Dichter Nebel liegt über dem kalten Morgen. Eine von Bäumen gesäumte, schmale Straße schlängelt sich direkt in den Innenhof des Klosters Speinshart. Noch ist es ruhig, etwas verschlafen, nur in wenigen Fenstern brennt Licht. Die Klosterkirche hingegen wirkt fast schon majestätisch. Ihre Eingangstüren mit den verschnörkelten Klinken sind schwer und gewähren Eintritt in die von goldgelbem Licht geflutete Eingangshalle. Dort wartet Pater Adrian Kugler. Er erzählt vom Leben im Kloster in der Adventszeit, dem Weihnachtsabend selbst und Bräuchen aus seiner schwäbischen Heimat.
„Ich bin mit der kirchlichen Jugendarbeit groß geworden, Priester werden hat mich schon immer gereizt und die Lebensform im Kloster auch“, beschreibt der 50-jährige, groß gewachsene Mann mit den grauen Haaren und dem freundlichen Lächeln seinen Werdegang. 1989 entschied sich Pater Adrian für ein Leben im Kloster, zunächst in einer Abtei in Niederbayern. Der Vorteil: Pfarrer sein, aber nicht alleine, sondern in der Gemeinschaft der Glaubensbrüder. Ein paar Jahre später erfolgte der Wechsel nach Speinshart.
Auf andere Gedanken kommen
Seitdem bestimmt der Rhythmus des Klosters sein Leben. Jeder Tag beginnt um 7.30 Uhr mit dem Morgengebet, der Laudes. Danach gibt es Frühstück. Um 12 Uhr treffen sich die Chorherren zum Mittagsgebet und zum anschließenden Mittagessen. Das Abendgebet findet um 17.15 Uhr statt. Zwischen den Gebetszeiten geht jeder seinen ganz eigenen Tätigkeiten nach. Pater Adrian ist Pfarrer in Speinshart und in Schlammersdorf. Zusammen mit den drei festen Gebetszeiten am Tag wird das schon mal stressig. „Vor allem zu Stoßzeiten wird es knapp. Wenn zwei bis drei Beerdigungen in einer Woche stattfinden zum Beispiel. Außerdem müssen Predigten vorbereitet werden, und in der Schule bin ich auch noch“, erzählt Pater Adrian und lacht. Die Gebetszeiten kommen ihm aber gelegen. „Es ist gut, dass diese Unterbrechungen da sind“, findet er. „Man kommt wieder auf andere Gedanken.“ Auch die Gesellschaft seiner Glaubensbrüder schätzt der Pater. Sie ist neben der Seelsorge einer der Stützpfeiler des Prämonstratenserorden, der 1121 vom Heiligen Norbert in Prémontré gegründet wurde und sich schnell in ganz Europa verbreitete. Der Orden ist ein sogenannter Chorherrenorden, seine Mitglieder leben in Kanonien, also selbstständigen Häusern. Derzeit gibt es 41 Kanonien weltweit. Geleitet werden diese Lebensgemeinschaften von einem Abt. In Speinshart ist das Hermann Josef Kugler, der Bruder von Pater Adrian.
In der Adventszeit ist es hier aber nicht anders als in vielen privaten Haushalten auch. Dem Stress entkommt man auch an einem so entschleunigten Ort wie dem Kloster nicht. Zwischen Gebeten und den Adventsfeiern der Pfarrei bleibt manchmal wenig Zeit für sich selbst. „Diese Zeit ist sehr schön, manchmal ist es aber auch etwas viel“, weiß Pater Adrian aus Erfahrung. „Vielleicht beginnt Weihnachten erst dann, wenn es vorbei ist“, schmunzelt er. Trotzdem habe jeder die Freiheit, selbst zu entscheiden. „Muss man den zehnten Weihnachtsmarkt besuchen, oder reichen auch fünf? Die Angst vor Versäumnissen macht die besinnliche Zeit hektisch. Einfach mal einen Gang zurückschalten“, empfiehlt der Geistliche. Die Adventszeit soll die Vorbereitungszeit auf Weihnachten sein, und kann einer gewissen Symbolik nicht entbehren: Die dunkle Jahreszeit als Analogie zu schweren Phasen im eigenen Leben, die von Woche zu Woche mehr erleuchtet werden, bis sie an Weihnachten in der Helligkeit Zuflucht finden und sich auflösen. Zeit für sich solle sich deshalb jeder nehmen, findet Pater Adrian. Gerade, wenn Weihnachten nicht nur ein fröhliches Familienfest ist, sondern von Verlust und Trauer überschattet wird, hilft die Rückbesinnung auf das Selbst.
