Von Joachim Dankbar
Internet-Kriminelle haben der in Selb (Kreis Wunsiedel) beheimateten Netzsch-Gruppe unabsehbaren Schaden zugefügt. Nach einer Attacke mit Schadsoftware hat das weltweit agierende Technologie-Unternehmen mit Sitz in Selb am Wochenende sein komplettes IT-Netzwerk herunterfahren müssen. Wie Yann Jeschke, Leiter der Unternehmenskommunikation, am Mittwoch auf Anfrage unserer Zeitung schilderte, wird es wohl noch bis in die kommende Woche dauern, bis alle Unternehmensteile von Netzsch mit ihren 3700 Mitarbeitern an 36 Standorten wieder normal arbeiten können.
Netzsch ist Opfer einer Attacke mit sogenannter Ransom-Ware geworden. Darunter versteht man eine Form der Erpressung, bei der die Täter Daten von Unternehmen oder auch Privatpersonen verschlüsseln und sie dadurch unzugänglich machen. Erst gegen die Zahlung eines Lösegelds wird eine Rückgängigmachung der Verschlüsselung angeboten. Zumeist wird die Zahlung von den Erpressern in einer anonymisierten Internet-Währung wie Bitcoin angefordert. Solche Zahlungen können blitzschnell und weitgehend anonym in alle Welt gesendet werden.
Fast alle Firmenteile betroffen
Angaben über die Höhe der Lösegeldforderung wollte das Unternehmen nicht machen. Netzsch-Sprecher Jeschke versicherte jedoch, dass man nicht auf die Forderung der Kriminellen eingegangen sei. Das Unternehmen werde alle seine Daten aus den Sicherungskopien wiederherstellen, die man routinemäßig im Sinne einer hohen Datensicherheit anfertige.
Zudem sei die Attacke durch die eigene IT-Abteilung relativ früh entdeckt worden. Daraufhin sei am Freitagabend das gesamte Netzwerk der Netzsch-Gruppe heruntergefahren worden, um eine weitere Verbreitung der Schad-Software zu verhindern. Dennoch seien praktisch alle Unternehmensteile des breit aufgestellten Unternehmens betroffen. Davon ausgenommen ist "Nedgex", die Digitaleinheit der Netzsch-Gruppe. Ihre Server sind in räumlich getrennt untergebracht und gesondert gesichert.
Auf seiner Homepage hat das Unternehmen sofort alle seine Geschäftspartner darauf hingewiesen, dass es Opfer eines Hacker-Angriffs geworden ist. Selbst die Telefonanlage ist gegenwärtig noch lahmgelegt, da auch sie Teil des Computernetzwerks ist.
Keine neuen Aufträge möglich
Den Schaden könne man bislang noch nicht beziffern, sagte Unternehmenssprecher Jeschke am Mittwoch. Zum einen werde man erst in den kommenden Tagen vollständig überblicken können, wie viele Daten verschlüsselt wurden. Zum anderen müsse man noch überprüfen, ob und welche Daten aus dem Firmennetzwerk abgeflossen seien. Der Schaden dürfte dennoch immens sein, da Netzsch gegenwärtig nur bereits vorliegende Aufträge abarbeiten kann - und auch dies nur, wenn die Fertigung sich nicht auf die Firmen-IT stützt. Für neue Aufträge ist das Unternehmen gegenwärtig nicht erreichbar.
Unbekannt ist derzeit auch, wie genau sich die Internet-Kriminellen Zugang zur Netzsch-EDV verschafft haben. Gegenwärtig gehe man von einer sogenannten "Phishing-Attacke" aus, sagte Yann Jeschke. Die Ermittlungen haben inzwischen Experten des bayerischen Landeskriminalamtes und der bei der Generalstaatsanwaltschaft Bayern angesiedelten Zentralstelle Cybercrime übernommen. Nähere Angaben zum Stand der Ermittlungen möchte die Generalstaatsanwaltschaft gegenwärtig nicht machen.
Bei "Phishing" handelt es sich zumeist um E-Mails, die den Adressaten dazu verführen sollen, bewusst oder unbewusst Links anzuklicken, über die dann das eigentliche Schadprogramm nachgeladen wird. Diese relativ alte Masche haben kriminelle Gruppierungen im Netz inzwischen zu einer Meisterschaft weiterentwickelt. Zum einen verwenden sie oft große Mühe bei der Ansprache der Opfer. An die Stelle plumper Massenmails mit vielen sprachlichen Fehlern sind oft kenntnisreiche Ansprachen bestimmter Mitarbeiter getreten. Mit hohem Aufwand werden zum Beispiel Anmeldeformulare nachgebildet, die in den Zielfirmen gang und gäbe sind. Um Privatopfer zu schädigen, werden Bank-Anmeldeseiten detailgetreu nachgebaut. So fällt es immer schwerer, in der täglichen Routine am PC rechtzeitig Verdacht zu schöpfen.
Experten: Kein Lösegeld zahlen
Im Falle von Netzsch sei noch unbekannt, wo genau die Angreifer sich Zugang verschafft hätten, sagte Jeschke. Sicher sei, dass sich die Schadsoftware bis zum Abschalten der EDV "von Server zu Server gehangelt" hätte.
Als einziges Mittel gegen solche Erpressungen aus dem Dunkel des Netzes - die auch Privatpersonen betreffen können - gilt neben einem stets aktuellen Virenscanner die regelmäßige Anfertigung von Sicherheitskopien. Danach muss das Medium mit der Sicherungskopie unbedingt vom Computer oder Netzwerk getrennt werden, um nicht ebenfalls angegriffen zu werden. Vom Zahlen von Lösegeld raten Experten ab, nicht nur, weil damit das organisierte Verbrechen gefördert wird. In etlichen Fällen sei es trotz Zahlung eines Lösegelds nicht zu einer Entschlüsselung gekommen. Außerdem mache man sich damit bei Tätern als gefügiges Opfer bekannt.
Weiterer Fall: Ermittlungen laufen
Erst vor einigen Tagen ereignete sich im Landkreis Neustadt/WN ein ganz ähnlicher Fall, auch hier drangen Unbekannte in die Firmen-IT ein, sperrten die Daten und verlangen Lösegeld. Das betroffene Unternehmen möchte sich weiter nicht zum Vorfall äußern. Von der für Cybercrime zuständigen Oberstaatsanwaltschaft in Bamberg gab es am Donnerstag die Information, dass nach wie vor ermittelt werde und ansonsten keine Auskunft zu dem schwebenden Verfahren geben werde.
Zu Gerüchten, dass das IT-System des Oberpfälzer Unternehmens auch zwei Wochen nach dem Angriff noch zu großen Teilen lahmgelegt sei und nun tatsächlich eine Zahlung an die Erpresser im Raum steht, gab es weder von der Ermittlungsbehörde noch vom betroffenen Unternehmen eine Einschätzung.
Nur ganz allgemein erklärt Pressesprecher und Oberstaatsanwalt Thomas Goger, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass sich solche Angriffe nur sehr schwer und langwierig beheben lassen: „Solche Firmennetzwerke sind oft sehr verschachtelt und hochkomplex. Es kann tatsächlich Wochen dauern, bis man die Folgen eines solchen Angriff tatsächlich voll behoben hat“, erklärt Goger. Dennoch rate die Staatsanwaltschaft den Betroffenen, auf keinen Fall zu bezahlen. „Wer sich so erpressen lässt, hält das Geschäftsmodell der Betrüger natürlich am Leben“. (wüw)
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