Sulzbach-Rosenberg
27.08.2018 - 16:41 Uhr

"Keine Zukunft in Russland"

Zwangsdeportation, stalinistische Verfolgung und Aussiedlung. Der 28. August als "Tag der Russlanddeutschen" erinnert an deren oft unbekanntes Schicksal. Rund 2500 von ihnen haben in der Herzogstadt eine neue Heimat gefunden. Doch Vorurteile bleiben, wie Spätaussiedler in der SRZ berichten. Was bedeutet der Zuzug für die Stadt noch heute?

In der Herzogstadt laufen viele Integrationsbemühungen. Ein Teil davon spielt sich auf kultureller Ebene ab, wie hier bei einem Auftritt der Kindertanzgruppe Sonnenschein des Vereins Kulturhaus, der sich um familienorientierte Integration von Menschen mit Migrationshintergrund kümmert. Bild: VHS
In der Herzogstadt laufen viele Integrationsbemühungen. Ein Teil davon spielt sich auf kultureller Ebene ab, wie hier bei einem Auftritt der Kindertanzgruppe Sonnenschein des Vereins Kulturhaus, der sich um familienorientierte Integration von Menschen mit Migrationshintergrund kümmert.

Zuwanderung sei in Sulzbach "immer schon ein großes Thema" gewesen, sagt Bürgermeister Michael Göth auch über die Zeit vor der Ankunft der Aussiedler nach der Wende: "Schon in den 1960er Jahren hatte wir viele Gastarbeiter in der Maxhütte, ich selbst war mit deren Kindern gemeinsam in der Schule und habe hier nur gute Erfahrungen gemacht." Selbiges träfe auch auf die Spätaussiedler zu, die Anfang der 90er Jahre kamen: "Die Stadt ist gewachsen und mit ihr sind die Bürger zusammengewachsen", lobt das Stadtoberhaupt den Integrationsstand der Russlanddeutschen.

Eine Bereicherung

Auch die anfänglichen Probleme mit den Unterkünften seien damals von seinem Vorgänger Gerd Geismann mit den Übergangswohnheimen am Eichelberg und in Rosenberg "gut gelöst" worden, sagt Göth. Insbesondere mit Blick auf die Arbeitsmarktsituation sei der Zuzug einiger tausend Russlanddeutscher als Bereicherung zu sehen. Weil viele Übersiedler damals im Rohrwerk und der Maxhütte tätig waren, hätten sie laut Göth den Wandel der lokalen Wirtschaft von der Monostruktur hin zur Branchenvielfalt positiv mitgestaltet: "Unsere Wirtschaft hätte über die Jahre sicherlich nicht so wachsen können ohne die Aussiedler, sie wurden und werden in den Betrieben gebraucht."

Dass er sehr schnell einen Job gefunden hat, bestätigt auch Andrej Schäfer. Der 57-Jährige arbeitet bei Siemens als Produktionshelfer und kam 1999 gemeinsam mit seiner Frau Maria und einem Großteil der Familie in die Oberpfalz. Aufgewachsen sind sie in einem kleinen Dorf in Nordkasachstan, "das ist tiefstes Sibirien", sagt Maria Schäfer.

"Unsere Eltern lebten ursprünglich im wolgadeutschen Gebiet, wurden dann jedoch im August 1941 dorthin verschleppt." Gorbatschow habe schließlich "das Land verkauft", ausschlaggebend für die Rückkehr sei jedoch der Tschetschenien-Krieg gewesen, der 1999 begann: "Wir haben zwei Kinder, da ist es in Deutschland einfach sicherer", erklärt Schäfer die Hintergründe. Die Kommissioniererin bei Stahlgruber hat, genau wie ihr Ehemann, gleich nach der Rückkehr einen Sprachkurs belegt: "Wir haben zwar auch in Kasachstan schon Deutsch gesprochen, aber nur in der Familie. Ansonsten galt man gleich als Faschist."