Bratwürste und Hausandacht
Den Heiligen Abend verbringen die Chorherren in der Gemeinschaft. Nachmittags beginnen die ersten Kindermetten. Sie ziehen Menschen in das Gotteshaus, die sonst schon lange nichts mehr mit der Kirche zu tun hatten. Pater Adrian findet das völlig in Ordnung: „Die Kirche soll auch einladend und für jeden da sein.“ Nach dem Abendgebet treffen sich die Glaubensbrüder zum Essen. Meist gibt es Bratwürste und Kraut am Weihnachtsabend. Danach versammeln sie sich im Wohnzimmer, das auch als Recreation bekannt ist. Hier findet die Hausandacht statt, die Weihnachtsansprache des Abtes wird verlesen. Anschließend sitzen die Glaubensbrüder zusammen, es wird geplaudert, bevor die abendlichen Christmetten um 21.30 Uhr losgehen. Geschenke gibt es nicht, auch wenn es nicht verboten ist. „Ich glaube, das geht niemandem ab“, erzählt der Pater. Für ihn ist vor allem der Gedanke der Menschlichkeit an Weihnachten wichtig. Das Sprichwort „ In deiner Haut möchte ich nicht stecken“ gelte für Gott genau umgekehrt: „Er steckt nicht nur in unserer Haut, er wird selbst Mensch und erleidet all das, was wir Menschen ertragen müssen. Gott lebt und leidet mit uns“, erklärt er. Für uns gelte deshalb der Auftrag: mehr Menschlichkeit. Der Versuch, friedlich miteinander umzugehen. Auch Geschenke stünden für Zuneigung, sie zeigten: Du bist mir wichtig. Trotzdem sieht Pater Adrian den Trend zum Konsum kritisch, aber nicht aufzuhalten: „Wir im Kloster müssen das dann anders leben und in Predigten zum Nachdenken anregen: Muss es so viel sein?“ Gerade bei den Kindern erkenne man die Reizüberflutung durch die Masse an Geschenken, der Druck mitzuhalten sei bei den Kleinsten entsprechend hoch. Pater Adrian selbst wurde mit drei Geschwistern im ähnlichen Alter groß, Weihnachten war bei ihnen kein riesiges Fest. „Wir sind einfach zusammengesessen, viele Geschenke gab es nicht, das war auch finanziell gar nicht möglich. Aber es sind gute Erinnerungen“, resümiert er. Trotzdem verurteilt er nicht: „Jeder soll so feiern, wie es ihm guttut. Meins wäre es nicht. So wie wir hier im Kloster feiern, ist es in Ordnung.“ Einen ganz bestimmten Brauch aus seiner Heimat würde der gebürtige Schwabe gerne noch ein bisschen mehr verbreiten: das Christbaumloben. Eine Tradition, bei der es ums Zusammensein und Spaß haben geht. „Am zweiten Weihnachtsfeiertag besucht man Freunde und Verwandte, damit man auch mal wieder was anderes sieht als die eigene Familie“, erklärt Pater Adrian lachend. „Der Christbaum wird dann für seine Schönheit gelobt, dafür gibt’s ein Stamperl Schnaps“. Der Brauch erhält schleichend wieder Einzug in bayerische Haushalte, sehr zur Freude des Geistlichen. Sein Wunsch für Weihnachten? Dass die Kirche sich endlich verändert. „So wie jetzt kann es nicht weitergehen“, findet Pater Adrian. Durch den Missbrauchsskandal und den Trubel um den Limburger Bischof hätte die Kirche ihre Glaubwürdigkeit verspielt. „Aber langsam geht es in eine gute Richtung.“ Auch die Zulassungsbedingungen für geistliche Ämter müssten endlich angepasst werden, damit auch Frauen gleichberechtigt ein Amt ausüben dürften. „Das hat die Kirche einfach verschlafen“, meint der Geistliche. „Selbst vielen Mitgliedern machen solche Veränderungen Angst. Aber das Ängstliche soll uns Christen nicht auszeichnen. Wir sollten mutig vorangehen und uns vom Geist Gottes führen lassen.“
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