Sulzbach-Rosenberg
27.02.2023 - 10:51 Uhr

"153 Formen des Nichtseins": Slata Roschal liest am Weltfrauentag im Literaturhaus Oberpfalz

Vom Rand aus sieht man schärfer: Das eigene Leben und den gesellschaftlichen Rahmen, in den Slata Roschals Roman-Protagonistin so gar nicht passen will. Ein Interview über Sein, Nichtsein, die Kraft der Sprache und Roschals Roman-Debüt.

Schriftstellerin Slata Roschal Bild: Ammy Berent/exb
Schriftstellerin Slata Roschal

ONETZ: Frau Roschal, nachdem sie den unterschiedlichsten Formen des Nichtseins nachgespürt haben – was macht für Sie das Sein aus?

Slata Roschal: Das Sein, ja, ist vielleicht das, was die vielen entstandenen Lücken füllt, also nicht im Sinne einer wiedergewonnenen festen Identität und Heimatverbundenheit, sondern als etwas Fluides und dennoch Stabiles und Würdevolles. Möglicherweise geht es am Ende um Würde und Respekt, vor sich selbst, von und gegenüber anderen, um sich selbst als einen relevanten Teil der Gesellschaft zu spüren.

ONETZ: Verorten Sie persönlich den mitunter schwierigen Begriff "Heimat" eigentlich mehr lokal oder mehr in Ihrem familiären Umfeld?

Ich weiß nicht, ob man es voneinander trennen kann, das Familiäre und Lokale und zugleich Große und Politische, auch verschmelzen familiäre Tatsachen (das sind meine Eltern und meine Eltern sind deutsch, weil sie es über sich gesagt haben, oder weil ich von meiner Lehrerin als deutsch bezeichnet wurde) mit dem Lokalen (hier bin ich geboren, aufgewachsen, das ist unser Land), und das ganze Narrativ ist ja ein Klumpen aus allerlei Fakten, Symboliken, Metaphern, kaum greifbar und oft dennoch überzeugend.

ONETZ: Ihre Protagonistin sitzt ja irgendwie immer zwischen den Stühlen. Halt findet sie in Literatur und Sprache. Kann dieser Ansatz auch außerhalb des Romans funktionieren?

Klar, Literatur ist eine Möglichkeit, sich in der Welt zu verorten, eine von vielen. Ksenia hätte auch ein Restaurant eröffnen können oder in die Modewelt einsteigen, aber ihr liegt das Literarische näher, außerdem ist Sprache alles und überall und kann von sich selbst Besitz ergreifen, das ist das Interessantere daran.

ONETZ: Den meisten Ihrer Leserinnen und Leser ist dieses Gefühl, nirgends wirklich dazuzugehören, vermutlich eher fremd. Lässt das Feedback auf ein durch die Lektüre gewachsenes Verständnis schließen?

Ich bekomme eher die andere Seite mit, ein Leser zum Beispiel schrieb mir neulich, er hätte seine verborgensten Gedanken im Buch wiedererkannt. Bei Ksenia ist das Gefühl des Nicht-Dazugehörens schon extrem, aber ich denke, dass viele Menschen es teilen und deswegen gerade das Buch lesen, weil sie mit ähnlichen Fragestellungen aufgewachsen sind. Und es muss nicht unbedingt ein "Migrationshintergrund" sein, es geht im Buch auch schlicht um die Entfremdung zwischen Kindern und Eltern, um das Unbehagen gegenüber politischen Parolen oder der eigenen Elternschaft, um Depression, also um Sachen, die den meisten von uns bekannt sind.

ONETZ: Haben Sie angesichts der enormen Resonanz auf Ihr Roman-Debüt den Eindruck gewonnen, auch ein wenig den Nerv der Zeit getroffen zu haben?

Resonanz ist eine relative Sache, kommerziell erfolgreich, also am meisten gekauft und gelesen sind ja Bücher, die stringente Geschichten, Identitäten oder irgendwelche Familiensagas erzählen. Moderne Lyrik zum Beispiel wird in Deutschland wenig gelesen. Aber offenbar gibt es schon Interesse an Texten, die dazwischenliegen, weder "richtiger" Roman noch Lyrik sind.

ONETZ: Wie gehen Sie damit um, wenn Ihre Fiktion eins zu eins mit Ihrer Biografie gleichgesetzt wird?

Mich interessiert das Biografische nicht, weil ich glaube, dass wir damit unsere Zeit vergeuden, es ist ja die primitivste und langweiligste Art, über ein Buch zu reden. Manchmal nervt es, wenn aus irgendwelchen Internetschnipseln eine Biografie kreiert wird, manchmal wird es übergriffig, das sage ich meistens auch. Zum Glück hat das Buch mehr als diese Gleichsetzung zu bieten.

ONETZ: Lesungen sind ja etwas grundsätzlich anderes als das Schreiben. Mögen Sie den direkten Kontakt und Austausch mit dem Publikum?

Ja, es sind schon Gegensätze, und jede Lesung ist anders, Menschen bringen ihre Erwartungen und Interessen mit und ich bekomme auch einen gewissen Einblick in ihr Leben. Ich mag Kinder, Jugendliche als Publikum, sie sagen direkt, was sie denken, oder Studierende, jung, klug und motiviert, diese Kombination ist etwas Besonderes.

ONETZ: War Ihnen das Literaturhaus Oberpfalz bereits vor der Einladung ein Begriff?

Ja, im Literaturhaus war ich schon mal zu Gast, im Sommer 2021, und habe mit dem tschechischen Autor Jan Škrob gelesen, sein Lyrikband begeistert mich immer noch.

ONETZ: Könnten Sie sich nach dem Erfolg mit eher kürzerer Prosa einen zweiten Roman im längeren Format vorstellen? Gibt es vielleicht schon konkrete Pläne?

Prinzipiell bin ich eher Lyriker als Prosaiker und mag schmale Bücher. Im Frühjahr 2024 kommt ein Roman im Ullstein Verlag heraus, es wird um Elternschaft und Mutterschaft gehen, wobei, ob es ein Roman ist – kurz wird er jedenfalls sein.

Hintergrund:

Zu Person und Veranstaltung

  • Slata Roschal, Schriftstellerin, promovierte Literaturwissenschaftlerin, geboren 1992 in Sankt Petersburg/Russland, 1997 Umzug nach Schwerin, Verfasserin zweier Lyrikbände, geehrt u.a. mit dem Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern 2018, ihr Roman-Debüt zählt zu "Bayerns besten Independent Büchern 2022, war nominiert für den Deutschen Buchpreis 2022 und ist ausgezeichnet mit dem Bayerischen Kunstförderpreis
  • 153 Formen des Nichtseins, Roman, 176 Seiten, Hardcover, homunculus verlag, 22 Euro
  • Lesung und Gespräch am Mittwoch, 8. März um 19 Uhr im Literaturhaus Oberpfalz, Moderation Patricia Preuß, Tickets unter www. info[at]literaturarchiv[dot]de oder telefonisch 09661/8159590
 
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