Am Lerchenfeld haben die Schäfers eine Doppelhaushälfte erworben und schätzen hier besonders die Ruhe und den geringen Verkehr. Doch obwohl Sulzbach zu seiner "Lieblingsstadt" geworden sei, kritisiert Andrej Schäfer gerade das Geschäftesterben in der Innenstadt: "Das Liliencenter ist fast leer, die Post ist weg, für vieles muss man nach Amberg fahren. Das ist manchmal so, als ob niemand mehr hier leben würde", kritisiert er die Entwicklung. Seine Frau ergänzt, dass auch im gesellschaftlichen Umgang nach wie vor ein für Russlanddeutsche bekanntes Zugehörigkeitsproblem bestünde: "In der Sowjetunion waren wir die 'Deutschen", hier gelten wir nun als 'Russen"", beschreibt sie die unbefriedigende Situation.

Über fehlende berufliche Anerkennung ausländischer Abschlüsse klagt hingegen Vitaliy Ponomarev, der 2016 mit seinen Eltern aus Astana (Kasachstan) nach Deutschland kam und inzwischen in Gallmünz lebt. Der Maschinenbauingenieur würde gerne als solcher tätig werden, hat jedoch auf seine zahlreichen Bewerbungen nur Absagen erhalten: "Ich arbeite jetzt erst mal bei einer Leihfirma als Produktionshelfer, um Zeit zu überbrücken", sagt der 43-Jährige.

Seine Zukunft sieht der Spätaussiedler, dessen gesamte Verwandtschaft teils schon seit 20 Jahren hier lebt, trotzdem in der Region: "Die Sulzbacher sind sehr offen, ich habe viele Freunde hier. Außerdem bin ich inzwischen nicht mehr der Jüngste und will mich nach einer Frau umsehen", sagt Ponomarev über seine Beweggründe lachend.

Rückkehr ausgeschlossen

Eine Rückkehr nach Russland ist auch für die Schäfers völlig ausgeschlossen. Obwohl das "komplizierte" Beamtendeutsch für Maria Schäfer bis heute unverständlich bleibt, schätzt das Paar hierzulande vor allem das funktionierende Staatswesen: "Der Lohn kommt in Deutschland immer pünktlich aufs Konto, in Russland gab's nicht mal Kindergeld, Straßen und Häuser sind oft in einem schlechten Zustand. Wir haben hier ein Haus und Enkelkinder, in Russland sehen wir keine gute Zukunft für uns."

Vitaliy Ponomarev an seinem Wohnungseingang im Stadtteil Gallmünz. Bild: Tobias Gräf
Vitaliy Ponomarev an seinem Wohnungseingang im Stadtteil Gallmünz.
Info:

Als Russlanddeutsche gelten die ethnisch deutsche und deutschstämmige Minderheit in Russland, deren Geschichte maßgeblich im Jahr 1763 beginnt, als sich auf Einladung von Kaiserin Katharina II. deutsche Bauern entlang der Wolga anzusiedeln begannen. Nach dem Überfall der Hitler-Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941 wurden sämtliche Deutsche jedoch unter Kollaborationsverdacht gestellt und nach Osten, in den Ural, nach Sibirien und Kasachstan zwangsdeportiert, wo nicht wenige unter schlechtesten Bedingungen in der Zwangsarbeit starben. Der 28. August als Tag des Deportationserlasses durch den Obersten Sowjet ist deshalb seit 1982 in der Bundesrepublik Gedenktag. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion siedelten schließlich viele nach Deutschland um. Laut Bundesvertriebenengesetz wird zwischen Aussiedlern (bis 1993) und Spätaussiedlern (ab 1993) unterschieden. Als Hauptmotiv für die Rücksiedlung gelten häufig eine bessere Zukunftsperspektive für sich und die eigenen Kinder in einem wohlhabenderen Land. Der Integrationserfolg ist umstritten, aufgrund sprachlicher Defizite und sowjetisch geprägter kultureller Einstellungen kam es bei einigen zu Ausgrenzung und sozialem Abstieg.

 
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