„Die Impfung ist eine Rassenschande“ – schon dieser Titel provozierte beim Online-Vortrag über die Geschichte der Impfgegnerschaft, veranstaltet vom Sulzbach-Rosenberger Verein für Politik und Kunst (PunK) in Zusammenarbeit mit dem Kurt-Eisner-Verein für politische Bildung in Bayern und der Petra-Kelly-Stiftung. Mit Michael Bothner trat ein Referent auf, der sich seit langem mit dem Phänomen aktiv beschäftigt und auch darüber berichtet. PunK-Koordinator Stefan Dietl freute sich über eine Menge Teilnehmer.
In der Tat ist die Geschichte der Impf-Widerstände lang: Schon 1807 gab es in Südtirol heftigen, teils gewaltsamen Widerstand gegen die kostenlose Pflichtimpfung gegen die Pocken („Blattern“) durch das Königreich Bayern. Befürchtet wurde damals die versteckte „Einimpfung“ des bayerischen Geistes. Allerdings sei die allgemeine Impfbereitschaft in Europa damals sehr hoch gewesen, bei Tetanus etwa fast 95 Prozent.
„Es war ein medizinischer Meilenstein, der damals natürlich noch unter ganz anderen wissenschaftlichen Standards zustande gekommen ist“, blickte Bothner zurück. Doch von Anfang an gab es auch Widerstand dagegen. Es gründeten sich Antiimpf-Verbände, und es gab in den Folgejahren allein im deutschen Reich Dutzende Petitionen gegen die Einführung einer Impfpflicht. Auch aufgrund des vehementen Widerstandes dauerte es rund 200 Jahre, ehe die WHO 1980 die Pocken offiziell für ausgestorben erklärte. Dazu waren aber eine 1967 beschlossene weltweite Impfpflicht und 2,4 Milliarden Impfdosen nötig.
Viele Wiederholungen
„Trotz solcher Erfolge gibt es in Deutschland schon lange eine kleine, aber sehr umtriebige Szene von Impfgegnern, die auch bei den Coronaprotesten von Beginn an ihre Themen setzen konnten.“ Die Argumente dieser Gegner hätten sich, das zeige die historische Nachschau, im Prinzip nicht gewandelt. Die vielbeschworene Einpflanzung von Mikrochips, die angeblichen Langzeitschäden, die Veränderung durch Genmanipulation, die Geldgier der Pharmaindustrie, die vielzitierte Lenkung der Presse, das baldige Sterben aller Geimpften und die dahinterstehenden geheimen Eliten wiederholten sich je nach Zeitalter nahezu deckungsgleich, machte der Regensburger Journalist aufmerksam. Dass dagegen nach Einführung des Reichsimpfgesetzes 1874 die Ausrottung von fürchterlichen Krankheiten stand, die Hunderttausende von Menschen das Leben kosteten, ging damals schon oft unter bei den Gegnern.
„Diese Vorstellung, die Impfung würde den Menschen in seinem Innersten verändern, findet sich auch aktuell wieder.“ Die Wissenschaft könne noch so oft betonen, dass die mRNA-Stoffe keinerlei Einfluss auf das Erbgut des Menschen hätten und lediglich eine Immunreaktion hervorriefen. Auf den Protesten werde dann trotzdem wieder genau davor gewarnt. „Das Tirol-Beispiel hat zudem gewisse Ähnlichkeit mit der Behauptung, Bill Gates wolle allen Menschen Mikrochips zur Kontrolle verimpfen. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Wirkung von Impfstoffen für Laien nur schwer nachzuvollziehen ist. Es ist leicht, Ängste vor den Vakzinen zu schüren, aber schwer, diese Sorgen auszuräumen“, warnte Michael Bothner.
