sagte die Vorsitzende, der damals 18-Jährige sei "nicht geschäftserfahren" gewesen. Das Misstrauen gegen den älteren Bruder sei "sehr, sehr eingeschränkt" ausgefallen.

Warnung an die Familie

Ganz ohne Denkzettel verließ der 23-Jährige, der als Maschinenführer rund 1800 Euro verdient, den Gerichtssaal freilich nicht. Er muss 2400 Euro in Raten an die Schwandorfer Tafel bezahlen, außerdem 60 Stunden unentgeltlich gemeinnützig arbeiten. "Lassen Sie sich nie wieder von Ihrem Bruder so einspannen", gab ihm die Amtsgerichtsdirektorin mit auf den Weg, "und warnen Sie auch Ihre anderen Familienmitglieder".

"Lassen Sie sich nie wieder von Ihrem Bruder so einspannen."

Amtsgerichtsdirektorin Petra Froschauer zum Angeklagten

Amtsgerichtsdirektorin Petra Froschauer zum Angeklagten

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.