Es gibt wenige reale Kriminalfälle, die die Menschen auch fast 100 Jahre nach dem Geschehen noch derart faszinieren und gruseln, wie der Fall Hinterkaifeck: Es ist der 31. März 1922. Magd Maria Baumgartner beginnt ihren Dienst auf dem Einödhof Hinterkaifeck. Der liegt ein paar Kilometer nordöstlich von Schrobenhausen in Oberbayern und gehört zum Dorf Gröbern. Auf dem Hof leben damals Bauer Andreas Gruber und seine Frau Cäzilia Gruber mit ihrer verwitweten Tochter Viktoria Gabriel sowie deren siebenjähriger Tochter Cäzilia Gabriel und dem zweijährigen Sohn Josef. Am späten Abend erschlägt ein unbekannter Mörder zunächst das Bauern-Ehepaar sowie Viktoria Gabriel und ihre Tochter Cäzilia mit einer Reuthaue genannte Hacke. Dann geht der Mörder in die Magdkammer und tötet Maria Baumgartner. Den kleinen Josef erschlägt er mit der Reuthaue im Stubenwagen im Schlafzimmer der Mutter.
Der Täter muss nach der Bluttat noch tagelang auf Hinterkaifeck gelebt haben. Denn das Vieh wurde getränkt und gemolken. Im Dorf fällt bald auf, dass Cäzilia Gabriel in der Schule fehlt und die Familie nicht zum Gottesdienst kommt. Vier Tage nach der Tat kommt ein Monteur auf den Hof, um einen Motor zu reparieren. Er findet den Einödhof verlassen vor. Er hört jedoch den Hund im Haus bellen. Ein paar Stunden später hat er den Motor repariert und will gehen. Nun ist der bellende Hund vor dem Haus angebunden und die Scheunentür steht offen. Zurück in Gröbern erzählt der Monteur den Töchtern von Ortsführer Lorenz Schlittenbauern von seinen Erlebnissen. Der schickt zwei seiner Söhne auf den Hof. Als die beiden in Hinterkaifeck niemand antreffen, geht Schlittenbauer selbst mit ein paar Nachbarn zu dem Einödhof. Sie verschaffen sich Zutritt und finden die Leichen.
Es kommt heraus, dass es schon vor dem Mord seltsame Geschehnisse auf Hinterkaifeck gegeben hatte. Zum Beispiel hatten die Bewohner eine Tageszeitung gefunden, die in der Gegend nicht zu bekommen war. Der alte Andreas Gruber hatte einige Tage vor der Mordnacht Spuren im Schnee gefunden, die zum Hof führten aber nicht wieder weg. Das Schloss zur Motorhütte war aufgebrochen worden. Die Bewohner vermissten einen Haustürschlüssel, und in einer Nacht hörten die Bewohner Schritte auf dem Dachboden. Zudem soll ein Mann mit Schnauzbart das Anwesen wiederholt vom nahen Waldrand aus beobachtet haben.
Schon bald nach der Tat sprossen die Theorien zum Mordfall Hinterkaifeck. Begünstigt wurden die auch dadurch, dass der alte Gruber schon immer als starrsinnig und geizig gegolten hatte. Außerdem waren er und seine Tochter Viktoria zweimal wegen eines inzestuösen Verhältnisses vor Gericht gestanden. Dass der alte Bauer seine Tochter seit ihrem 16. Geburtstag missbraucht hatte, gilt als sicher. So fiel auf der Suche nach dem Mörder von Hinterkaifeck schnell ein Name: Karl Gabriel, der Ehemann von Viktoria Gruber. Die Theorie geht davon aus, dass der Soldat vom Inzest erfahren und seinen Tod im Ersten Weltkrieg vorgetäuscht hat, um Rache an der Familie zu nehmen. Obwohl Kameraden Karl Gabriels Tod auf dem Schlachtfeld bestätigten, hält sich die Theorie lange. Unter anderem, da nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mehrere Kriegsheimkehrer aus Bayern berichteten, sie seien von einem sowjetischen Offizier vorzeitig nach Hause geschickt worden, der ihnen gesagt habe, er sei der Mörder von Hinterkaifeck.
Auch Altbauer Andreas Gruber selbst ist unter den Verdächtigen im Mordfall Hinterkaifeck. Er könnte ausgerastet sein, als er von einer neuen Beziehung von Viktoria erfahren habe. Oder er könnte versucht haben, sich auch deren Tochter Cäzilia zu nähern. Ein anderer Täter müsse dann Gruber in Notwehr oder aus Rache getötet haben.
Auch der Hilfsarbeiter Peter Weber, die Gebrüder Gump und der angeblich geisteskranke Bäcker Josef Bärtl aus Geisenfeld waren unter den Verdächtigen. Viele Leute aus der Region sahen im Nachbarn Lorenz Schlittenbauer den Täter. Auch die Ermittler der Polizei verhörten Schlittenbauer. Denn er hatte ein Verhältnis mit Viktoria Gabriel gehabt. In der Folge war es zum Streit über die Vaterschaft des kleinen Josef bekommen: War Schlittenbauer der Vater oder doch Altbauer Andreas Gruber? Zudem hatten zwei Männer, die die Leichen gefunden hatten, den Stall schockiert verlassen. Doch Schlittenbauer war weitergegangen, um dann die Haustür von innen aufzusperren - mit dem Schlüssel, den die Opfer als vermisst gemeldet hatten. Aber es gibt auch massive Zweifel an der Täterschaft Schlittenbauers. Hätte er zum Beispiel den kleinen Josef erschlagen, wenn der womöglich sein Sohn war? Wäre er das Risiko eingegangen, in den Tagen nach dem Mord immer wieder zu dem Hof zu gehen, um das Vieh zu versorgen, selbst wenn man ihn dabei hätte sehen können?
Eine andere Theorie geht von einem Fememord aus und davon, dass der Hof nach dem Ersten Weltkrieg als Versteck für Waffen rechtsextremer Gruppen gedient habe. Als Strafe für einen Regelverstoß sei die Familie dann hingerichtet worden. In der Tat gab es in Bayern nach dem Ersten Weltkrieg mehrere solcher Fememorde. Auch ein Raubmord wurde nicht ausgeschlossen. Denn die Familie war durchaus wohlhabend.
Im Februar 1923 begann Karl Gabriel Senior, also Viktorias Schwiegervater, mit Helfern den Hof abzureißen. Dabei entdeckten sie in einem Zwischenboden die Reuthaue, also das Tatwerkzeug. Jemand hatte sie noch blutverschmiert unter Dielenbrettern versteckt.
Das mysteriöse Verbrechen beschäftigt die Menschen in Bayern bis heute. Schüler der Polizeischüler Fürstenfeldbruck hatten den Fall im Jahr 2007 neu aufgerollt. Der ehemalige Kriminalhauptkommissar Konrad Müller ermittelt im Ruhestand noch heute. Der Journalist Peter Leuschner hat erstmals 1978 eine umfassende Dokumentation zum Hinterkaifeck-Mord vorgelegt. Im Internet diskutieren Interessierte nach wie vor Theorien über den mysteriösen Mord. Die Ereignisse des April 1922 in Hinterkaifeck wurden auch mehrfach verfilmt, unter anderem als Thriller "Hinter Kaifeck" mit Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara. Die Autorin Andrea Maria Schenkel hat die Ereignisse des Falls für ihren Kriminalroman "Tannöd" aufgegriffen.
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