Besonders erschreckend seien die Parallelen zwischen Impfgegnerschaft und Antisemitismus, die lange Zeit untrennbar verbunden waren. Der Vorwurf an die Juden, die Bevölkerung durch Einschleusung von „artfremdem Eiweiß“ in deren Körper vergiften zu wollen, habe eine unselige, lange Tradition, dieser Antisemitismus reiche bis zu den Hasstiraden von Julius Streicher im Nationalsozialismus. Die damals um die Jahrhundertwende verbreitete Ansicht, Impfen sei ein Aberglauben, von Juden erfunden, zeige die zunehmende Annäherung von Antisemitismus und Impfgegnerschaft, bilanzierte Michael Bothner. Er nannte die Amerikaner Andrew Wakefield und Robert Kennedy jr. als Protagonisten von längst widerlegten Fake-Studien, auf die sich Querdenker auch hierzulande aber heute noch stützten.
Kleine Minderheit
Auch wenn es nur eine kleine Minderheit sei, die gegen Maßnahmen und Impfungen auf die Straße gehe: Wenn in die etablierte Wissenschaft kein Vertrauen mehr gesteckt und stattdessen nach „alternativen Fakten“ gesucht werde, dann sei der gesellschaftliche Austausch immer schwieriger. Durchaus interessant übrigens: Manches Vokabular kenne man bereits von den Pegida-Protesten. Das sickere nun in immer mehr Bereiche der Gesellschaft ein und weiche den demokratischen Boden auf. „Der Widerstand gegen die Impfung ist hier ein wichtiges Bindeglied von esoterisch orientierten Menschen über frühere Linken- und Grünen-Wählerinnen bis hin zu Rechtsextremen. Gewisse Gruppierungen wie der 3. Weg versuchen hieraus Kapital zu schlagen.“
Was verbindet nun beispielsweise Esoteriker und Rechtsextreme? Michael Bothner hat da eine interessante Theorie: „1874 trat das Reichsimpfgesetz in Kraft. Innerhalb der Impfgegner-Szene tummelten sich zu diesem Zeitpunkt bereits führende Personen der antisemitischen Bewegung. Die sahen hinter den Impfstoffen eine jüdische Verschwörung. Solche Ansichten fanden sich wenige Jahrzehnte später auch bei den Nazis wieder.“ Für den gesunden „Volkskörper“ stellten Impfungen angeblich eine Gefahr dar. Ähnliches sei auch damals aus der esoterischen Richtung zu hören gewesen, ebenso auch heutzutage in Bereichen der alternativen Medizin. Auf den Coronaprotesten sei zwar nicht unbedingt vom „Volkskörper“ die Rede. Aber es gebe sehr ähnliche Motive, die auf die Reinheit des Körpers abzielten. „Impfstoffe und die Schulmedizin werden auch deshalb teils massiv abgelehnt. Man kann durchaus einen roten Faden von 1796 bis heute ziehen und viele ähnliche Argumentationen gegen und Mythen über das Impfen finden.“ Mit einem Bildungsproblem alleine sei das Phänomen der Verschwörungstheorien allerdings nicht zu erklären, war auch die Hauptmeinung in der anschließenden Diskussion.
Größeres Problem
Michael Bothner begleitet die Proteste der Maßnahmengegener von Beginn an und hat mit vielen von Ihnen gesprochen. Was treibt die Leute auf die Straße? Auf Protesten vor Ort und noch viel stärker in den Telegram-Chats zeige sich, dass die Impfpflicht für viele nur Symptom eines viel größeren Problems zu sein scheint. Es gehe auch um die Impfung an sich. Viele wähnten sich im Widerstand, sähen sich oft als letzte Bastion gegen einen „Unrechtsstaat“, eine „Gesundheitsdiktatur“, einen „neuen Faschismus“.
Sie vereinigten die unterschiedlichsten Ansichten und Erzählungen – nicht selten mit verschwörungsideologischen Elementen. Maßnahmen wie die geltenden Maskenregeln würden zum Sinnbild der angeblich fortschreitenden Unterdrückung Andersdenkender. Hinter den zugelassenen Impfstoffen vermute man nicht selten dunkle Machenschaften und eine akute Gefahr für Leib und Leben.
„Diese Vorstellung, die Impfung würde den Menschen in seinem Innersten verändern, findet sich auch aktuell wieder.“
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